Poetisches Märchentheater im Hof des Volkskundemuseums
Ein Bild von einer Familie. Zu viert sitzen die Puppen aneinander gekuschelt, tatsächlich in einem Bilderrahmen. Theaterrauch, karacho, der Rahmen wird entzwei gerissen. Die Familie ebenso – sozusagen in alle Himmelsrichtungen zerstreut.An Liina, der Puppe, die in Gestalt einer Schauspielerin (Hanna Victoria Bauer) zur Hauptfigur von „Kommt ein Mädchen geflogen“, wird noch links und rechts gezerrt, ja an ihren Armen gerissen. Das Bild aus dem „kaukasischen Kreidekreis“ taucht dabei im Kopf auf. Wem gehört das Kind – der biologischen Mutter oder jener Frau, die es in der Not gerettet und aufgezogen hat.
Allein unterwegs
Liina ist nun aber auf sich allein gestellt. So reist sie durch die Welt. Oder ist es eine Flucht. Wurde ihr Haus, ihre Familie durch eine Bombe zerstört? Auch dieses Bild kann sich aufdrängen. Vor allem in einigen der folgenden Szenen, wenn sie ausgehungert von einem Stück Brot abbeißt und die Umstehenden „Dieb!“ schreien. Oder sie an Türen klopft, die Bewohner_innen nicht reagieren bzw. sie gar rüde abweisen. Oder als im Verhör-Befehlston nach Name, Herkunft, Sozialversicherungsnummer usw. „gefragt“ wird.
Die „Mauer“ wird geöffnet
Doch Liina begegnet nicht nur ignorantischen und ablehnenden Menschen. Die karikaturenhaften Polizisten (neben Kari Rakkola, Tanju Kamer und Carlos Delgado Betancourt) die sie erst wegen des Bissen Brotes niedermachen, lassen ihr nun verspielt einen Apfel zukommen. Am feinsten vielleicht das überraschende Zusammentreffen mit dem tanzenden Gegenüber/Spiegelbild (Deborah Gzesh). Der bläuliche Vorhang, der die beiden – und das links und rechts sitzende Publikum – trennt wird geöffnet. Wir sind doch 1e Welt ;)
Zeit und Raum für Lächeln bis Lachen
Die Schauspieler_innen geben selbst in so manch düsterer Szene noch Ram für den einen oder anderen Schmunzler oder Lacher – etwa wenn in der Eiseskälte aus den umgedrehten Schirmen Papierkugel-Schneebälle zur lustigen „Schlacht“ einladen. Vollends heiter wird’s, wenn Liina auf eine Zirkustruppe trifft mit wunderbarer Clownin (Deborah Gzesh) und Artistengruppe, die sie motiviert bis drängt, selbst Akrobatin zu werden. Sogar die Behandlung ihres Absturzes wird durch die beiden clownesken Ärzte (Tanju Kamer und Carlos Delgado Betancourt) zur Schmunzel-Nummer.
Ach ja, und Happy End gibt’s auch.
Diesmal Mix aus unbekannte(re)n Märchen
Die Gruppe „Zenith Productions“, die schon in den vergangenen Jahren im kleinere Hof des Volkskundemuseums in der Wiener Laudongasse (Gartenpalais Schönborn) Theater gespielt hat, macht das heuer – natürlich unter entsprechenden Publikums-Abständen – ebenfalls. Spielte die Gruppe aus bunt aus der Welt zusammengewürfelten Künstler_innen bisher eher bekannte Stoffe (Kleiner Prinz, Reineke Fuchs…), so hat sich Regisseur und der Mastermind der Gruppe, Kari Rakkola, heuer an nordischen und skandinavischen Märchen bedient, die hierzulande kaum bis nicht bekannt sind.
Märchenhaft-poetisches (Schau-)Spiel mit Live-Musik
Was gleich bleibt ist das Schauspiel in märchenhaft-poetischer Form, wenigen Requisiten, verwandelbaren Stoffbahnen und Live-Musik am Rand des Hofes, der in diesem Jahr vor und rund um die Bühne noch ausgedehnter bespielt wird. Der Musiker Walter Nikowitz verwandelt selbst einen Metallkübel mit Blechdosen in ein Instrument.
Kommt ein Mädchen geflogen
Poetisches Märchen fast ohne Wort, ab 7 Jahren
im Innenhof des Volkskundeumseums Wien / Gartenpalais Schönborn
„Zenith Productions für Theater und Musik“
Konzept & Regie: Kari Rakkola
Mitwirkende: Carlos Delgado Betancourt (Schauspiel, Österreich/Kuba), Hanna Victoria Bauer (Schauspiel, Österreich), Deborah Gzesh (Schauspiel, Österreich/USA), Tanju Kamer (Schauspiel, Österreich/Türkei), Walter Nikowitz (Musik, Österreich/Argentinien), Kari Rakkola (Regie und Schauspiel, Österreich/Finnland)
Wann & wo?
Zwölf Vorstellungen: 15. Juli bis 9. August 2020
1080 Wien, Laudongasse 15-19
Eintritt: Freiwillige Spende (Die Hälfte davon kommt in guter Tradition SOS Kinderdorf zugute)
Telefon: 0677 614 05 081
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