Kralicek geht essen: Welt ohne Wirt

Malen wir den Teufel doch einmal an die Wand: Wie würde sie aussehen, so eine wirtenlose Welt?
Wolfgang Kralicek

Wolfgang Kralicek

Unter Theaterleuten grassiert die Sorge, dass ihnen das Publikum abhandenkommen könnte. Manche werden jetzt vielleicht sagen: Die Sorgen möchten wir haben! Andere wiederum werden nicht ganz verstehen, was das Problem ist: Wie soll einem etwas abhandenkommen, das eh nicht mehr da ist? Aber so weltfremd sind die Theaterleute auch wieder nicht. Natürlich wissen sie, dass ihre Zuschauerräume derzeit leer sind, weil die Leute nicht ins Theater gehen dürfen. Sie sind gedanklich aber schon einen Schritt weiter und malen sich aus, wie das wohl sein wird, wenn die Theater irgendwann – nach Ostern vielleicht, oder zu einer anderen heiligen Zeit – wieder aufsperren können. Möglicherweise werden einige Menschen dann schon vergessen haben, dass sie einmal alle paar Wochen ins Theater gegangen sind. Andere könnten während des Lockdowns draufgekommen sein, dass man auch ohne Theater ganz gut leben kann. Der Albtraum des Intendanten: Der Lockdown ist vorbei – und es kommt trotzdem niemand. So, und jetzt stellen wir uns dasselbe für die Gastronomie vor. Ja, natürlich ist eine Welt ohne Wirtshäuser eine noch unrealistischere Vorstellung als eine Welt ohne Theater. Aber malen wir den Teufel doch einmal an die Wand: Wie würde sie aussehen, so eine wirtenlose Welt?

So wie jetzt halt, könnte man sagen. Stimmt schon, aber noch sind sie ja da, die Wirtshäuser, wir dürfen nur nicht rein – und leiden darunter. In dem Horrorszenario, das hier entworfen wird, haben wir das schon hinter uns. Es gibt keine Lokale mehr, und die Menschen haben längst vergessen, dass sie früher gern auswärts gegessen und getrunken haben. Jetzt bleiben sie lieber zu Hause und kochen selbst. Die meisten backen auch ihr Brot selber, weshalb es auch schon lange keine Bäckereien mehr gibt (wie wir jetzt wissen, war der Sauerteig- Luxusbäckereienkult der frühen 20er-Jahre nur ein letztes Aufbäumen vor dem Untergang dieses ehrwürdigen Handwerks). Wer nicht kochen kann oder will, lässt sich was liefern. Das Take-away- Essen wird in gigantischen Großküchen hergestellt, die in ehemaligen Theatergebäuden eingerichtet wurden und von der Tochterfirma eines globalen Onlinehändlers („Mjamazon“) betrieben werden. Die Qualität der Speisen ist tadellos, und man kann dort wirklich alles bestellen. Aber wer Pech hat und den Boten verpasst, muss sein Essen aus einem weit entfernten und schlecht klimatisierten Handyshop abholen. Da könnte man dann eigentlich gleich essen gehen, wenn man das noch könnte.

Mit der Zeit, und langsam nähert sich diese trostlose Dystopie ihrem überraschenden Happy End, werden die Menschen dann draufkommen, dass ihnen etwas fehlt. Eine wird anfangen, ihre Nachbarn zum Essen einzuladen, und sie beim zweiten, dritten Mal um einen Unkostenbeitrag bitten. Ein anderer wird einen Klapptisch auf den Gehsteig stellen, sich an den Tisch setzen und ein erfrischendes Getränk zu sich nehmen. Bald werden sich andere zu ihm gesellen, und so weiter, man kann sich vorstellen, was jetzt kommt.

Genau, die Wirte werden aus dem Boden schießen wie die Eierschwammerln, mit dem Unterschied, dass wir sie auch finden werden. Kann sein, dass es im Handyshop eine Zeit lang streng riechen wird. Das sind dann die Essenspakete, die keiner mehr abholen wollte.

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