Rabinowich geht essen: Das Meer in uns

Wer ein Sommerdate bei knusprig gebratenem Meeresfrüchtenteller für zwei, aber vorläufig ohne Meeresbrise, angehen will, dem wird hier auch geholfen.
Julya Rabinowich

Julya Rabinowich

Wer sich in Familie begibt, kommt darin um, hält Heimito von Doderer fest. Nein! Wer sich in Familie wagt, wird oft einfach gemästet, bis er platzt. Und wer Sehnsucht nach einer solchen Familie entwickelt, aber keine entsprechend essfreudige bei der Hand hat, kann sich eine fremde einverleiben, zumindest vorübergehend. Am Vorgartenmarkt haben sich gleich mehrere Paralleldimensionen geöffnet: Hier kann man nicht nur Familie finden, sondern auch das Meer. Der Fischladen der Familie Babaev, mit der mich dieselbe Geschichte der Migration in fremde Gezeiten verbindet, ist eine Perle, aber nicht vor die Säue, sondern für die Fischliebenden. Nicht auszudenken, was mir entgangen wäre, wäre ich nach Verlassen der Sowjetunion nicht in Wien gelandet. Oder die Familie Babaev.

Fisch am Markt heißt der mit blauen Kachelschuppen verzierte Laden folgerichtig und bietet jetzt auch einen kleinen Gastgarten. Esther Babaev kümmert sich um den Ablauf. Ihr Sohn Moshe gibt sich seiner Leidenschaft hin, Fine Dining und Fish Street Food zu verbinden. Hafenstädte und Fischereiregionen Europas von Norwegen über Kopenhagen und Sardinien bis Kroatien und Griechenland bieten die Kulisse für seine Suche nach Inspiration, eine Inspiration, die recht ansteckend wird, sobald man den Laden betritt.

Hier riecht es nach Fernweh und Urlaub. Wie die Tropfen der Mary Poppins schmeckt bekanntlich für jeden das gleiche Fernweh aber unterschiedlich: Wer sich an die Nordsee imaginieren will, bedient sich bei den Nordseekrabben. Wer auf den Mittelmeerurlaub hofft, zieht sich Calamari vom Grill rein. Mit knacki- gem Gemüse. Und mit Aioli oder Pesto Genovese. Für die Hausmannskostigen gibt es gebackenen Fisch mit geschmeidiger, intensiver Sauce Tartare. Und Bratkartöffelchen. Oder Kartoffelsalat. Wen hingegen es weiter und immer weiter in die Ferne zieht, der kann Thunfisch und Riesengarnelen und Wakamesalat an seine Gaumenknospen schmiegen. Hier gibt es aber auch geräucherten Dorschrogen, den man zu Hause in Scheibchen schneiden, mit Zitrone beträufeln und mit Baguette und Wein zu Gemüte führen kann, am besten mit einem tiefgründigen philosophischen Gespräch – vorzugsweise nicht mit sich selbst, es geht aber auch. Wer ein Sommerdate bei knusprig gebratenem Meeresfrüchtenteller für zwei, aber vorläufig ohne Meeresbrise, angehen will, dem wird hier auch geholfen. Für die mit dem Englandflow: Es gibt auch Fishburger, Baby. Sogar die Sehnsucht nach Silvesterparty kann man hier stillen, und damit nicht nur im Raum, sondern auch in der Zeit reisen. Die Salate bieten absolute Neujahrsfestqualität: Flusskrebssalat mit Calvados, Heringsröllchen und Cocktailsauce und Jacobsmuscheln und Aiolidip, wohin das hungrige Auge, das immerhin auch mitspeisen will, reicht. Die Bio-Süßwasserfische stammen alle von österreichischen Fischereien, bei den Meeresfischen setzt der Familienbetrieb Babaev auf zertifizierte Partner, welche die Regeln des nachhaltigen Wildfangs be- herzigen. Genuss steht hier auch für Verantwortung, und das schmeckt eigentlich noch besser.

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