Gesunde Gaumenfreude: Rotwein schmeckt auch dem Darm
Ist Rotwein gesund? Füttert man die Suchmaschine Google mit dieser Frage, spuckt sie binnen Sekunden über drei Millionen Ergebnisse aus. Das Interesse an den gesundheitsfördernden Effekten des beliebten Genussmittels ist enorm – und hat Tradition. Schon in der Antike galt Rotwein als Medizin. Hippokrates verabreichte ihn gegen Magen-Darm-Beschwerden. Im Römischen Reich wurde Rotwein täglich getrunken – gegen Krankheiten, Falten und unschöne Gedanken.
Moderne Forschungen deuten auf die wünschenswerte Wirkung des abendlichen Achterls auf die Gefäße – und damit auf die Herzgesundheit – hin. Auch das Risiko an Krebs und Demenz zu erkranken soll der vergorene Traubensaft senken, den Blutzucker regulieren und verjüngend wirken. Kanadische Forscher verkündeten vor vier Jahren sogar, dass ein Glas Rotwein so gut sei, wie eine Stunde Sport.
Freund des Mikrobioms
Neuestes Postulat: Rotwein ist gut für den Darm. Die These stammt von Forschern des King's College London. Sie nahmen die Wirkung von Bier, Cider (Apfelwein), Rotwein, Weißwein und Spirituosen auf das Darm-Mikrobiom (Gesamtheit aller Mikroorganismen im Darm) von knapp 1.000 weiblichen Zwillingen aus Großbritannien, den USA und den Niederlanden unter die Lupe. Die Bakterienbesiedlung des Darms der Rotweintrinkerinnen war im Vergleich zu jener der Nicht-Rotweintrinkerinnen vielfältiger.
Aus anderen Studien weiß man wiederum: Je artenreicher die Bakterienzusammensetzung im Darm, desto gesünder der Mensch. Die Forscher stellten auch fest, dass Rotweintrinkerinnen seltener fettleibig waren und weniger häufig erhöhte Cholesterinwerte hatten. Beim Konsum anderer Alkoholika zeigte sich dieser Effekt nicht.
Gesunde Polyphenole
Die Wissenschafter rund um Mikrobiologin und Studienleiterin Caroline Le Roy vom King's College London machen die im Rotwein enthaltenen Pflanzenstoffe für die Wirkung verantwortlich. Tatsächlich haben sogenannte Polyphenole eine schützende Wirkung auf den Organismus und dienen Darmbakterien als Energiequelle, wie Ernährungswissenschafterin Sabine Bisovsky erklärt. "Unsere guten Darmbakterien lieben Polyphenole regelrecht", sagt die Expertin. Sie würden das Wachstum erwünschter Keime im Darm fördern und damit die Entwicklung schädlicher Mikroorganismen hemmen.
"Diese wertvollen Polyphenole kommen aber auch in Gemüse, Zitrusfrüchten, Beeren, Kaffee oder Tee vor. Man muss also nicht unbedingt Rotwein trinken, um dem Verdauungstrakt etwas Gutes zu tun." Wer gerne ab und zu ein Glas trinkt, "ist mit Rotwein wohl besser beraten als mit Weißwein".
Erster Schritt
Kurt Widhalm, Präsident des Österreichischen Akademischen Institutes für Ernährungsmedizin (ÖAIE), sieht in der Untersuchung einen "sehr interessanten Ansatz". "Der Polyphenolgehalt im Rotwein konnte bereits in anderen Studien mit schützenden Wirkungsweisen in Verbindung gebracht werden, etwa bei Herz- und Kreislauferkrankungen. Der Effekt auf den menschlichen Darm ist allerdings neu."
Zu bedenken geben Bisovsky und Widhalm, dass es sich bei der Erhebung um eine Beobachtungsstudie handelt. Ob der Rotweinkonsum der Frauen tatsächlich das vielfältigere Mikrobiom ihres Darms bedingt, könne nicht geklärt werden. Dass die Erkenntnisse auf (mehr oder weniger ehrlichen) Selbstauskünften der Probandinnen beruhen, schränke deren Aussagekraft ebenfalls ein.
Auch Studienleiterin Le Roy betont im Interview mit der BBC, dass weitere umfangreichere Untersuchungen nötig seien, um den Zusammenhang vollständig zu klären. Vorstellbar seien etwa Studien, in denen Teilnehmerinnen und Teilnehmer Rotwein, roten Traubensaft beziehungsweise keinen Alkohol trinken, um die Wirkung des alkoholischen Rebensafts isoliert zu analysieren.
Trotz potenzieller Vorteile für die Darmgesundheit mahnt Ernährungswissenschafterin Bisovsky zur Mäßigung beim Konsum: "Eine gesundheitsförderliche Menge Wein sollte sich auf maximal ein bis zwei Gläser pro Tag beschränken." An zwei Tagen pro Woche sollte hintereinander gänzlich auf Alkohol verzichtet werden, "damit nicht nur der Darm, sondern auch die Leber gesund bleibt".
Kommentare