Pride Month: Wo ist die Toleranz INNERHALB der Community?

Im ersten Teil dieser Kolumne habe ich mich gefragt, ob es den Pride Month überhaupt noch braucht und was ihn tatsächlich umgibt: heiliger Schein oder Scheinheiligkeit?
Hier in Teil 2 sei aber auch noch Kritik an den eigenen (queeren, vor allem Gay-)Reihen erlaubt, denn auch hier mag so manch bunt glänzender Diamant eher ein trüber Strassstein sein: Es ist, wie es so schön heißt, richtig und wichtig, nach außen hin Gleichstellung zu fordern. Jedoch wäre es genauso richtig und wichtig, in Sachen Toleranz vor der eigenen Community-Tür zu kehren zu beginnen.
Das darf man vielleicht laut nicht sagen. Man sollte es aber. Schweigen hilft niemandem.
Bestimmt von einer totalitären Sexualisierung
Die queere Community, allen voran jene der schwulen Männer, ist geprägt von Körperkult und unrealistischen Körperidealen. Das ist kein Geheimnis. Die Gutaussehenden, betont Heterosexuell-Wirkenden bestimmen die Spielregeln und somit das Marktgesetz, räkeln sich in der heißen Sonne der Bewunderung. Die Gefahr des Verbrennens ist oftmals nur für die eigene Seele gegeben. Und wer sich nicht an die Spielregeln hält, wird rausgeworfen. Schwuler, ärgere dich nicht!
Schwule wehren sich mit Händen und Füßen dagegen, auf ihre Sexualität reduziert zu werden, und doch wird diese Community großteils von einer "totalitären Sexualisierung", wie es Matthias Hirt im Roman "Lutra Lutra" treffend beschreibt, bestimmt – weshalb bei der Regenbogenparade auch gerne viel nackte Haut gezeigt wird. (Wilde, freie) Sexualität wird als Zeichen der Emanzipation verstanden. Diese aber geht gleichzeitig mit Ausgrenzung in den eigenen Reihen einher, sei es in Bezug auf das Alter (ab 30 gilt man als steinalt), das Aussehen, der Herkunft oder der Vorliebe zum Femininen. Das darf nicht so bleiben.

Die Community ist so viel mehr
Auch der Pride Month wird leider zum Großteil von Bildern herausgeputzter, flamboyanter, exhibitionistischer und vor allem hedonistischer schwuler Männer bestimmt, von denen manche schon mal aus den Augen verlieren, dass es hier nicht um eine vierwöchige Party, sondern um einen nach wie vor andauernden politischen Kampf geht.
Doch die Community ist (viel) mehr. Wenn die Medien, aber auch nicht zuletzt sie selbst es zulassen und die eigene Vielfalt nicht mit aller Kraft unsichtbar machen würde. Scheinheiligkeit, Ausgrenzung und Intoleranz spielen auch inmitten der gesellschaftlich oftmals diskriminierten LGBTQIA+ -Gruppe eine Rolle. Weil es uns so beigebracht wurde? Weil wir Gleiches mit Gleichem vergelten wollen? Aus Selbsthass? Der richtige Weg ist das nicht. Ein Abbiegen ist aber noch möglich.
Zeit zum Nachdenken – für alle
Ob nun lebensbejahende Party oder notwendiges Übel: Der Pride Month ist nach wie vor ein Muss, besonders in Zeiten von international verstärktem Rechtsruck. Weil Gleichstellung nach wie vor nicht erreicht ist, aber nur so eine Gesellschaft (glücklich) funktionieren kann. Und auch, weil aus einem Kaleidoskop aus Farben ein unbarmherzig reflektierender Spiegel werden kann. Egal ob für hetero, queer, Mann, Frau oder alles dazwischen. Nehmen wir uns alle (!) also ein bisserl Zeit zum Nachdenken inmitten des bunten Wirbelsturms.
Wenn Sie beide Teile dieser Kolumne gelesen haben: Dankeschön! Wenn Sie mir aber wirklich eine Freude bereiten wollen, dann helfen Sie mit, dass ich diese Zeilen in ein paar Jahren nicht erneut schreiben muss.
"Homonormativ" ist die neue Kolumne von Newsdesk-Redakteur Manuel Simbürger über die Lebenswelt als schwuler Mann (mit Behinderung) und all die großen und kleinen Hürden, die damit einhergehen – Alltags-Homophobie inklusive. Weil Farben nicht mehr so schön sind, wenn sie verblassen. manuel.simbuerger@kurier.at
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