Anna Netrebkos erste "Turandot": Ein Ereignis
Als sie vor vier Jahren auf ihrem "Verismo"-Album erstmals Ausschnitte aus "Turandot" sang, hatten manche noch gezweifelt, ob sie diese dramatische Rolle je auf einer Opernbühne singen werde. Bei der jüngsten Silvestergala wagte sie sich an der New Yorker Metropolitan Opera erstmals an den zweiten Akt, nun debütierte sie an der Bayerischen Staatsoper in der ganzen Oper.
Naja, zumindest in jenem Fragment, das Puccini hinterlassen hatte, also ohne Schluss von Franco Alfano oder jenem von Luciano Berio. Auch wenn diese Fertigstellungen zumeist unpassend wirken und die pure Puccini-Fassung schlüssiger ist, hätte man sich diesmal ausnahmsweise gewünscht, dass die Netrebko noch weiter singt. Und weiter. Und immer weiter.
Denn was am Dienstag in München zu hören war, war nicht weniger als ein veritables künstlerisches Weltereignis. Ein echter Triumph für die größte Sängerin unserer Zeit. Schade, dass man diesen nicht an ihrem Wohnort Wien erleben konnte.
Im ersten Akt hat sie ja gar nichts zu singen, da konnte man nur über die Inszenierung von Carlos Padrissa (La Fura dels Baus) aus dem Jahr 2011 staunen. Eishockeyspielerinnen, die mit den abgeschlagenen Köpfen spielen, Hundertschaften an Choristen, die üblichen baumelnden Fura-Artisten, Kitsch as Kitsch can, eine reine Ablenkung von der Musik. Einiges noch dazu in 3-D – man musste (oder sollte nach Wunsch des Regisseurs) immer wieder eine Brille wie im Kino aufsetzen. Es glitzert und blinkt, es hongkongt und shanghait in diesem oberflächlichen Nichts.
Ab dem Moment, in dem Netrebko dann die Bühne betrat, nein von oben beschwebte, war jedoch ein Zauber zu erleben, den es in der Oper leider allzu selten gibt. Schon "In questa reggia" sang sie packend, intensiv, ausdrucksstark, hochdramatisch, bestechend in allen Lagen. Man muss zu den Größten unter den Großen zurückgehen, um überhaupt annähernd legitime Vergleiche zu finden (die meisten davon haben Opernbesucher von heute nie live gehört). Sie ist dramatisch wie die Callas oder die Nilsson, dann wieder lyrisch wie die Caballé, ihr dunkles Timbre atemberaubend schön, ihre Ausbrüche sind höchst präzise. Man kommt aus dem Schwärmen kaum heraus.
Das Kleid, in das man sie gesteckt hat, ist furchtbar wie so viele Opernkleider. Mit jeder Frage, die Calaf beantwortet, wird die Eisprinzessin weiter Richtung Boden gelassen, am Ende landet sie hart auf eben diesem. Eine große Stärke der Netrebko, ihr Spiel, kommt diesmal gar nicht zu Geltung. Aber was soll's: Wer so mit den Tönen spielt, begeistert.
Als Calaf ist ihr Ehemann Yusif Eyvazov zu hören, was diesmal für ihn gar nicht von Vorteil ist, weil man den qualitativen Unterschied sehr stark hört. Beim "Nessun dorma" trifft er alle Töne, von Eleganz jedoch keine Spur.
Fabelhaft ist Selene Zanetti als berührende Liù (mit ihrem Tod endet ja diesmal die Oper), auch der Timur von Alexander Tsymbalyuk ist famos.
Ganz im Gegensatz zum Dirigat von Giacomo Sagripanti, der vor allem auf Kraft(meierei) setzt und die Sänger vor Probleme stellt. Mit Ausnahme von Netrebko. Aber die agierte diesmal in einer eigenen Liga: Der Netrebko-Premier-League. Netrebkos Turandot: Weit besser als zuletzt ihre Tosca an der Scala.
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