Kralicek geht essen: Der Würstelstand
Es wird einem ja immer schwerer gemacht, ein ungesundes Leben zu führen. Exzessiver Alkoholgenuss? Bringt einen gleich in Verdacht, ein Superspreader zu sein. Rauchen? Ist theoretisch zwar noch legal, praktisch aber nicht mehr wirklich gesellschaftsfähig. Essen? Wird auch immer veganer. Bleibt eigentlich nur noch eine halbwegs akzeptierte Bastion des weder cholesterin- noch sonst irgendwie bewussten Genusses: der Würstelstand. Hier werden spätnachts sogar Superfood-Fetischisten und Bio-Apostel schwach.
„A Kracherl und a Burenhaut, des hot mi oft scho vireg’haut auf d’Nocht, wann da Mogn krocht.“ Wolfgang Ambros und Georg Danzer haben das einst – wahrscheinlich am Würstelstand – getextet, und dass das Lied 45 Jahre alt ist, merkt man nur daran, dass darin von einer „Burenhaut“ die Rede ist. Die gekochte Burenwurst, auch „Haaße“ genannt, ist am Würstelstand aus der Mode gekommen, schon seit Langem hat dort die gegrillte Wurst die Oberhand geworden. In Salzburg, wo dieser Trend offenbar noch nicht angekommen ist, verzehrte ich an einem Nachtimbiss unlängst eine gekochte Käsekrainer – und erkannte meine Lieblingswurst kaum wieder. Ich glaube mich zu erinnern, dass es an Wiener Würstelständen eine Übergangsphase gab, in der man die Käsekrainer wahlweise gekocht oder gegrillt bestellen konnte, aber das ist lange her. Die gegrillte Variante hat sich, völlig zu Recht, durchgesetzt (das gilt auch für die Burenwurst, die Waldviertler, die Scharfe usw.). Noch nie übrigens habe ich an einem Würstelstand erlebt, dass jemand eine „Eitrige“ bestellt. Dass das ein Wiener Slangausdruck für Käsekrainer sein soll, stand irgendwann in einem pfiffigen Reiseführer; seitdem haben sich unzählige Touristen damit blamiert. (Der Vorgang erinnert an den Monty-Python-Sketch mit den gefälschten Wörterbüchern, die dazu führen, dass ungarische Touristen in Londoner Trafiken lustige Sätze wie „Mein Luftkissenfahrzeug ist voller Aale“ sagen.)
Eine Zeit lang war zu befürchten, dass der Würstelstand vollständig durch Kebab-Buden und Asia-Imbisse verdrängt wird. Diese Gefahr scheint gebannt. Allein in meiner unmittelbaren Umgebung wurden in den letzten paar Jahren drei Würstelstände, die lang leergestanden waren, neu übernommen – und erfreuen sich vor allem nachts großer Beliebtheit. Die Nacht ist sowieso die große Zeit des Würstelstands. Wenn die anderen Lokale zugesperrt haben, kommen die Hungrigen und Durstigen der Stadt hier zusammen: Bobos und Prolos, Junge und Alte, G’stopfte und Negeranten bilden am Würstelstand eine Zweckgemeinschaft. Auch das schlechte Gewissen – von wegen gesunde Ernährung – lässt sich zu später Stunde leichter überlisten: Wo soll man denn jetzt bitte sonst hingehen? Außerdem spielt Gemüse am Würstelstand eine erstaunlich wichtige Rolle. Die scharfen und die milden Pfefferoni, die Essig- und die Salzgurken, die Perlzwiebeln – nirgendwo isst man davon so viel wie hier (und Perlzwiebeln isst man eigentlich überhaupt nur am Würstelstand). Zu klären sind jetzt nur noch ein paar ganz grundsätzliche Fragen. Als Hotdog oder aufgeschnitten? Aufgeschnitten. Süß oder scharf? Süß! Brot oder Semmel dazu? Brot. Darf’s ein Scherzerl sein? Okay, aber nur, wenn es wirklich witzig ist.
Kommentare