Pride Month: Zwischen heiligem Schein und Scheinheiligkeit

Pride Month: Zwischen heiligem Schein und Scheinheiligkeit
Im Pride Month erstrahlt die Welt – auch Österreich – in den Farben des Regenbogens. Beim zweiten Blick merkt man aber: Nicht alles ist so bunt und glänzend.
Manuel Simbürger

Manuel Simbürger

Kennen Sie das? Dieses Gefühl, wenn man erfreut und verärgert zugleich ist? So geht es mir aktuell. Weil wir uns im Pride Month befinden. 

Als schwuler Mann, der aus seiner Sexualität nie ein Geheimnis machte, ist es schön – das gebe ich gerne zu –, in einem Meer aus Sichtbarkeit und öffentlicher Anerkennung zu baden. Das lässt tatsächlich ein Gefühl des Stolzes, eben "Pride", in mir aufkommen, obwohl es das streng genommen gar nicht sollte, denn Sexualität ist naturgegeben und nichts, was ich mir erarbeitet habe. 

Das Recht auf Magie

Doch die Menschheitsgeschichte lehrt mich etwas anderes, belehrt mich eines besseren. Denn hart erarbeitet hat sich die LGBTQIA+ -Community in den letzten Jahrzehnten so einiges – nicht nur den (für Laien durchaus verwirrenden) Buchstabensalat, sondern auch das Recht, die Liebe zum Partner, zum Seelenmenschen, nicht nur hinter verschlossenen Türen zum Ausdruck bringen zu dürfen. Vor dem Standesamt dieses Miteinander auch rechtlich geltend machen zu können. Und sich nicht verstellen zu müssen, weil man strafrechtliche Konsequenzen befürchtet. Auch wenn noch so einiges zu tun ist.

Es geht gar nicht darum, ob wir "alle gleich sind" oder doch verschieden. Eine Grundsatzdiskussion übrigens, die bereits die Homosexuellenbewegung in den 1960ern prägte. Es geht darum, buchstäblich das allumfassende Recht zu haben, man selbst zu sein. Sich selbst nicht verleugnen zu müssen. Erlauben Sie mir als "Harry Potter"-Fan folgendes Zitat: Im Einklang mit der eigenen Seele zu sein ist die größte Magie, zu der ein Mensch im Stande ist. Eine seelische Disharmonie jedoch ruft ganz schnell Dementoren und Todesesser auf den Plan. In der Muggelwelt sagt man auch Depression oder gar Suizidgedanken dazu.

Toleranz und Unsichtbarkeit vertragen sich nicht

Es geht auch nicht darum, jedem die eigene Sexualität auf die Nase zu binden, wie es im Pride Month der queeren Community so gerne vorgeworfen wird. 

Mit Kommentaren in den sozialen Medien á la "Sollen sie tun, was sie wollen, jedem das seine, aber bitte nicht in der Öffentlichkeit. Tun die Heteros ja auch nicht!" könnte man ganze Bücher füllen. Doch genau das ist Homophobie aus dem Lehrbuch, denn die Message ist überdeutlich: Toleranz und Akzeptanz sind nur dann gegeben, wenn sie mit Unsichtbarkeit "des Anderen" einhergehen. Das schließt sich jedoch schon per definitionem aus. Würde man bei einem sich auf der Straße küssenden Hetero-Pärchen, einer Hetero-Sexszene im Film ebenso reagieren? 

Auch das Argument, dass sexuelle Vorlieben Privatsache sind und nicht an die Öffentlichkeit gehören, ist auf den zweiten Blick ein Trugschluss und auch nur eine andere Variation von Homophobie – oder auch Unwissen: denn mit dieser Aussage reduziert man Homosexualität auf das Sexuelle, auf das, was im Schlafzimmer so passieren mag.

Doch Homosexualität – wie auch Heterosexualität – bedeutet bei weitem nicht nur, auf welche Art und Weise man Sex hat. Sie ist ein Lebensstil. Sie formt die Persönlichkeit. Sie ist Alltag. Sie ist Politik. Sie ist Liebe. Sie ist Beziehung. Sie ist Zwischenmenschlichkeit. Sie ist das durch und durch menschliche Bedürfnis, so wahrgenommen und gesehen zu werden, wie man ist. Manchmal unterscheidet sie sich nicht sehr von Heterosexualität. Manchmal aber schon. 

Was du sehen kannst, kannst du auch sein

Entschuldigen Sie bitte ebenso folgende Weisheit, die Sie bestimmt schon oft – vor allem im Pride Month – gehört haben: Sichtbarkeit kann Leben retten. Aber es ist nun mal tatsächlich so. Repräsentationen des eigenen Selbst in der Öffentlichkeit zu sehen, macht einem deutlich: Ich bin nicht alleine. Es gibt andere Menschen wie mich. Es ist okay, wie ich bin. Ich habe einen Platz in der Gesellschaft. In der Welt. Weil, das hat bereits Meghan Markle im Interview mit Oprah Winfrey gemeint: "Was du sehen kannst, kannst du auch sein."

Sichtbarkeit kann zudem im besten Falle dabei helfen, Barrieren abzubauen. Menschen, die im Alltag nichts mit nicht-heteronormativen Sexualitäten zu tun haben, mit diesem Thema vertraut machen. Denn es ist in Ordnung, über etwas nicht Bescheid zu wissen, vor allem dann, wenn man damit (gemeinhin) "eh nichts zu tun" hat. Es ist auch okay, Angst zu haben vor dem, was man nicht kennt. Das ist menschlich. Man kann dagegen aber etwas tun. Nämlich aufklären.

Doch was nicht okay ist, ist Intoleranz. Diskriminierung. Ausgrenzung. Anderen Menschen das Recht auf Menschenrechte absprechen zu wollen. Denn Minderheiten sind keine Randgruppen, sondern gehören in die Mitte der Gesellschaft. Und nein, Minderheiten nehmen der mehrheitlichen Bevölkerung auch nichts weg – außer vielleicht den Autofahrern die Wiener Ringstraße einmal im Jahr bei der Regenbogenparade. Und sogar hier ist eigentlich jede/r willkommen (außer die Autofahrer, sorry). 

Kurz: Die Gefahr liegt im grauen Einerlei, nicht in der bunten Vielfalt.

28. VIENNA PRIDE - REGENBOGENPARADE

Veränderungen sind irritierend, aber notwendig

Der Pride Month ist also eine gute Möglichkeit, den eigenen Horizont dahingehend zu erweitern, dass Sexualität ein breites Spektrum ist und es so viel mehr gibt als Schwarz und Weiß, nämlich zahlreiche Farbschattierungen dazwischen. Das gilt auch für die Geschlechter: Man mag als Mann oder Frau geboren sein (obwohl dies für intersexuelle Menschen schon mal nicht stimmt), aber die Geschlechtsidentität (gender) muss nicht zwingend mit dem biologischen Geschlecht (sex) übereinstimmen. Und schon sind sie da, die Abstufungen, die Nuancen. 

Ja, es ist komplex, es ist kompliziert (wie die Welt an sich). Aber es ist auch interessant und wert, erkundet zu werden (wie die Welt an sich). Den eigenen Horizont zu erweitern verändert Menschenleben (das eigene und das von anderen) und folglich die Gesellschaft. Veränderungen sind manchmal irritierend, aber notwendig. Stillstand bedeutet den Tod.

Und auch die Wirtschaft profitiert vom "stolzen Monat", wie Sie hier nachlesen können:

Regenbogenflaggen in Mistkübeln

Wieso ich dann also verärgert bin inmitten dieses Monats des Regenbogens, des Feierns, des Miteinanders? Weil all die Farben und der schönste erstrahlende Regenbogen in ihrer Substanz mitunter gar nicht mehr so schön glänzen, wenn man etwas genauer hinsieht.

Kaum nämlich, wenn der Kalender den 1. Juli anzeigt, ist es nicht mehr weit her mit Toleranz, Regenbogenfahnen, wirtschaftlichen Kooperationen, politischen Support-Bekundigungen und dem Bemühen, die Mitte der Gesellschaft mit (vermeintlichen) Randgruppen zu teilen. 

Dann heißt es wieder "business as usual" und der queere Pride zieht sich zurück in ein Schneckenhaus, die Homophobie im Alltag wird dagegen wieder fleißig herausgekramt. Wirtschaftliche Solidarität stellt sich gerne nicht selten als "Pinkwashing" heraus.

Ein Monat an Aufmerksamkeit wird ja wohl genügen, so scheint der gesellschaftliche Konsens zu sein. Zahlreiche Regenbogenflaggen in öffentlichen Mistkübeln sprechen eine deutliche Sprache. Schauen Sie mal genau hin.

Da kommt man nicht umhin, sich zu fragen: Ist der Pride Month mehr Schein als Sein? Mehr Scheinheiligkeit als heiliger Schein? Wie nahe liegen politische Korrektheit und die Wahrheit – die Realität? – wirklich beieinander?

Nein, es muss nicht das ganze Jahr über Pride Month sein. Nicht jeder Tag ist eine Party. Das ist gut so und muss auch gar nicht sein, wenn alternative Lebensentwürfe nicht mehr als alternativ, sondern als stinknormal angesehen werden würden. Dann müsste man auch nicht mehr lautstark auf der Straße für Gleichberechtigung kämpfen. Das wäre auch der queeren Community lieber. 

Mit einem Monat "nett sein" ist es einfach nicht getan.

28. VIENNA PRIDE - REGENBOGENPARADE

Was mich außerdem am Pride Month sehr nervt und wieso ich mich das eine oder andere Jahr sogar der Regenbogenparade verwehrt habe, ist die ausufernde Intoleranz innerhalb der Gay-Community. Die nämlich macht den bunten Monat schon mal zum Jahreskalender-Äquivalent zu Alanis Morisettes Hit "Ironic". 

Doch dazu mehr morgen – im zweiten Teil dieser Kolumne.

"Homonormativ" ist die neue Kolumne von Newsdesk-Redakteur Manuel Simbürger über die Lebenswelt als schwuler Mann (mit Behinderung) und all die großen und kleinen Hürden, die damit einhergehen – Alltags-Homophobie inklusive. Weil Farben nicht mehr so schön sind, wenn sie verblassen. manuel.simbuerger@kurier.at

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