Kralicek geht essen: Wir Wutgäste

Wir verzehren uns nach den hundert Mal gehörten Schmähs der Oberkellner, sie werden Musik in unseren Ohren sein.
Wolfgang Kralicek

Wolfgang Kralicek

Reden wir einmal nicht über Corona, reden wir über ein lustigeres Thema. Sagen wir: Woodstock. Als damals ein Wolkenbruch das Festivalgelände in eine Schlammgrube verwandelte, skandierten die Hippies „No rain! No rain!“, um das Unwetter zu vertreiben. Ähnlich irrational erscheinen heute, mehr als 50 Jahre später, die sogenannten Corona-Demonstrationen; der Unterschied ist, dass Letztere leider ernst gemeint sind. An dieser Stelle könnten einem auch die sogenannten „Wutwirte“ in den Sinn kommen. Nachdem der Lockdown – unter anderem – für die Gastronomie verlängert worden war, platzte einigen Gastronomen der Kragen und sie beschlossen, ihre Lokale aus Protest aufzusperren. Ausgeschenkt haben die Wutwirte nichts, strafbar machen wollten sie sich dann doch nicht. Das Ganze war also eh nur ein symbolischer Akt des Widerstands, und natürlich kann man die Wut und die Verzweiflung der Wirte auch nachvollziehen. Aber einen komischen Beigeschmack hat schon auch diese Corona- Protestaktion. Niemand ist schuld an einer Naturkatastrophe, nicht einmal „die Politiker“.

Und außerdem: Was sollen wir Gäste sagen? Auch wir sind wütend, aber wir reißen uns zusammen. Eines könnt ihr uns glauben, liebe Wutwirte: Ihr fehlt uns mindestens so sehr, wie wir euch abgehen. Wir haben es satt, dauernd selber kochen zu müssen. Wir können unsere, wenn’s hochkommt, zehn Standardgerichte selbst bald nicht mehr riechen – bei den von uns bekochten Angehörigen ist es längst so weit.

Wir sind aber auch Take-away-müde, immer dieses lauwarme Essen in diesen sterilen Styropor-Behältern ist auch keine Dauerlösung. Vor allem aber fehlen uns die Wirtshäuser selbst. Daheim ist Essen zubereiten trostloser Alltag wie Wäsche waschen oder Bett machen: lästig, aber unvermeidlich. Von festlichen Ausnahmen abgesehen, hat die private Nahrungsaufnahme jedenfalls wenig Feierliches an sich. Es soll nicht allzu aufwendig sein, es soll satt machen, und Gemüse soll am besten auch dabei sein. Spaß ist das keiner. Auswärts hingegen hat jede Mahlzeit etwas von einem Ereignis. Schon allein, dass man das Essen an den Tisch gebracht bekommt, ist doch eigentlich ein Wahnsinn. Was für eine Show! Wenn ihr wüsstet, wie wir das vermissen. Wir sehnen uns danach, wieder panierte Fleischteile oder andere ungesunde Sachen bestellen zu können, wenn gerade niemand da ist, der uns dafür zumindest tadelnde Blicke zuwerfen würde. Wir freuen uns darauf, in der Mittagspause mit Wildfremden den Tisch teilen zu müssen, weil das Stammbeisl am Mittwoch, wenn es Schinkenfleckerln als Mittagsmenü gibt, immer so voll ist. Oder am Freitag, wegen der gebackenen Scholle. Aber was steht am kommenden Dienstag auf der Karte? Auch wir brauchen mehr Planungssicherheit! Wir lechzen nach einem frisch gezapften Bier. Wir gieren nach einem großen Braunen, den wir nicht in einem Pappbecher, sondern an einem Cafétisch serviert bekommen. Wir verzehren uns nach den hundert Mal gehörten Schmähs der Oberkellner, sie werden Musik in unseren Ohren sein. Liebe Wutwirte! Wir versprechen hoch und heilig, dass wir nach dem Lockdown alle wieder zu euch kommen werden. Wir sind hungrig, wir sind durstig, und wir sind viele. Aber bitte, macht jetzt keinen Blödsinn, wir können über alles reden. Jetzt warten wir aber einmal, bis der Regen nachlässt.

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