Menschliche Flughilfe für Punks der Lüfte
Dieser Beitrag über das große Wieder-Ansiedlungs-, Aufzucht- und Zug-Routen-Programm verdankt seine Entstehung dem Besuch des Theaterstücks „Der Anti-Storch“ samt anschließendem Gespräch mit den Theaterleuten Gesa Bering und Stephan Dorn. Sie bezeichneten den Waldrapp, der übrigens nichts mit Wäldern zu tun hat, als Anti-Storch, weil der schwarze Vogel als Unglückszeichen gesehen worden sein soll, im Gegensatz zum „Baby-Bringer Storch.
Die genauen Ursachen, weshalb der Waldrapp, der zu den Ibis-Vögeln zählt und bis zu 30 Jahre alt werden kann, vor fast 400 Jahren in Mitteleuropa ausgestorben ist, sind noch nicht (ganz) erforscht. Vermutet wird ein Zusammenhang mit dem 30-jährigen Krieg (1618 bis 1648) und den davon ausgelösten Hungersnöten, erzählt Wiebke Hoffmann, von der Abteilung Forschung und Artenschutz im Tiergarten Schönbrunn, dem Kinder-KURIER und schauTV bei einem Besuch in der Voliere neben dem Elefantenhaus. Ergänzende Thesen besagen, dass hohe kirchliche Würdenträger besonders die angeblich wohlschmeckenden Vogelkinder gern verspeisten, womit auch der Nachwuchs dezimiert wurde.
Glänzend
Der Lokalaugenschein straft übrigens die These der Theaterleute, dass der Waldrapp im Gegensatz zum Storch eher hässlich wäre, Lügen. Gut, er verliert schon sehr jung die Behaarung am Kopf und sieht fast aus wie ein Punk mit großer Glatze, aber sein schwarzes Federkleid wird von grün-metallic-farbenen Federn ergänzt und glänzt auch bei nur sehr geringer Sonneneinstrahlung.
Die Schönbrunner Waldrappe - rund 40 Stück - stammen von einer halbwild lebenden Kolonie in der Türkei ab. Ganz wildlebende Populationen gibt es in Marokko und Syrien, berichtet die Expertin. Diese Vögel können aber nicht mehr ausgewildert werden. Waldrappe sind Zugvögel, in freier Wildbahn finden sie im Winter in unseren Gegenden nicht genug Würmer oder Insekten, die sie mit ihren langen, gebogenen Schnäbel aus dem (Wiesen-Boden) rauspicken.
Was Klein-Waldrapp nicht lernt ...
Wenn diese Vögel aber nicht in ihrem ersten Lebensjahr die Route ins Winterquartier, in dem Fall in die Toskana (Italien) vermittelt bekommen, lernen sie diese nie mehr. Deswegen ist der Zoo Vienna Mitglied eines acht Einrichtungen umfassenden Netzwerks in einem von der EU geförderten Projekt (EU Life plus). Ziel des mit den ersten Recherchen 2002 begonnen ab 2014 konkret in Angriff genommenen Projekts: Ganz jungen Waldrappen die Route beizubringen, damit die dann selbstständig leben können und ihren Kindern wiederum den Weg beibringen.
Waldrappe im Tiergarten Schönbrunn
Menschengeführte Migration
Dazu braucht’s sozusagen einen Umweg. Küken müssen in den ersten Lebenstagen an - ganz wenige - Menschen gewöhnt werden, denen sie dann nach wenigen Monaten in einem Ultraleicht-Flugzeug folgen. Und so steht derzeit in unmittelbarer Nähe der Waldrapp-Voliere ein Bau-Container. In diesem können wir - nur durch die Scheiben - zuschauen, wie Helena Wehner und Anne-Gabriela Schmalstieg um die Mittagszeit Mehlwürmer und andere vorgewärmte Kraftnahrung pürieren und den 32 Küken in ihre Schnäbel reichen.
Hand-Aufzucht
Zum Zeitpunkt unseres Besuches (zweite Maiwoche) sind die kleinen Waldrappe zwischen einem halben und einem Monat alt/jung. Täglich werden sie gewogen, anfangs acht bis neun Mal, nun nur mehr fünf Mal am Tag gefüttert. Die breiige Konsistenz ist der natürlichen Fütterung durch die Vogel-Eltern nachempfunden, die die Nahrung erst zerkleinern, runterschlucken und wieder hochkommen lassen, um sie anschließend aus ihren in die Schnäbel der Kinder flutschen zu lassen, erklären die beiden Betreuerinnen.
Sie verbringen rund ein Monat lang jeden Tag von 6.30 in der Früh an bis am Abend mit den Küken. Niemand anderer darf in den Container. Die jungen Waldrappe - sie kommen drei bis spätestens acht Tage nach der Geburt in einem Aufzuchtprogramm am Bodensee (bei Heiligenberg in der Nähe von Überlingen; die anderen Aufzucht-Brutgebiete sind Kuchl bei Salzburg und Burghausen in Bayern). Dort gibt es auch schon selbstständig, freilebende Waldrapp-Populationen. Wenn sie zurückkommen, werden sie selber dort brüten, Küken großziehen und ihren eigenen Kindern den Weg in den Süden, in die Toskana zeigen.
Die Waldrappe in der Schönbrunner Voliere brüten zu spät. Warum ist nicht bekannt, aber klar, dass sie bis August, wenn’s um den Zug ins Winterquartier geht, noch nicht ausreichend flugfähig wären.
Die beiden Frauen werden von den Küken sozusagen als ihre Eltern betrachtet. Sie werden sie ihr Leben lang erkennen. Zusätzlich tragen die beiden immer grellgelbe T-Shirts oder Pullis - das ist später für den Flug nicht unwichtig.
Routen-Hilfe
Nach einem Monat übersiedeln die beiden Betreuerinnen mit ihren 32 Schützlingen in das genannte Gebiet am Bodensee. Dort steht erstens ein größerer Wagen und zweitens eine anschließende Voliere zur Verfügung. Schritt für Schritt wird dann ihr Fluggebiet erweitert. Außerhalb der Voliere wird dann auch schrittweise der Flugradius vergrößert und die Waldrappe an das offene sehr leichte Fluggerät gewöhnt, in dem ihre menschlichen „Eltern“ in ihren gelben Pullis sitzen werden. Ihnen, und nur ihnen folgen sie. Sind sie dann in Orbetello angekommen. Bleiben sie ca. drei Jahre dort, bis sie geschlechtsreif sind und kehren dann - selbstständig - in ihr Brutgebiet zurück.
Von da an können sie allein leben und ihren eigenen Nachkommen in deren erstem Lebensjahr beim gemeinsamen Flug in den Süden, die Zug-Route beibringen.
Spielstationen beim Internationalen Weltzugvogeltag
Übrigens: Am zweiten Mai-Wochenende steht der Waldrapp im Mittelpunkt von Spielen und Informationen zum internationalen Weltzugvogeltag. Die Schnabelspitze dieser Vögel ist so empfindlich wie unsere Fingerspitzen. Kinder können bei einem Stocherspiel versuchen, verbuddelte Dinge so mit den Fingern zu ertasten wie die Vögel ihre Nahrung im Wiesenboden.
Natürlich kann auch durch die Containerfenster zugeschaut werden, wie die Küken gefüttert, gewogen oder mit ihnen gekuschelt wird.
Samstag 11. und Sonntag, 12. Mai 2019
Tiergarten Schönbrunn rund um die Waldrapp-Voliere - neben dem Elefantenhaus
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