Und der Mensch bleibt Mensch: Zeit für Humanismus
Es gibt Zeiten, die es besonders herausfordernd erscheinen lassen, am Glauben festzuhalten, dass der Mensch im Grunde gut ist. "A Mensch mecht i bleibn", sang Wolfgang Ambros einst. Doch was macht den Menschen zum Menschen?
Das Nachdenken über Sinn des Lebens und Ethik des Handelns ist so alt wie die Menschheit.
Manche glauben, dass die Suche nach Erfüllung und Glück sowie die Lösung für die Probleme der Welt in vernünftigem Handeln liegt – der Kern der humanistischen Idee, auf deren Spuren sich die Londoner Schriftstellerin Sarah Bakewell in ihrem Buch "Wie man Mensch wird" begeben hat. Sie zeichnet darin 700 Jahre humanistischer Überzeugungen nach, die sich, geprägt von Optimismus und Forschergeist, gegen Anfeindungen von Ideologen zur Wehr setzten. Die schwierigste Übung: die Definition. Was soll das eigentlich sein?
Die Antwort steckt im Namen. Religiöse, nicht religiöse, philosophische, praktische und Geisteswissenschaften lehrende Humanisten verbindet die menschliche Dimension des Lebens. Dem Individuum mehr Wert beizumessen als den großen Ideen. Oder, wie der Schriftsteller E. M. Foster 1910 in seinem Roman "Howards End" schrieb: Auf das Verbindende, nicht auf das Trennende blicken.
Dass eine Idee, die nach harmloser Menschenliebe klingt, bei vielen aneckte, hat auch mit ihrem Schlüsselgedanken vom Leben im Hier und Jetzt zu tun. Denn jeder Appell an das eigenverantwortliche Handeln bringt Seelenfänger mit ihren verführerischen Versprechen einer Existenz im Jenseits in Erklärungsnot. Der Schriftsteller Kurt Vonnegut (1922–2007) brachte den Gedanken von Vernunft und Verantwortung gegenüber anderen auf den Punkt: "Ich bin Humanist, was unter anderem bedeutet, mich anständig zu verhalten, ohne Belohnung oder Strafe nach dem Tod zu erwarten."
Der Mensch, ein geselliges Wesen
Der Humanismus warnt davor, die Aufgaben der gegenwärtigen Welt zugunsten des Traums vom Paradies zu vernachlässigen. Schon der griechische Philosoph Epikur (341–270 v. Chr.) mahnte vor "falschen Vorstellungen über die Götter und den Tod, die die Hauptquelle geistiger Störungen sind."
Er schlug stattdessen die Pflege von Freundschaften vor. Ein weiterer wichtiger Gedanke des Humanismus: Wir sind von Natur aus gesellige Wesen und können in der Erfahrung anderer etwas von uns selbst erkennen. Die irdischen Herausforderungen meistern und die Aufmerksamkeit auf das gemeinsame Wohlergehen lenken – nach den Prinzipien des freien Denkens, der Forschung und der Hoffnung, trotz aller Defizite während unseres kurzen Daseins etwas Sinnvolles zu schaffen: Das ist die Quintessenz des Humanismus, schreibt Bakewell.
Ausgehend von den italienischen Humanisten der Renaissance wie Petrarca und Boccaccio, die sich ab dem 14. Jahrhundert in Städten wie Florenz darin versuchten, mit literarischer und kultureller Erneuerung das Mittelalter hinter sich zu lassen, zeichnet Bakewell eine Ideengeschichte des modernen Humanismus, die nicht nur lehrreich, sondern auch vergnüglich ist – dank Anekdoten wie dieser: Der Übersetzer Bartolomeo Platina zählte zu Cicero-Anhängern, die im Rom der 1460er-Jahre versuchten, heidnische und christliche Begriffe miteinander zu vermischen, und daher auf Betreiben von Papst Paul II. verhaftet wurden.
Unter Sixtus IV. kam Platina frei und veröffentlichte ein Kochbuch mit dem genießerischen Titel "Von ehrbarer Wollust und Wohlbefinden". Eines der Gerichte, gegrillter Aal à l’Orange, fand so viel Anklang, dass Leonardo da Vinci es in seinem Fresko des Letzten Abendmahls auf den Tisch stellte. Die Versöhnung von Humanismus und Kirche? Mitnichten. Anderswo hatte man andere Verbindlichkeiten und andere Herren.
Natürlich kommt Bakewell auf ihrer Reise durch die Jahrhunderte an Michel de Montaigne nicht vorbei, dem französischen Essayisten des 16. Jahrhunderts, der inmitten der französischen Religionskriege einen versöhnlichen Grundgedanken ins Zentrum seines Werks stellte: dass jeder Mensch "die ganze Gestalt des Menschseins" in sich trägt. Ganz wie Herbert Grönemeyer später sang: Und der Mensch bleibt Mensch.
Und die Frauen?
Apropos. Sind Frauen auch Menschen?
Im Jahr 1900 schrieb die britische Wissenschafterin Jane Harrison einen Aufsatz mit dem Titel "Homo sum". Eine Provokation, weil Homo, das lateinische Wort für Mensch, bisher stets als "Mann" übersetzt worden war. Wie unerhört, dass nun eine Frau diesen Begriff auf sich bezog! Dabei hatten bereits 1792 Mary Wollstonecraft in England und 1791 Olympe de Gouges in Frankreich politische und soziale Gleichstellung von Frauen gefordert.
Bakewells Rundflug führt letztlich zum britischen Mathematiker Bertrand Russel, dessen Autobiografie mit einem leise mutmachenden Satz endet: "Trotz all ihrer Gräuel ließ mich die Welt unerschüttert." Anspruch auf Vollständigkeit erhebt dieses Buch natürlich nicht, es bleibt anekdotisch.
Wenn es eine Quintessenz gibt, dann diese berühmten Sätze, die Rechtsanwalt Robert G. Ingersoll 1899 im Tonstudio von Thomas Edison aufgenommen hat: Glück ist das einzige Gut. Die Zeit, um glücklich zu sein, ist jetzt. Der Ort, um glücklich zu sein, ist hier. Der Weg, um glücklich zu sein, ist, andere glücklich zu machen.