Kralicek geht essen: Die Sperrstunde

Ein Gasthaus ist eben mehr als ein schnödes Geschäft. Es kann auch Heimat, Schutzzone oder Freiraum sein.
Wolfgang Kralicek

Wolfgang Kralicek

Die schrittweise Öffnung der Gastronomie nach dem Lockdown hat ein Schlaglicht auf eine Geißel der Menschheit geworfen, die man längst schon besiegt glaubte: die Sperrstunde. Warum diese bei den Gästen nicht den besten Ruf hat, ist leicht erklärt. Man lässt sich ja schon von den Eltern („Spätestens um neun bist du zu Hause!“) oder später vom Lebenspartner („Komm nicht zu spät, ja?“) nur ungern sagen, wann es genug ist. Und jetzt soll das der Wirt für einen entscheiden?

Die meisten von uns – radikale Wirtschaftsliberale jetzt einmal ausgenommen – finden es völlig normal, dass Supermärkte oder andere Geschäftslokale irgendwann zusperren. Bei Ess- und Trinklokalen ist das anders. Daran kann man einmal mehr erkennen, dass ein Gasthaus eben mehr ist als ein schnödes Geschäft. Es kann auch Heimat, Schutzzone oder Freiraum sein; die Sperrstunde steht also für Werte, die sonst eigentlich unbefristet gültig sind. Man denke nur an das alte West-Berlin, das zwar eingemauert war, diesen beklemmenden Umstand aber dadurch kompensierte, dass es in der Stadt keine polizeiliche Sperrstunde gab.

Problematisch an der Sperrstunde ist schon die schwammige Definition: Man weiß nicht, was genau damit eigentlich gemeint ist. Bezeichnet der Begriff „Sperrstunde“ den Zeitpunkt, ab dem niemand mehr rein darf, oder müssen dann schon alle draußen sein? Tendenziell leider Letzteres, was eine weitere Frage aufwirft: Bis wann darf eine Bestellung aufgegeben werden? Kommt darauf an – das macht es ja so kompliziert. Umsichtige Wirtinnen oder Kellner rufen freundlicherweise eine „letzte Bestellung“ aus. Weniger nett ist allerdings, wenn sie dann – wie das unlängst einem Freund von mir passiert ist – ein letztes Krügerl servieren und zehn Minuten später wegen Sperrstunde die Sessel auf die Tische stellen.

Das führt uns zum sogenannten „Küchenschluss“, einem nahen Verwandten der Sperrstunde.

Jedes Lokal hat seine eigenen Gesetze, und manche sind ja auch ganz lustig. In meinem langjährigen Stammbeisl etwa waren die Kellner dazu angehalten, am Ende des Arbeitstags die Espressomaschine zu reinigen. Wer eine halbe Stunde vor der Sperrstunde auf die Idee kam, noch einen Kaffee trinken zu wollen, war meist zu spät dran: „Jetzt hab ich die Maschin’ schon geputzt!“

Das führt uns zum sogenannten „Küchenschluss“, einem nahen Verwandten der Sperrstunde. Zwischen Küchenschluss und Sperrstunde liegen meist etwa ein, zwei Stunden. Diese Zeit soll dazu dienen, die Küche aufzuräumen und sauber zu machen, sodass bei der Sperrstunde dann gleich zugesperrt werden kann. Klingt an sich nachvollziehbar. Schade nur, dass auch hier viel Unsicherheit im Spiel ist. Wenn, sagen wir, 22 Uhr als Küchenschluss angegeben ist, bedeutet das in den meisten Fällen nämlich nicht, dass man tatsächlich bis 22 Uhr warme Mahlzeiten bestellen kann. Schon zehn oder fünfzehn Minuten vor Küchenschluss verweist der Kellner achselzuckend darauf, dass der Koch leider schon beim Zusammenräumen sei, wenn er nicht überhaupt bereits das Lokal verlassen hat. In einem hippen Burgerlokal war eine Zeit lang Folgendes zu lesen: „Warme Küche bis 22 Uhr, letzte Bestellung bis 21.45 Uhr.“ Das ist fast schon überkorrekt formuliert; besser wäre trotzdem, wenn’s einfach tatsächlich bis zum Küchenschluss was zu essen gäbe.

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