Oxytocin: Ein Hormon, das für Furore sorgt
Die Liste der Wirkungen, die dem Hormon Oxytocin zugeschrieben werden, ist fast unüberschaubar. Zig Studien befassten sich in den vergangenen Jahrzehnten mit dem Hormon, das zu guter Laune, Monogamie und Angstbewältigung führe, aber auch neidisch, unachtsam und vertrauensselig mache. „Einige Studien sind methodisch fragwürdig“, betont der Freiburger Psychologe Markus Heinrichs, ein Pionier der Oxytocin-Forschung am Menschen. Den Ergebnissen fehle dadurch die wissenschaftliche Basis. Er findet, dass die Interpretationen schon fast esoterische Züge annehmen.
Oxytocin hat viele Namen: Bindungshormon, Kuschelhormon, Liebeshormon. Wie würden Sie es beschreiben?
Markus Heinrichs: Das mit dem Kuschelhormon war eine sehr frühe journalistische Erfindung, irgendwann hört man auf, sich dagegen zu wehren, weil es ja auch nicht ganz falsch ist. So kommt sehr populär zum Ausdruck, dass es ein Hormon ist, das relevant für Nähe und eine angenehme Form von sozialer Beziehung ist. Aber wir wissen mittlerweile ganz viele andere Beispiele aus der Medizin, wo Oxytocin relevant ist, daher ist es etwas einseitig, wenn in den Medien nur ein Ausschnitt gezeigt wird. Einen besseren Begriff habe ich aber auch nicht dafür, außer dass es ein faszinierendes Hormon ist.
Welche Wirkungsmechanismen konnte die Forschung bisher belegen?
Wir wissen seit beinahe hundert Jahren über die Effekte im Körper, wenn wir das Gehirn mal rauslassen. Es ist belegt, dass Oxytocin eine entscheidende Rolle bei der Geburt spielt, weil Gebärmutterkontraktionen für die Wehen ohne Oxytocin nicht stattfinden können, und dass auch der Milcheinschuss beim Stillen ausschließlich darüber gesteuert wird. Was neu ist, ist die Erkenntnis, dass wir im Gehirn Effekte finden, die durchaus zu den peripheren Effekten passen. Nehmen wir als Beispiel eine Rattenmutter, die ihre Jungen säugt: Die hat nicht nur den Milcheinschuss in der Brustdrüse, sondern auch den Belohnungscharakter des Stillens im Gehirn, sodass es angenehm ist, gleichzeitig Angst- und Furchtsignale etwas reduziert werden und sie sich fokussiert auf das Versorgen der Jungtiere. Das ist etwas, das man beim Menschen letztlich als mütterliches Bindungsverhalten interpretiert. Insofern kann dieses kleine Hormon eine ganze Menge in Körper und Gehirn auslösen.
Sie forschen seit 20 Jahren zu Oxytocin. Was ist das Faszinierendste daran?
Es ist aus evolutionärer Sicht ein unglaublich altes Hormon, das wir inzwischen nicht nur bei Säugetieren finden, sondern bei allen Lebewesen. Sogar bei Fadenwürmern und Insekten finden wir sehr ähnliche Neuropeptide. Wenn man diesen einfachen Lebewesen dieses Hormonsystem nimmt, verlieren sie viele soziale oder sexuelle Fähigkeiten. Das heißt, dieses Hormon scheint extrem wichtig für unser Sozialverhalten zu sein. Das ist schon faszinierend, dass ein Hormon, das wir in Medizinlehrbüchern als Still- und Gebärhormon wahrnehmen, in den vergangenen 15 Jahren für Furore sorgt, wenn es darum geht, unser Sozial- und Bindungsverhalten zu verstehen.
Wo sehen Sie die erfolgversprechendsten Anwendungsgebiete?
Die Hoffnung ist, dass es bei sozialen Störungen – ganz vorne Autismus – therapeutische Wirkung haben könnte. Aber auch bei sozialer Angsterkrankung oder bei Borderline-Persönlichkeitsstörungen. Es gibt viele Erkrankungen oder Störungen, wo wir wissen, dass die Patienten sehr unter erheblichen sozialen Defiziten leiden und wo wir gleichzeitig kaum nachhaltig heilende Therapien kennen – weder pharmakologische noch psychotherapeutische. Damit findet man sich in der Psychiatrie- oder in der Psychotherapieszene vielleicht sogar ein Stück ab und daher sind die Hoffnungen bei so einem Hormonsystem natürlich hoch. Gleichzeitig muss man die Euphorie derzeit aber auch bremsen, weil wir Stand heute noch keine Evidenz haben, dass wir Oxytocin zum Beispiel bei Kindern mit Autismus geben sollten.
Oxytocin alleine hat wohl auch keine Wirkung und soll nur dabei helfen, die Psychotherapie wirksam zu machen?
Das ist genau die Philosophie, die ich immer schon vertreten habe: Wir haben immer die große Gefahr, wenn man über ein Hormonsystem spricht, dass es diese verkürzte Wahrnehmung gibt: ,Hurra, wir haben ein neues Medikament’. Wir können durch unsere Studien im Laufe von 20 Jahren zeigen, dass es das nicht ist. Wir sehen nicht einfach einen Effekt einer Substanz, sondern einen Effekt dieser Substanz in einer bestimmten sozialen Situation. Das wäre etwa eine Gruppentherapie, wo wir dann auch Hormoneffekte sehen. Was wir auf jeden Fall verhindern müssen, ist die Wahrnehmung, dass es ein Nasenspray gibt, das man ein paar Mal täglich zu Hause anwendet und dann wird man von irgendetwas geheilt. Da würde ich vorhersagen, dass das niemals eintreten wird.
Gäbe es eine Möglichkeit, dass der Körper ohne diesen Nasenspray das Hormon vermehrt erzeugt?
Es gibt zumindest die Hoffnung. Wir wissen, dass positive Berührungen, also Körperkontakt, das System stimuliert. Wir konnten durch eigene Studien zeigen, dass eine Schulter-Nacken-Massage im Gegensatz zu Gutzureden für fast 90 Minuten vor Stress schützt, auch die Stresshormone reduziert. Das alles sind Hinweise, dass Berührung, die angenehm erlebt wird, schützende Effekte hat und das Oxytocin scheint hier eine zentrale Rolle zu spielen. Vergessen Sie aber nicht: Bei Patientengruppen, die schwere soziale Probleme haben, liegt gerade die Berührung therapeutisch anfangs nicht wirklich nahe.
Oxytocin kann die Spendenbereitschaft erhöhen und das Neidverhalten reduzieren. Kann es somit auch manipulativ eingesetzt werden?
Die gute Nachricht ist, dass es gar nicht funktionieren würde. Das, was die Effekte macht, wären sechs Sprühstöße im Abstand von jeweils einer Minute in jedes Nasenloch. Das heißt also, die Befürchtung, dass da vielleicht etwas in die Klimaanlage eingemengt wird im Autohaus, wird nicht funktionieren. Man muss auch den pharmakologischen Einsatz als Nasenspray im klinischen Kontext sehr gut prüfen, bevor man die Anwendung in Erwägung zieht. Da sind vielleicht andere liberaler, aber ich als Pionier dieser Forschung am Menschen würde sagen, wir sind noch nicht im Bereich therapeutischer Empfehlungen, die Studienlage ist noch nicht groß genug.
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