Nach langem Tauziehen dürfte Stefan Zweig nun in London späte Ehre zuteil werden

Nach langem Tauziehen dürfte Stefan Zweig nun in London späte Ehre zuteil werden
Haus, in dem der österreichische Autor nach der Flucht vor den Nazis wohnte, erhält „blaue Plakette“ – für bedeutende Persönlichkeiten.

Stefan Zweig, schrieb der Kritiker Michael Hofmann im London Review of Books vor einigen Jahren, sei das Pepsi österreichischen Schreibens: ein Fake. Er sei ein Kitschmeister wie Gustav Klimt. Dessen Schreiben so glatt und manierlich sei, dass es langweile; Werke für „Teenager allen Alters“.

Es ist unklar, ob sich die Charity English Heritage von dieser bitterbösen Wertung leiten ließ. Doch zweifellos weht Zweig, der in den 1920er- und 1930er-Jahren zu den bekanntesten Autoren der Welt zählte, in England kritischer Wind entgegen. So kritisch, dass ihm eine blaue Plakette an jenem Londoner Wohnort, an dem er fünf Jahre lang wohnte, bis dato verwehrt wurde. Das könnte sich nun ändern.

Aber von vorne. Im Oktober 1933, als Zweigs Bücher in Deutschland bereits verbrannt wurden, zog er vorübergehend in eine Wohnung im Londoner Nobelbezirk Marylebone, 11 Portland Place. England wurde zunächst seine neue feste Heimat. Zweig lebte zurückzogen, genoss den britischen Respekt für Privatsphäre. 1939, als sein österreichischer Pass ablief, nahm er die britische Staatsbürgerschaft an.

Erster Anlauf schon 2012

Von seiner Wohnung in Portland Place zog er ein paar Gassen weiter in 49 Hallam Street, 25 Gehminuten von der British Library entfernt. Ideal für Zweig, der an Biografien über Maria Stuart und Erasmus von Rotterdam arbeitete.

Das Haus mit edler Stuckfassade und Backstein gibt es noch heute. Und an diesem wollte Professor Rüdiger Görner, Leiter des Fachbereichs Sprachen an der Queen Mary University, 2012 eine Blue Plaque anbringen lassen. Mit dieser werden bedeutende Persönlichkeiten geehrt. Immerhin habe Zweig einen „sehr wichtigen Teil seines Lebens im Vereinigten Königreichs“ verbracht, argumentierte er damals im Guardian.

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Doch zu Görners Erstaunen lehnte English Heritage ab: „Der Bekanntheitsgrad von Zweig war in Großbritannien nie so hoch wie anderswo“, und „man war der Meinung, dass es keinen Konsens über Zweigs Ruf als Schriftsteller zu geben scheint“, und dass es folglich nicht möglich sei, „sich seines bleibenden Beitrags sicher zu sein“.

Neuanlauf gestartet

Der britische Autor Horatio Morpurgo konnte diese Entscheidung nicht nachvollziehen. Im Herbst 2020 gab ihm die Ankündigung des damaligen Premierministers Boris Johnson, England werde aus dem Erasmus-Programm aussteigen, den nötigen Anstoß, dagegen vorzugehen.

Er verfasste einen öffentlichen Brief, betonte Zweigs London-Verbindung, Zweigs Bekanntschaft mit George Bernard Shaw und den Umstand, dass Zweig Freuds Grabrede gehalten hatte.

Nach langem Tauziehen dürfte Stefan Zweig nun in London späte Ehre zuteil werden

Zweigs berühmte Couch steht in seinem frühreren Londoner Wohnhaus

Er fand Unterstützer in der Direktorin des österreichischen Kulturforums Waltraud Dennhardt-Herzog, im damaligen Botschafter Michael Zimmermann oder auch im Dramatiker Tom Stoppard.

Neuauflagen und Verfilmungen

Vielleicht haben die Neuauflagen Zweigs im Pushkin Verlag geholfen. Erst in der Vorwoche erschien eine Neufassung von „Ungeduld des Herzens“. Vielleicht war auch der Filmerfolg von Wes Anderson („Grand Budapest Hotel“), der auf Zweigs Erzählungen basiert, ein weitere Faktor. Jedenfalls erklärte English Heritage im Oktober 2022 auf Morpurgos Ansuchen, den Fall neu aufzurollen.

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Nun, elf Jahre nachdem ersten Einreichen, gibt es die Zusage. Howard Spencer, leitender Historiker des Vereins, bestätigt dem KURIER: „Ja, Zweig wurde vorläufig für eine blaue Plakette zugelassen.“ Nach Zustimmung des Hausbesitzers und Abarbeitung einer „langen Liste anhängiger Fälle“ soll die Plakette angebracht werden. Vielleicht, hoffen die Initiatoren wie Görner und Morpurgo, ist das Votum aber auch ein bisschen mehr. Ein Bekenntnis Englands zu Europa.

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