Raab geht essen: … selber

Sechs Uhr dreißig. Türen auf. Paradies. „Wunderschönen guten Morgen!“ Zwei junge Herrn schlichten emsig die letzten Backwaren.
Thomas Raab

Thomas Raab

Sonntag. Sechs Uhr zwanzig. Still ist es noch in den Schlafzimmern. Die Straßen leer. Der Morgen gehört dir. Bergabwärts, Gleitflug auf zwei Reifen. Der Fahrtwind weckt auf. Schon nach der letzten Kurve die erste Umarmung. Durch die Nase bis hinein ins Gemüt. Die Gasse duftet dir entgegen. Sechs Uhr dreißig. Türen auf. Paradies. „Wunderschönen guten Morgen!“ Zwei junge Herrn schlichten emsig die letzten Backwaren. Hinter Glas.

Du davor. Alles deins, deins, deins. Im Hintergrund die Chefin dieser Filiale. Freundlich, aber nicht anstrengend redselig. Man kennt einander, lächelt, nickt, wenige Worte, und los: Zehn Handsemmeln (Bio-Aroma-Handsemmeln, aber Handsemmeln reicht), sechs Kornspitz, sechs Kürbiskernspitz, sechs Salzstangerl, sechs Mohnstriezerl, alles bio, sechs Butter-Croissants, zwei Marillenspitz. Hinter dir stehen würdest du nicht wollen. Von vorn hingegen fragt dich keiner mehr. So viel? Ja, es ist viel.

Erstens, weil es beim „Der Felber bäckt selber“ einfach schmeckt, dort Wert gelegt wird auf selbst kultivierte Sauerteige, ursprüngliches Handwerk, traditionelle Backmethoden, Mehl, Getreide, Teebutter aus Österreich, trotzdem zieht dir deshalb keiner dein Geld aus der Tasche. Und zweitens, weil dieser Einkauf für die ganze Woche reicht. Vierpersonenhaushalt, darunter zwei Schulkinder. Bei Felber Gekauftes zu Hause eingefroren, wieder aufgetaut und kurz auf den Toaster gelegt, fühlt sich an, wie eben erst frisch geholt. Kanntest du bisher so nicht. Auch das ist Freiheit.

Ebenso die sinnbildliche Toilettenspülung und das darin Versenken von Twitter, Instagram, Facebook, und Co. Ohne die engagierte Unternehmerin Doris Felber persönlich zu kennen, hat diese Häme ihr gegenüber im April 2020 fassungslos werden lassen. In den  so schweren Lockdown-Zeiten, nach all den wirtschaftlich überlebensbedrohlichen Einbrüchen, verkündet sie mit großem Enthusiasmus die Wiedereröffnung ihrer auch in Baumärkten zu findenden Filialen, stellt ein authentisches Video online (man möge sich eine Topfengolatsche nageln, einen Kürbiskernspitz hineinschrauben…) und wird dafür auf den „sozialen“ Medien verbal hingerichtet, schwer gedemütigt.

Von Menschen, die übrig gebliebenes Brot womöglich in die Mülltonne schmeißen und ihr Lebtag noch nie um ihre Existenz kämpfen mussten. Über die Brutalität anderer entsetzen, schockiert sein, weil Amokläufe und Vernichtungskriege, aber mit Coffee to go flink vom Handy aus das Verhöhnen zelebrieren, das Durch-den-Dreck-Ziehen. Der Hirnlosigkeit, dem Unüberlegten, dem Grauslichsten freien Lauf lassen.

Was die Felber-Episode 2020 mit heut zu tun hat? Ähnliches ist allgegenwärtig. Was es mit Essengehen zu tun hat! Viel. Das Üppige, das Überflüssige schlägt auf den Magen, bis hin zur Lebensmittelvergiftung. Was es mit Vatertag zu tun hat? Noch viel mehr. Die vernetzte Welt rückt immer näher, die eigene entfernt sich. Sechs Uhr vierzig. Wieder heim. Frühstück aufdecken, niemanden wecken. Zeitung lesen, bis der Tisch sich füllt. Wahrhaftige Follower von Bedeutung. Sie setzen sich zu dir, setzen auf dich, und du bist da. Heut mach ich es so. Heut fang ich damit an …

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