Rabinowich geht essen: Essen auf Rädern

Durch das Coronavirus in die innere Emigration getrieben ist aber irgendwann auch das beherzteste Kochen nur das Unterstreichen einer Ausnahmesituation.
Julya Rabinowich

Julya Rabinowich

Zu Beginn der harten Phase der Coronamaßnahmen retteten sich viele in beherzte Kocherei. Seelenfutter tröstet in Zeiten vermehrter Unsicherheit und Herzensdunkel. Gute Speisen wärmen, muntern auf und entspannen, holen Kindheitserinnerungen hervor. Durch das Coronavirus in die innere Emigration getrieben ist aber irgendwann auch das beherzteste Kochen nur das Unterstreichen einer Ausnahmesituation, der Alltag dreht sich um Einkauf, Kochprozess und Abwasch, und wenn man sich etwas Seelenschmeichelndes gönnen möchte, das nicht selbst erzeugt worden ist, wird es in Lockdownzeiten schwer.

Das Steirereck und die dazu gehörende Meierei im Stadtpark sind Antidot dazu. Das Lokal, das wunderbar wienerisch im Sinne des pestgrubenflüchtigen lieben Augustin auffiel, als dort statt zu schließen und die Mitarbeiter zu entlassen für Bedürftige gekocht und dann per Fiaker ausgeliefert wurde (noch wienerischer kann es bei Gott nicht mehr werden!) hat den Hausbesuch eingeläutet. Jeden Tag kann bis 13 Uhr Feinstes bestellt werden, um es diesmal per Rad und nicht per Huf zu erhalten. Im Glas gibt es Rahmgulasch oder Paprikahendl, Kogseder (eine vegetarische Pilzspezialität), beerenverfeinerte gigantische Cremeschnitten, feine Suppen und Salate.

Nachdem die Ente am Sonntag recht schnell ausverkauft war, kaprizierte sich die eingeschlossene Familie in gewisser Vorübung auf den Muttertag auf französische fruchtigscharfe Bouillabaisse mit zarten Fischstückchen, Fenchel und pannonischen Safran. Ausgewogen als Dessert eine Käsevariation, die im wahrsten Sinne als Quadratur des Kreises daher- kommt: in einer runden, luxuriös und ausladend wie eine Kreuzung aus UFO und Luis-Vouitton- Hutschachtel anmutenden Holzkiste im perfekten Kreis angeordnet warten kleine feine Käsestückchen auf die Genießenden. Angereichert mit dezent über intensiv bis bestialisch gehaltenen Duftnoten, Quittengelee, Kürbiskernen und Zettelchen, auf denen man all die persönlichen hard facts zum jeweiligen Schnittchen vorfindet. Von Herkunftsorten und auf Krawall gebürsteten Rotschmierbakterien liest man da, von Zitronennoten und in der Erde gelagerten Laiben. Ach, Käse offenbart niemals too much information, nicht einmal olfaktorisch, sehr im Unterschied zum Menschen, obwohl eine der extravaganteren Sorten sogar dezente Noten von Mundgeruch trug. Alles sei dem Alter und der Bereitschaft zu Reifen verziehen. Was aber doch als etwas überreif auffällt, angesichts der rasanten politischen Entwicklungen, ist der Name der Platte:

Europe’s Best heißt sie. Und Red Leicester aus England ruht da immer noch einträchtig zwischen italienischem würzigen Caprotto, dem steirischen roten Brie mit sandigen Salzkristallen und dem avantgardistisch wilden Brillat Savarin aus der Normandie. Allerdings nicht all zu lange.

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