Stefan Zweig: Der Absturz nach dem Hauch von Glück
Mitteleuropa, 1926. Ein Postamt in Klein-Reifling bei Wien, ein mondänes Hotel im Schweizer Engadin und eine schäbige Baubaracke in Wien-Floridsdorf markieren die Wendepunkte im Leben der 26-jährigen Christine Hoflehner.
Zuvor ist es der Erste Weltkrieg, der ihr und das Leben Millionen anderer verändert. Christines Vater ist Kleinunternehmer, der seiner Familie ein anständiges Auskommen erwirtschaftet. Der Krieg nimmt ihm Sohn, Existenzgrundlage, schließlich das Leben. Zurück bleiben die kranke Frau und die Tochter, mittlerweile zum jungen Mädchen erblüht. Die Blüte welkt, bevor sie sich entfalten kann. Ihr graues Leben als Postassistentin ist von Pflicht geprägt und genügt doch kaum, um ihr und der Mutter über die Runden zu helfen. Die Einladung einer reichen Tante aus Amerika kommt via Telegramm in die Amtsstube – Wendepunkt Nummer eins. Der zweite folgt in der Schweiz, wo die Tante das unerfahrene Entlein mittels Frisur, Ausstattung und gesellschaftlichem Anschluss zum prächtigen Schwan umgestalten lässt.
Christine erlebt den „Rausch der Verwandlung“, wie das in 1930er-Jahren entstandene Romanfragment von Stefan Zweig, das 1982 von Knut Beck aus dem Nachlass herausgegeben wurde, heißt. Mehrere Manuskripte aus unterschiedlichen Arbeitsphasen wurden seither gefunden. Die vorliegende Ausgabe bietet erstmals einen gesicherten Text der Originalfassung der Manuskripte mit allen erhaltenen Varianten. Allesamt beklemmend. In allen wird Christine jäh aus ihrem eben erst gefundenen, sorglosen Leben verjagt und muss zurück in ihre triste Existenz. Der junge Kriegsinvalide Ferdinand wird zum einzigen Menschen, dem sie sich anvertrauen kann, ein Happy End ist dennoch nicht in Sicht.
Der Roman blieb unvollendet. Eine Bearbeitung durch einen Lektor hätte gutgetan, stellenweise ist Zweig etwas weitschweifig. Während eine Romanvariante einen pessimistischen, aber offenen Schluss nahelegt, ist in einer anderen eine dramatischere Wendung in Sicht: Ein Überfallsplan wird in einer Foridsdorfer Baubaracke geschmiedet. Zuvor ist die Rede von gemeinsamem Selbstmord. Ähnlich dem, den Zweig Jahre später selbst verübte. Wie seine Protagonistin Christine sah er keinen Ausweg.