Kralicek geht essen: Der Inder

Was Inderinnen und Inder von unseren indischen Restaurants halten, wäre interessant zu wissen.
Wolfgang Kralicek

Wolfgang Kralicek

Die indischen Restaurants meiner Wahl heißen „Zum Moghulhof“ und „Bombay“, aber ihre Namen spreche ich nur höchst selten aus. Wie die meisten Menschen gehe ich einfach zum „Inder“, so wie ich zum Türken, zum Chinesen oder zum Griechen gehe (Gendern hat sich bei Ethno-Lokalen noch nicht durchgesetzt). Warum das so ist, liegt auf der Hand: In diesen Fällen ist die grundsätzliche Ausrichtung der Küche wichtiger als das konkrete Restaurant. Der erste Impuls, der mir durch den Kopf geht, lautet nicht „Ich will wieder einmal ins Bombay gehen“, sondern „Ich hab Lust auf Indisch“. Erst danach kommt die Frage auf, in welches indische Restaurant es gehen soll. Es ist anscheinend nicht so wichtig.

Bei Tandoori-Huhn und Lammcurry kenne ich mich nicht so gut aus wie bei Backhendl und Reisfleisch, so geht es wohl den meisten von uns. Unsere Vorstellungen von indischer Küche sind so standardisiert wie die Speisekarten der indischen Restaurants, die sich nur in Nuancen voneinander unterscheiden. Aber so negativ, wie das jetzt klingt, ist es nicht gemeint, im Gegenteil. Ich gehe ja auch deshalb gern zum Inder, weil er so verlässlich ist: Obwohl das eigentlich eine ganz schön exotische Küche ist, weiß ich dort ganz genau, was auf den Tisch kommt: butterweich gekochte oder knusprig gegrillte Fleischstücke (wahlweise Huhn, Rind oder Lamm) in würziger Sauce, dazu duftiger Reis (mit Mandeln und Rosinen!) und Naan, das weiche Fladenbrot. Wie die kitschigen Shiva-Bildnisse an den Wänden und die hypnotischen Tabla-Loops aus den Lautsprechern gehören auch die Warmhalte- platten auf den Tischen beim Inder zur Standardausstattung. Das indische Essen wird nämlich auf Tabletts und in Schüsseln serviert, von denen man sich dann selbst kleinere Portionen auf den Teller lädt. So kann man sich Zeit lassen beim Essen, ohne dass es kalt wird. Das langsame Essen ist erstens gesund und erleichtert zweitens das Gespräch mit den anderen am Tisch; abgesehen davon, dass das Teilen oder Kosten von Gerichten, das hier besonders leicht fällt, die Kommunikation fördert. Ein Besuch beim Inder ist also auch ein soziales Ereignis.

Was Inderinnen und Inder von unseren indischen Restaurants halten, wäre interessant zu wissen. Ich vermute, dass es für Spezialisten und Expats auch in Wien gut versteckte Lokale gibt, wo im Hinterzimmer dampfende Töpfe mit authentisch zubereiteten Schmorgerichten aus schwer zugänglichen vorderindischen Provinzen aufgetischt werden. Was beim Inder ums Eck auf der Speisekarte steht, ist bestimmt an europäische Geschmäcker und Verdauungsapparate angepasst. Vor allem ist es ziemlich sicher deutlich milder gewürzt als in den Originalrezepten. Das Service ist in indischen Restaurants in der Regel überdurchschnittlich höflich. Nur das Lächeln, mit dem der Kellner nachfragt, ob Sie ein Gericht „scharf“ oder nur „wenig scharf“ zubereitet haben möchten, kann eine Prise Grausamkeit enthalten.

Wichtiger Hinweis: Wenn Sie diese Frage hören, antworten Sie um Himmels willen „wenig scharf“. Zu viele haben in dieser Situation schon versucht, den Helden zu spielen. Und es danach bitter bereut.

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