„Der Darm ist unser wichtigstes Immunorgan“, sagt die Immunologin Eva Untersmayr-Elsenhuber von der MedUni Wien. „Er hat eine Oberfläche von 300 bis 400 Quadratmetern, die muss geschützt werden. Deshalb sind 80 Prozent der Immunzellen, Abwehrzellen, im Darmgewebe.“
Die Leiterin der Forschungsgruppe „Gastrointestinale Immunologie“ ist ein Podiumsgast beim KURIER-Gesundheitstalk zum Thema „Der Darm – ein sensibles Organ“ am Mittwoch in Wien.
Sie weiß von immer mehr Studien, die zum Beispiel neue Zusammenhänge zwischen Darm, Immunsystem und Ernährung aufzeigen. Oder wie bestimmte Darmbakterien über den "Nervus vagus" auf das Gehirn wirken ("Darm-Hirn-Achse") - mit der Folge etwa, dass sich die Wahrnehmung der Darmaktivität verändern kann und z. B. bestimmte Dehnungsreize stärker wahrgenommen werden - was sich in Beschwerden äußern kann.
Darmgesundheit:
„Der Darm – ein sensibles Organ“ lautet das Thema des Gesundheitstalks am Mittwoch, 27. 11., 18.30 Uhr.
Am Podium:
Assoz.-Prof. DDr. Eva Untersmayr-Elsenhuber (MedUni Wien)
Univ.-Prof. Dr. Walter Reinisch (MedUni Wien)
Ing. Evelyn Gross, Darm Plus & ÖMCCV
Moderation: Gabriele Kuhn (KURIER).
Veranstaltungsort:
Van-Swieten-Saal der MedUni Wien, Van-Swieten-Gasse 1a (Ecke Währinger Str.), 1090 Wien. Veranstalter: KURIER, MedUni Wien und Novartis. Freier Eintritt.
„Das Mikrobiom – die Gesamtheit der Mikroorganismen – steht im ständigen Austausch mit dem Immunsystem: Dadurch wird es trainiert.“ Die Ernährung spielt dabei eine große Rolle: „Sie hat nicht nur einen Effekt auf die Zusammensetzung der Darmflora. Einzelne Nahrungsbestandteile beeinflussen Darmzellen, die dann wiederum die Barrierefunktion des Darms hinauf- oder hinabsetzen.“
Und da zeige sich immer stärker, dass eine fett- und zuckerreiche Ernährungsform Auswirkungen auf das Immunsystem haben könne: Dass die Darmbarriere durchlässiger wird, Bakterien einwandern und Entzündungszellen aktiviert werden.
Auffällig sei auch, dass echte Nahrungsmittelallergien deutlich zunehmen, etwa gegen Nüsse, Milch oder Fisch, seltener auch gegen Weizen. Letztere dürfe man aber nicht mit Zöliakie (Magen-Darm-Erkrankung als Folge von Glutenunverträglichkeit) oder dem viel diskutierten Weizensensitivitätssyndrom verwechseln. „Wichtig ist, Patientenbeschwerden immer ernst zu nehmen, auch wenn – wie bei diesem Syndrom – aufs Erste oft keine klare Ursache zu finden ist. Vieles wissen wir noch nicht“, betont Untersmayr-Elsenhuber.
Chronisch entzündet
Einen deutlichen Anstieg der Häufigkeit hat es in den vergangenen 50 Jahren auch bei den chronisch entzündlichen Darmerkrankungen Morbus Crohn und Colitis ulcerosa gegeben. Mittlerweile scheint auf hohem Niveau ein Plafond erreicht zu sein, sagt der Gastroenterologe Walter Reinisch von der MedUni / AKH Wien. „Gleichzeitig hat sich aber auch Wahrnehmung dieser Erkrankungen verbessert.“ Genaue Zahlen gebe es keine, geschätzt dürfen es rund 60.000 bis 80.000 Patienten in Österreich sein.
Auch hier scheint eine Barrierestörung des Darms eine Rolle zu spielen. Als Ursachen werden u. a. genetische Faktoren diskutiert, Umwelteinflüsse (z. B. Ernährung), Lebensstil (z. B. Stress), Medikamente (z. B. Antibiotika) und Rauchen: „Wir schließen gerade eine Studie ab, wonach sich Passivrauchen schlecht auf den Krankheitsverlauf – und wahrscheinlich auch auf das Krankheitsrisiko – auswirkt.“
Rund um das Jahr 2000 kamen die ersten Biologika zum Einsatz. Diese biotechnologisch hergestellten und per Infusion oder Injektion verabreichten Medikamente greifen gezielt in den Entzündungsprozess ein. „Mittlerweile steht uns eine Reihe von Präparaten mit unterschiedlichen Wirkmechanismen zur Verfügung.“
Zur Therapie der Colitis ulcerosa gibt es mittlerweile ganz neue zielgerichtete Therapien in Tablettenform. „Trotzdem werden aber erst zwischen 30 und 40 Prozent der Patienten beschwerdefrei.“ Doch Reinisch ist zuversichtlich: „Weltweit nehmen 50.000 Patienten an klinischen Studien teil. Das gibt Hoffnung, dass wir in Zukunft weitere Medikamente zur Verfügung haben werden.“
Hilfe für Kinder und Jugendliche
„Du willst ja während der Schularbeit nur aufs WC gehen, um schummeln zu können.“ – „Jetzt musst du schon wieder aufs Klo?“ – Kinder und Jugendliche mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen werden häufig stigmatisiert, sagt Evelyn Groß. Sie ist Präsidentin der Selbsthilfeorganisation „Österreichische Morbus Crohn Colitis Ulcerosa Vereinigung“.
„Die Angst vor Verspottung ist groß“, weiß Groß, die selbst mit 17 Jahren erstmals von massiven Darmproblemen betroffen war. „Viele Jugendliche müssen wegen häufiger Krankenstände und fehlendem Verständnis die Schule oder Berufsausbildung abbrechen.“
Verspätet
Hinzu komme, dass „die Diagnose oft erst verspätet gestellt wird. Bei Kindern werden Darmbeschwerden oft als Bauchweh abgetan, oder etwa Gelenksschmerzen fehlinterpretiert.“ Die Serviceplattform www.ced-kompass.at für Betroffene und Angehörige sowie Kampagnen wie #DUbistnichtallein, die u.a. vom FK Austria Wien mitgetragen wird, wollen unterstützen und die Erkrankungen enttabuisieren. Der Verein „Darm Plus“ widmet sich der Aufklärungsarbeit.
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