Luziwuzi und Co.: 15 historische queere Fakten über Wien

Wiener Staatsoper
Wiens queere Stadtgeschichte ist eine Geschichte der Verfolgung, der Geheimnisse und der ganz großen Liebe. Es geht u.a. um schwule Architekten und bunte Habsburger.

Der Juni steht unter dem Motto "Pride Month" weltweit ganz im Sinne der bunten Vielfalt und der Inklusion. Es werden Menschen gefeiert (und für deren Rechte eingestanden), die im Alltag nach wie vor zu Unrecht Diskriminierungen ausgesetzt und allzu gern an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Anders ausgedrückt: Im Pride Month geht es um den stolzen Umgang mit der eigenen queeren Sexualität. 

Im Zeichen des Regenbogens soll es im Pride Month aber auch um das Bewusstwerden von Heteronormativität gehen. Der Begriff bezeichnet, vereinfacht ausgedrückt, die Tatsache, dass per se Heterosexualität als "normal" und "natürlich gegeben" angesehen wird, weitergedacht gar als Grundpfeiler einer funktionierenden Gesellschaft. Ein typisches Beispiel aus dem Alltag: Man geht automatisch davon aus, jemand sei heterosexuell. Das führt in Folge dazu, dass queere Menschen unsichtbar gemacht – und deshalb auch oftmals aus der Geschichtsschreibung gelöscht werden. "Queere Geschichte" ist ein vergleichsweises junges Forschungsfeld.

Dass Homosexualität beziehungsweise Queerness im Allgemeinen aber von Beginn an mehr als eine Fußnote in den Geschichtsbüchern Österreichern war und ist, zeigt sich unter anderem an der Historie der Bundeshauptstadt selbst. Viele bekannte, teils weltberühmte Gebäude, Plätze und Örtlichkeiten haben einen queeren Hintergrund oder sind in ihrer Vergangenheit zumindest bunter und regenbogenfarbener, als man gemeinhin vermuten würde.

Der KURIER ist deshalb anlässlich des Pride Months in Wien auf queere Spurensuche gegangen und präsentiert 15 historische schwul-lesbische Fakten rund um die Bundeshauptstadt: 

Luziwuzi und Co.: 15 historische queere Fakten über Wien

Wiener Staatsoper

1. Wiener Staatsoper: Erbaut von einem homosexuellen Pärchen

Die weltberühmte Wiener Staatsoper wurde von den Architekten August Sicard von Sicardsburg (1813–1868) und Eduard van der Nüll (1812–1868) sowohl geplant als auch erbaut (1861–1869). Die beiden arbeiteten und lebten zuletzt in einem Haus in der Kaunitzgasse zusammen. "Schon Zeitgenossen fiel die ungewöhnlich enge Bindung der beiden Architekten auf und spielten auf eine homosexuelle Beziehung an", erzählt Andreas Brunner, Tourguide und Co-Leiter von QWIEN, dem Zentrum für schwul/lesbische Kultur und Geschichte, im KURIER-Interview. Offen kommuniziert wurde das Zusammenleben von van der Nüll und von Sicardsburg aber nicht.

Leider fand die Beziehung der Architekten ein tragisches Ende: Nach der massiven Kritik am Bau der Oper seitens der Bevölkerung, aber angeblich auch seitens Kaiser Franz Josefs, beging Eduard van der Nüll 1886 Selbstmord. Nur zehn Wochen später starb auch von Sicardsburg – an gebrochenem Herzen, sagt man. 

Luziwuzi und Co.: 15 historische queere Fakten über Wien

Schloss Belvedere

2. Schloss Belvedere & Winterpalais: Rückzugsort für schwulen Feldherren?

Schon zu Lebzeiten war Prinz Eugen von Savoyen (1663-1736) am kaiserlichen Hof und innerhalb der Bevölkerung äußert beliebt, von seiner Popularität und seiner wichtigen historischen Stellung zeugt heute unter anderem sein Reiterdenkmal am Wiener Heldenplatz. Von Savoyen gilt als einer der bedeutendsten Feldherren der Habsburgmonarchie, eine zentrale Rolle spielte er beispielsweise im Venezianisch-Österreichischen Türkenkrieg.

Das Schloss Belvedere sowie das Stadtpalais (Himmelpfortgasse 8, 1010 Wien) ließ der kunstaffine Prinz als vornehme Sommer- bzw. Winterresidenz errichten. Über dessen vermutete Homosexualität wurde am Hof viel getratscht, schließlich war von Savoyen weder verheiratet, noch hatte er Kinder. Auch von weiblichen Liebschaften ist in der Geschichtsschreibung nichts überliefert. "Es gibt die Anekdote, dass von Savoyen, weil ihn Ludwig XIV. nicht in seine Armee eintreten lassen wollte, sich an dessen Hof mit Frauenkleidern zeigte, um den französischen König zu schockieren."

Luziwuzi und Co.: 15 historische queere Fakten über Wien

Schloss Schönbrunn

3. Schloss Schönbrunn & Wiener Hofburg: Queere Prinzen und Prinzessinnen 

Die Habsburger gehören zu den wohl bekanntesten und skandalträchtigsten Kaiserdynastien der Geschichte. Die Hofburg war viele Jahrhunderte lang die Residenz der Habsburger in Wien, in den heißen Sommermonaten verweilten sie aber lieber im prachtvollen Schloss Schönbrunn. Was gerne verschwiegen wird: auch unter den Habsburgern war gleichgeschlechtliche Liebe ein Thema.

So zum Beispiel soll Marie Christine, die Lieblingstochter von Kaiserin Maria Theresia, eine Liebesbeziehung mit ihrer Schwägerin Isabella von Parma gehegt haben. "Darauf deutet ein reger und neckischer Briefverkehr zwischen den beiden hin", weiß Brunner. Die beiden wohnten sogar am selben Hof.

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Kaiserbründl

Bis heute berühmt ist dagegen Erzherzog Ludwig Viktor, der jüngste Bruder von Kaiser Franz Josef, dessen liebevoller Spitzname "Luziwuzi" lautete. Dazu Brunner: "Seine Homosexualität war ein offenes Geheimnis, durfte aber nicht öffentlich thematisiert werden."

Und weiter: "Der Erzherzog besuchte gerne die stadtbekannte Männersauna Centralbade – heute bekannt als historische Schwulensauna 'Kaiserbründl'. Dort sorgte er für einen großen öffentlichen Skandal, als er sich einem Offizier körperlich annäherte und dieser ihn deshalb ohrfeigte." 

Zudem war Luziwuzi für seine Leidenschaft für Klatsch & Tratsch sowie sein prätentiöses Auftreten in der Öffentlichkeit bekannt. Nach dem Skandal im Centralbade verbannte ihn Franz Josef ins Schloss Klessheim in Salzburg, wo er auch verstarb.

4. Kasino am Schwarzenbergplatz: Hier feierte Luziwuzi gerne

"Das Palais am Schwarzenbergplatz, das heute als Kasino bekannt ist, wurde eigentlich von Erzherzog Ludwig Victor erbaut. Im Festsaal, wo heute Theaterproduktionen über die Bühne gehen, lud Luziwuzi zu rauschenden Festen", weiß Brunner zu berichten.

Luziwuzi und Co.: 15 historische queere Fakten über Wien

Karlskirche

5. Karlskirche: Vater von Maria Theresia war "bisexuell"

Kein Briefverkehr wie bei seiner Enkelin, dafür aber Tagebucheinträge legen eine Liebesbeziehung zwischen Kaiser Karl VI., dem Vater von Maria Theresia, und einem Grafen namens Michael Johann III. Graf Althann nahe, erzählt uns Guide Brunner im Interview. "Karl und Michael Johann kannten sich seit Jugendtagen, waren gemeinsam in Spanien, wo Karl vergeblich um den spanischen Thron kämpfte. Zurück in Wien wurde der Graf aus einem böhmischen Adelsgeschlecht zum engsten Vertrauten und Liebhaber des Kaisers, der daneben aber auch eine glückliche Ehe führte." 

Da Karl in seinem Tagebuch von intimen Begegnungen sowohl mit Männern als auch mit Frauen berichtet, würde man ihn heute am ehesten als bisexuell bezeichnen. 

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Burgtheater

6. Burgtheater: Schauspieler Raoul Aslan war offen homosexuell

Auch das Burgtheater hat queere Anekdoten zu erzählen, die weit in die Vergangenheit zurückreichen. Brunner erwähnt den damals berühmten und erfolgreichen Schauspieler Raoul Aslan, der in den 1930er- bis 1950er-Jahren ein eoffene Beziehung mit seinem Schauspielkollegen Tonio Riedl führte. Auch die Nationalsozialisten wussten davon. "Wenn es um Prominente ging, zeigten die Nazis Doppelmoral”, so der Historiker. Homosexuelle Künstler wie Gustaf Gründgens oder Max Lorenz standen unter dem persönlichen Schutz des Reichsfeldmarschalls Hermann Göring.

7. Herrengasse: Selbstmord eines homosexuellen Spions

Im Hotel Klomser, das sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Herrengasse 19 befand, "fand eine der größten Spionageaffären der österreichischen Geschichte ihr Ende" berichtet Brunner. Nachdem er durch einen Zufall enttarnt worden war, nahm sich dort Oberst Alfred Redl 1913 das Leben. "Erst im Zuge der Ermittlungen wurde bekannt, dass sich Redl von Russland für geheime Informationen bezahlen ließ, um seinen aufwändigen Lebenswandel mit seinem heterosexuellen Liebhaber zu finanzieren."

8. Mölker Bastei Nummer 10: Regenbogenfamilie mit Goethe-Schwiegertochter

Ottilie von Goethe, die Schwiegertochter von Johann Wolfgang von Goethe, kam 1835 nach Wien, um ein uneheliches Kind zu gebären – nämlich in der Mölker Bastei Nummer 10. "Unterstützung bekam Ottilie von Goethe dabei von zwei lesbischen Frauen: Adele Schopenhauer und Anna Jameson", erzählt Brunner. "Die drei Damen kann man also durchaus als eine kleine Regenbogenfamilie bezeichnen."

9. Michaelerplatz: Job-Diskriminierung wegen angeblicher "Unzucht"

Bis 1888 stand das Alte Burgtheater am Michaelerplatz. Gut sechs Jahrzehnte vor seinem Abriss bemühte sich August Wilhelm Iffland vergeblich um den Posten des Direktors. Brunner: "Der Namensgeber für den Iffland Ring, der als begehrtester Preis für deutschsprachige Schauspieler gilt, bekam den Job aber nicht, weil er der 'Unzucht' sprich Homosexualität, verdächtigt wurde."

10. Apollo-Kino: Damals ein bunter Vergnügungspalast

In der Gumpendorfer Straße 63 stand bis in die 1920er-Jahre der "Vergnügungspalast", neben dem Ronacher und dem Raimund-Theater der größte Unterhaltungstempel Wiens. Guide Brunner blickt zurück: "Hier trat 1924 der amerikanische Trapez- und Travestiekünstler Barbette auf, der zu den größten Stars seiner Zeit gehörte und durch sein Verwirrspiel mit Geschlechtsidentitäten für Aufsehen sorgte."

11. Esterhazy-Bad: Razzien in schwulem Badetempel 

In der Nähe des Apollos befand sich das Esterhazy-Bad, einer der damaligen Badetempel, in denen historischen Polizeiberichten zufolge besonders oft Razzien durchgeführt wurden. Angeblich sollen sich hier viele Schwule zum Sex getroffen haben. In einem erpresserischen Verhör, welches überliefert werden konnte, berichtet ein Homosexueller: "Ich ging dorthin, um zu baden und um meinen Geschlechtstrieb abzureagieren." 

In der NS-Zeit wurden im Esterhazy-Bad über 150 Männer verhaftet, von denen einige die KZ-Haft nicht überlebten, berichtet Brunner über ein besonders dunkles Kapitel der Stadtgeschichte Wiens.

Luziwuzi und Co.: 15 historische queere Fakten über Wien

Stadtpark

12. Stadtpark: Seit jeher beliebter Sex-Treffpunkt 

"Kaum war der Stadtpark 1862 eröffnet, wurde er vor allem nachts zum beliebten Treffpunkt homosexueller Männer", erzählt der Historiker. Viele Jahre lang war der Wiener Stadtpark ein beliebter Crusing-Ort für schwule Männer, sprich: meist zu später Stunde traf man sich dort, um anonymen Sex zu haben.

13. Annagasse 8: Schauspielstar versteckte lesbische Liebe vor Nazis

Schauspielstar Dorothea Neff (1903-1986) versteckte ganze drei Jahre lang (bis zum Kriegsende) ihre große Liebe, die jüdische Modeschöpferin Lilli Wolff, in ihrer Wohnung in der Annagasse 8 vor den Nazis. In Biographien über Neff wird die lesbische Beziehung oft verschwiegen oder kleingeredet – ein deutliches Zeichen dafür, dass lesbische Frauen noch öfter als schwule Männer in der Geschichtsschreibung unsichtbar gemacht und ausradiert werden.

Ein berühmtes Zitat von Neff (nach der Befreiung) macht nachdenklich: "Meine größte schauspielerische Leistung habe ich nicht am Theater vollbracht, sondern während der Jahre unter Nazi-Herrschaft."

14. Heumühlgasse 18: Start der österreichische Schwulenbewegung

Der berühmte Psychoanalytiker (und Schüler Sigmund Freuds) Willhelm Stekel versuchte hier 1907, gemeinsam mit einem gewissen Ingenieur Joseph Nicoldani, ein österreichisches Gegenstück zum weltberühmten deutschen WHK (Wissenschaftlich-Humanitäres Komitee rund um Magnus Hirschfeld) zu gründen. Es blieb allerdings beim Versuch, die Widerstände waren zu groß. Trotzdem kann dies als Startschuss für die Schwulenbewegung in Österreich gesehen werden.

15. Mahnmal gegen Krieg und Faschismus: HOSI-Demonstration wurde abgewürgt 

Am Albertinaplatz befindet sich das Mahnmal gegen Krieg und Faschismus, errichtet vom österreichischen Bildhauer Alfred Hrdlicka. Als das Denkmal 1988 enthüllt wurde, kam es zu einer Demonstration der HOSI-Wien (Homosexuelle Initiative Wien), die für eine Anerkennung homosexueller Opfer des Nationalsozialismus eintraten. Die Folge: Platzverweis und Beschlagnahmung des Transparents. 

Brunner (der zu diesem Thema das Buch "Als homosexuell verfolgt: Wiener Biografien aus der NS-Zeit" verfasste) schüttelt bedauernd den Kopf: "Erst 2005 wurden die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus offiziell anerkannt. Doch da war keines von ihnen mehr am Leben."


Haben Sie Lust bekommen, noch tiefer in die queere Geschichte Wiens einzutauchen? Der KURIER empfiehlt die "queeren Stadtführungen", die in unregelmäßigen Abständen vom Wiener Kulturzentrum QWIEN (Guide ist Andreas Brunner) angeboten werden. Besichtigt werden Orte, die mit Homo- oder Transsexualität in Verbindung stehen, untermalt mit hochinteressanten historischen Anekdoten und Hintergrundinformationen. Mehr Infos finden Sie hier.