Hilferufe von Schulklassen: „Hoffentlich kommen Ana und Mariam wieder!“

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Total integrierte Schülerinnen abgeschoben; eine davon war/ist Streitschlichterin. Für Gregor Seberg, mit dem sie bei Soko-Donau drehte, ist Ana ein „Goldsternchen“.

„Wir würden gerne mit Ana Weihnachten feiern.“ Dieser handschriftliche Satz steht auf einem der 28 gelben 5-zackigen Sterne auf einem großen roten Naturpapier-Bogen. Dieser Bogen – mit vielen anderen Wünschen – dazu später – steht angelehnt an den Sessel eines leer bleibenden Platzes in der zweiten Reihe der 4b der Mittelschule Kinzerplatz in Wien-Floridsdorf.

Nein, Ana ist nicht an Corona erkrankt, es gibt auch keinen Stern mit dem Wunsch nach baldiger Genesung. Die 13-jährige Schülerin – und ihre Schwester Mariam (9) müssen mit ihrer Mutter seit knapp einem Monat auf engstem Raum in einer kleinen Wohnung mit Großmutter und weiteren vier Verwandten in der georgischen Hauptstab Tbilisi (Tiflis) leben.

Abgeschoben, weil in Georgien kein Krieg mehr herrscht, vor dem zunächst der Vater der Familie geflüchtet war und dem dann Frau und die beiden ältesten Kinder gefolgt sind, nachdem er in Österreich für eine Bleibe gesorgt hatte. Mariam ist längst in Wien geboren worden, selbst Ana war erst zwei Jahre, als sie in Wien landete.

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Das Plakat mit 28 Sternen - in jedem Gedanken von Anas Mitschüler_innen - an sie und Wünsche/Hoffnungen für sie, aber damit auch die ganze Klasse

„Einzige Österreicherin“

„Ich hab geglaubt, sie ist die einzige Österreicherin in der Klasse“, erinnert sich Mitschüler Marcello an den Beginn der Mittelschulzeit als der Kinder-KURIER die Schule und Klasse besucht. „Ich bin schon hier geboren, aber die Ana konnte viel besser Deutsch als ich.“ So etwas in der Art steht auch auf einem der Sterne auf dem Plakat: „Deutsch ist Anas Muttersprache.“ Georgisch kann sie zum Hausgebrauch. Lesen und schreiben der einzigartigen Bogen- und Ringerl-Schrift – Fehlanzeige. Ein halbes Jahr vor dem Hauptschulabschluss sieht sich Ana – und mit ihr ihre 9-jährige Schwester Mariam - nun also als Quasi-Analphabetin in einem ihnen fremden Land wieder. Verängstigt und eingeschüchtert, verkrochen im hintersten Winkel der Oma-Wohnung, weil die Schwestern Georgisch so wenig können, dass sie auch kaum mit wem reden. Österreich ist ihre Heimat – wie ein weiterer Stern-Spruch von Anas Klasse zeigt.

„Sie war immer so positiv eingestellt, hat fast immer gelacht“, sagt Mitschülerin Jovana. Etwas was auch (Film- und Fernseh-)Schauspieler Gregor Seberg in einem Telefonat mit dem Kinder-KURIER erzählt – dazu später, bleiben wir noch in Anas – hoffentlich wieder - Klasse.

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Blick auf die 4b und den leergebliebenen Platz von Ana.

Streitschlichterin

Nour meint: „Sie hatte fast mit jedem in der Klasse sehr guten Kontakt“. Rasul knüpft an jenen Stern an, in dem steht, dass sie Peer-Mediatorin war, also eine Streitschlichterin – neben stellvertretender Klassensprecherin in mehreren Schuljahren: „Sie hat bei einem Konflikt oder Fehler beide Streitparteien dazu gebracht, sich gegenseitig dafür zu entschuldigen.“ Adrija ergänzt: „Sie war immer für jeden da, nie gegen wen.“ Samed fasst sozusagen zusammen: „Ana ist gutmütig, ideenreich, und hatte gute Beziehungen mit jeder und jedem.“

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Gregor Seberg blieb die damals 8-jährige aufgeweckte, herzensgute Jüngst-Kollegin Ana als "Goldsternchen" und mehr in Erinnerung

In Soko-Donau-Folge mitgespielt

Direktor Werner Schuster erwähnt im Gespräch, dass sie vor Jahren in einer Folge der ORF-Fernseh-Serie „Soko Donau“ mitgespielt hat. Deswegen kontaktiert der Kinder-KURIER Gregor Seberg, der jahrelang in der Serie den Polizei-Oberstleutnant Helmut Novak gespielt hat. Obwohl Ana damals – und das ist gut fünf Jahre her, dass diese Folge im „Freunde-schützen-Haus“ gedreht worden ist – nur eine kleine Statisten-Rolle hatte, hat sie offenbar einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

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Mariam und Ana - aus Wiener Tagen an der Alten Donau

Goldsternchen

„Ana ist immer das Goldsternchen gewesen“, ist (fast) das erste das Seberg im Telefonat mit dem KiKu einfällt. Bevor eine Nachfrage möglich ist, sprudelt der Schauspieler los, „weil sie so wahnsinnig aufgeweckt war, viel gelacht hat, an allem interessiert war. Sie ist auch für ihr gesamtes Umfeld ein total integratives Element, weil sie immer für etwas und nie gegen etwas aufgetreten ist.“

Weil sie darüber hinaus so talentiert agierte, habe die Regie damals beschlossen, die ganz kleine Rolle, die für sie vorgesehen war, auszubauen. „Sie hat das total toll gemacht, auch das ständige Wiederholen, das beim Film ja oft notwendig ist. Und sie hat Kindern, die nicht so gut Deutsch konnten, immer geholfen, war auch so etwas wie eine Sprecherin für die Kinder und hat einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn.“

Hilferufe von Schulklassen: „Hoffentlich kommen Ana und Mariam wieder!“

Gregor Seberg kann - und will - nicht verstehen, dass so tolle und total integrierte Menschen wie Ana, Mari und Familie abgeschoben werden

Herzzerreißend

Das alles schildert Gregor Seberg dem Kinder-KURIER aber erst nachdem es ihn am Telefon zuerst spontan fast sprachlos macht, was er eben erfährt: „Mir zerreißt’s das Herz. Gerade die Ana, von der und ihrer kleinen Schwester Mari hätt ich nie gedacht, dass die abgeschoben werden. Die sind so toll integriert – schon damals gewesen.“

Abseits des Drehs, ist der Schauspieler immer wieder – und das seit mehr als zehn Jahren in diesem Zufluchtshaus für Asylwerber-Familien. Jedes Jahr – heuer aufgrund der Corona-Beschränkungen leider nicht, bedauert er – besucht er die Familien als Weihnachtsmann. Nicht als Medienaktion, sondern, „weil mir das ein Anliegen ist, den Kindern und Familien Lichtblicke zu verschaffen. Und ich krieg so viel zurück: Kinder, die sagen, dass sie Ärztin oder Arzt, Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt werden wollen, weil sie anderen helfen wollen. Die sind jetzt schon ein so guter Bestandteil der österreichischen Gesellschaft!“

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Die beiden Schwestern Ana und Mariam - vor ein paar Jahren

Abschiebung trotz laufender Beschwerde

Das Absurde: In der TV-Folge spielt Ana eines der Kinder, das Angst vor einer möglichen Abschiebung hat und im TV geht’s gut aus, sie darf bleiben – und dann das nun im echten Leben?!

Noch läuft eine Beschwerde gegen die Abschiebung mit eben der Begründung der sehr guten Integration. Weshalb dann schon die Abschiebung erfolgt ist, bevor dieser rechtliche Schritt überhaupt abgewickelt ist, wollen und können viele nicht verstehen. Auch ein Ex-Minister Grasser muss ja noch nicht ins Gefängnis bevor nicht alle Rechtsmittel ausgeschöpft sind, ist in der Schule zu vernehmen.

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Jelena aus der Volksschulklasse, in die Anas Schwester Mariam geht/ging, schreibt auch im Namen der ganzen 3c

Wie sollen wir Integrationswillen fördern?

Und noch ein Problem tut sich auf, wie der Mittelschuldirektor dem Kinder-KURIER sagt: „Wir in der Schule wollen und sollen für Integration sorgen, sie fördern – was sag ich jetzt einem Jugendlichen der mich frech fragt: Und? Was bringt das, schau die Ana an, voll integriert und sie wird abgeschoben!“

Ist in dieser Klasse, wie die Jugendlichen dem Kinder-KURIER erzählen – und auf zwei der Sterne steht – schon einmal passiert, in der ersten Klasse mit Ibrahim, der mit Familie nach Tschetschenien verfrachtet wurde. Damals hat leider niemand was dagegen unternommen, bedauern die Beteiligten, „Aber einmal muss man stopp sagen!“, lautet der so nicht direkt ausgesprochene Wille.

Und so seien hier zum Abschluss zwei der Sprüche auf den genannten Sternen zitiert: „Ana, ein besseres neues Jahr viel Glück und Kraft.“ „Hoffentlich, kommst du wieder.“

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Brief von Mariams (Anas Schwester) Volksschulkollegin Aysha

Briefe aus der Volksschule von Mariam

Mittlerweile erreichten den Kinder-KURIER auch zwei handgeschriebene Briefe mit Zierleisten und einem gezeichneten Weihnachtsbaum aus der 3c der Volksschule Dunantgasse 2 ebenfalls im 21. Bezirk, die Anas Schwester Mariam besucht(e). Aysha wünscht der Klassenkollegin wenigstens ein doch frohes Weihnachtsfest und dass sie Mariam vermisst- und das sogar mit sechs Rufzeichen.

„Wir vermissen dich sehr, wäre so schön, wenn du bei uns sein könntest… Wir sind sehr traurig und hoffen, du kommst bald wieder!“, schreibt etwa Jelena und fügt ihrem Namen auch noch ein „u. 3c“ hinzu.

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Zu einem Bericht des ORF-Wien über die Dreharbeiten bei der genannten Soko-Donau-Folge geht es hier

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