Schauspiel mit Masken – der Commedia dell‘Arte
Mit einer turbulenten, bitterbösen Komödie über Pest (Corona?!), Geldgier, Flucht, Grenzen und noch mehr tourt derzeit die freie Theatergruppe „Tà Panta Rheî“ (nach dem altgriechischen Heraklit-Spruch – „alles fließt“) durch Wien.
Nach der Welt-Uraufführung am Wochenende spielen Adriana Salles, Andreas Simma und Roman Maria Müller „Die Pest in Wien oder die Hoffnung stirbt … zuletzt“ noch einmal beim Kultursommer „Wien dreht auf“ (noch am 15. August – siehe Infos). Außerdem spielt das Trio diese Commedia dell’Arte mit Masken (!) ab Mittwoch (12. August 2020) im kleineren Innenhof des Volkskundemuseums (Laudongasse, ebenfalls siehe Infos) einmal wöchentlich.
Von der Straße auf die Bühne
Letzteres freut das Trio, das auch gemeinsam das Stück entwickelt hat, besonders. Denn, so Simma, der diese Theaterform auch unterrichtet, im Palais Schönborn in dem das Museum untergebracht ist, ließ er Statuen dieser archetypischen Figuren aufstellen – die dort nicht mehr stehen und niemand weiß, wo sie sind. Graf Schönborn (vor rund 300 Jahren) war Fan der aus Italien kommenden Commedia dell’Arte, ursprünglich eine Form des Straßentheaters.
Als im Frühjahr die Theater wegen Corona schließen mussten, trug sich das Trio mit dem Gedanken, auf der Straße zu spielen – im Freien mit Abstand. Dann erfuhr die Gruppe vom geplanten Kultursommer – und wurde engagiert. So gab’s die Welt-Uraufführung am Wochenende – erst am Wallensteinplatz (Brigittenau) und die zweite Vorstellung am Hannah-Arendt-Platz in der Seestadt (die der Kinder-KURIER besuchte).
Handlungsbogen
Der Handlungsbogen beginnt – nachdem die drei schon auf offener Bühne in ihre ersten Rollenkostüme schlüpfen - jenseits des großen Meeres, wo Salles – einfach ein Mensch - einem grausamen Herrscher entkommt. Damit knüpft das Stück bei der Herkunft der Theaterfrau an (französische Brasilianerin mit afro-indigenen Wurzeln). Die Aufführung in der Seestadt wurde übrigens via Internet online dorthin übertragen, Salles‘ Mutter ist anfangs auf dem Smartphone auf einem Publikums-Tisch zu sehen.
Sie strandet in Europa, landet irgendwann in Wien – bei den erstbesten Nachtwächtern. Deren Order: Kein Fremden ins Land zu lassen – wegen der Pest. Die verseuchen alles. Und alle solchen Subjekte sollen sofort des Landes verwiesen werden.
Verkannter Künstler
Wächter Walter Swoboda fühlt sich als verkannter Künstler. (Übrigens: Das tschechische Wort swoboda heißt auf Deutsch „Freiheit“.) Als die Zuwandererin offenbar die einzige ist, die sein Talent erkennt, lässt er Gnade walten. Vorerst.
In dieser Szene fällt auch der erkenntnisreiche Satz: „Kunst kennt keine Grenzen. Grenzen kennen keine Kunst!“
Doch Job, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, kann auch Swoboda ihr nicht verschaffen. Dienstleistungen für einen der reichen Herren – kriegt sie auch nicht bezahlt.
Der einzige, der ihr eine Stelle – vorübergehend – anbietet ist der Tod. Der hat ja jetzt viel zu tun… Und er dreht den Spieß um, als Swoboda auf Befehl seines Kommandanten die Fremde doch töten will, kommt sein Job-Angebot.
Anspielungen
Dieser Mensch aus Übersee zieht immer wieder ein kleines Mäuschen namens Ferdinando aus einer Hosentasche – liebt es, hat es im Notfall zum Fressen gern. Existiert die Maus? Ist es ein Maskottchen? Sind es nur Erinnerungen? Oder ist es eine Anspielung auf deren Verwandte, die Ratten, die als Verbreiter der Pest galten?
Das Stück spielt mit vielen An„spielungen“, als tierische auch eine Fledermaus – die ja angeblich am Beginn der Corona-Kette stand/lag/flog.
Viele Rollenwechsel
Das Trio wechselt – meist blitzschnell – die Rollen – viele davon in Commedia dell’Arte-Masken. Die Figur des Menschen wird auch zum Arlecchino, dem Harlekin, Vorläufer von Hans Wurst, Wurschtel oder in der niedlicheren Form Kasperls.
Als Wachter treten Capitanos in Erscheinung: Ritter Friedrich Dieskau Wunderlich, Freiherr von Schasburgund (mit einer an Pinocchio erinnernden lange Nase) und Sergeant Walter Swoboda.
Dann wiederum tauchen sie als geizige, gierige Geldadelige Graf Popel und Fürchtenstein, Graf von Kotz und Darmwind und Gräfin Peitschenbrot und Zucker (klassische Pantalone-Masken) auf, die nun in Bestattungsunternehmen investieren wollen.
Schließlich braucht der Tod oder auch seine Helferin noch die bemaskten menschlichen Zuträger Brighella und Tartaglia mit Spielnamen Julius und Anton.
Spielfreude und –stärke
Der eine oder andere Übergang könnte noch flüssiger sein, Timing muss sich erst einspielen. Und: Auch wenn Original-Harlekin-Stücke durchaus häufig derb waren, die Realität noch derber ist und selbst im Kinderbuch-Bereich humorvolle Bücher übers Pupsen boomen, die Furz-Passage eines kranken Geldsacks könnte kürzer sein. Hier scheint das Bühnentrio vom eigenen Gefallen am Spiel mit einer tabuisierten Körperfunktion fast pubertär mit- und weggerissen zu werden.
Aber diese in Summe dann doch kleinen Verbesserungspotenziale sollen nicht die spielstarke und -freudige gute Stunde mit der eher selten gespielten Theaterform, dem Humor, den aktuellen Anspielungen und gar den wichtigen Aussagen mindern. Die umso wichtiger sind in Zeiten, in denen vielleicht die einen oder anderen die „Pest“ von heute zum Anlass nehmen wollen, Kunst und ihre Freiheit zu kürzen oder einzuschränken. Auch manch Kapazunder im Kulturbereich, die viel mehr Geld für sich verlangen, dafür aber gleich einmal Theater für länger schließen, also begrenzen, wollen.
Da passt ganz gut das vielleicht bekannteste – am Platz neben dem Kultursommer in Stein gemeißelte - Zitat der Polit-Theoretikerin und -Philosophin Hannah Arendt: „Niemand hat das Recht, zu gehorchen!“
„Die Pest in Wien oder die Hoffnung stirbt … zuletzt!“
Theatergruppe „Tà Panta Rheî“
Adriana Salles, Andreas Simma, Roman Maria Müller
Wann & wo?
Palais Schönborn/Volkskundemuseum
Donnerstag, 10. September
Sonntag, 13. September 2020
Jeweils 19 Uhr
1080, Laudongasse 15 -19
Eintritt: Freie Spende
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