Weight Watchers: Neue Diät-App bringt Kinder in Gefahr

Gutes Essen, böses Essen: Experten warnen davor, Kinder Ernährung per App lernen zu lassen.
Statt an vergangene Erfolge anzuknüpfen, steht der Konzern in den USA wegen einer Abnehm-App in der Kritik.

"Gefährlich, unverantwortlich, unmoralisch": Die Worte, die Holly Stallcup für das jüngste Produkt aus dem Hause Weight Watchers findet, könnten kaum drastischer sein. Die Kritik, die die US-Amerikanerin in einer Petition gegen Weight Watchers formuliert, richtet sich gegen "Kurbo", die neue Ernährungs-App des Diätkonzerns für Kinder ab acht Jahren. Vor wenigen Wochen hat das Franchise-Unternehmen die Smartphone-Applikation in den USA lanciert.

In Österreich ist sie nicht verfügbar – eine Einführung sei auch nicht geplant, heißt es auf Anfrage vonseiten Weight Watchers Österreich. Als Franchise-Nehmer orientiere man sich am grundlegenden Konzept des Mutterkonzerns, agiere in viele Belangen aber eigenständig. Die Sinnhaftigkeit der App will man nicht kommentieren.

Das kostenpflichtige App-Programm orientiert sich am klassischen Weight-Watchers-Prinzip, jedoch zeigt nicht ein Punkteschema, sondern ein Ampelsystem an, welche Lebensmittel "gut" beziehungsweise "schlecht" sind. Beworben wird "Kurbo" als "wissenschaftlich erprobtes Programm zur Verhaltensänderung", wie es auf der offiziellen Website heißt, "designt, um Kindern und Teenagern zu helfen, ein gesundes Gewicht zu erreichen".

Neu ist "Kurbo" nicht: Die App wurde vor fünf Jahren von der US-Amerikanerin Joanna Strober entwickelt. Vergangenes Jahr machte Weight Watchers für den Kauf umgerechnet drei Millionen Euro locker – wohl, um eine neue Zielgruppe zu erreichen.

Problemzonen

Gründe dafür gibt es genug, denn das einst erfolgreiche Fett-weg-Unternehmen schwächelt. Um das in den 60er-Jahren gegründete Abnehm-Imperium aus der Krise zu führen, engagierte man 2015 Talkshow-Legende Oprah Winfrey als Markenbotschafterin. Statt Kalorienzählen und Verzichtsgedanken zu propagieren, positioniert man sich zunehmend als Wellnessmarke.

Vergangenes Jahr musste der strenge Markenname weichen: In den USA heißt Weight Watchers nun WW. Die Buchstaben können als Abkürzung verstanden werden, offiziell stehen sie für "Wellness that Works".

Gefährliche Diätkultur

Zurück zu "Kurbo": Dass man Kinder derart früh mit Abnehmgedanken konfrontiert, empfinden Kritikerinnen wie Holly Stallcup als empörend. In ihrer Petition mit aktuell knapp 150.000 Unterschriften fordert Stallcup WW dazu auf, die App zurückzurufen – "um Kinder davor zu bewahren, lebensverändernde Essstörungen zu entwickeln". Mit ihrem Ärger ist Stallcup, die seit der Schulzeit an einer Essstörung leidet, nicht allein. In sozialen Netzwerken hagelt es kritische Kommentare von besorgten Eltern.

Whitney Fisch, Mutter von drei Kindern, wandte sich in einem offenen Brief an Werbetestimonial Winfrey. "Alle Körper, besonders die, die sich noch entwickeln, verdienen Respekt und die Möglichkeit, in der Form zu wachsen, die für sie bestimmt ist", schrieb sie darin.

Tatsächlich ist Übergewicht bei Kindern ein wachsendes Problem. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat sich die Zahl betroffener Kinder in den vergangenen vier Jahrzehnten mehr als verzehnfacht.

Kindern per App den vernünftigen Umgang mit Nahrungsmitteln beizubringen, hält Andreas Schmölzer, Ernährungswissenschafter und Vorstandsvorsitzender des Verbandes der Ernährungswissenschafter Österreichs, aber "für den falschen Weg". Einen sinnvollen App-Algorithmus für gesunde Kinderernährung zu finden, sei unrealistisch: "In der Regel mangelt es Kindern, die sich ungesund ernähren, nicht nur am Ernährungswissen", sagt Schmölzer. In vielen Fällen fehle es vielmehr an familiärer Zuneigung und Bewegung – "eine Lücke, die eine App nicht füllen kann".

Auch Ernährungspsychologin Sonja Schabmann schließt sich dieser Einschätzung an. Besonders problematisch sei, dass in der App "der Zusammenhang zwischen Ernährung und Psyche außer Acht gelassen wird". Da die Ernährung von vielen Faktoren beeinflusst werde, "kann eine App keine Ernährungsumstellung auf Dauer – und das wäre ja wünschenswert – bewirken".

Real statt digital

Bei Kindern und Jugendlichen, die bereits übergewichtig sind oder ein belastetes Verhältnis zum Essen haben, könnten Apps wie "Kurbo" großen Schaden anrichten. "Die Ernährung so zu überwachen, ist für Kinder katastrophal, weil man – im Glauben, ein gesundes Bewusstsein zu schaffen – eine Essstörung anerzieht."

Tatsächlich zeigen wissenschaftliche Studien, dass Menschen, die häufig Diäten machen und sich im Übermaß mit ihrem Körpergewicht (und somit auch mit ihrem Körperbild) beschäftigen, eher an Magersucht erkranken. "Auch psychische Störungen können die Folge sein, wenn Kinder unter Druck geraten, ständig auf ihr Gewicht achten zu müssen, vor allem, wenn sie dem nicht standhalten können", betont Schabmann.

"Ein gesundes Kind hat eine funktionierende Regulierung von Hunger und Sättigung. Manchmal isst es nur wenig, dann wieder mehr – und macht sich keine Gedanken darüber. Kinder, die dazu neigen, Normen übererfüllen zu wollen, könnten ein problematisches Essverhalten entwickeln und andere, die wirklich eine Tendenz zu Hochgewicht haben, könnten resignieren, weil so eine App für sie zu wenig Unterstützung bietet", ergänzt Diätlogin und Psychologin Petra Wohlfahrtstätter.

Lebensmittel anhand eines Ampelsystems zu kategorisieren, sei laut Schmölzer wenig zielführend: "Es gibt keine guten und schlechten Lebensmittel, es gibt nur eine gute und schlechte Zusammenstellung."

Anstatt Kinder via App lernen zu lassen, dass Äpfel gesund sind und Schokolade in Maßen gegessen werden sollte, rät Schmölzer Eltern, gesunde Ernährung gemeinsam zu erarbeiten: "Ideal wäre, wenn man regelmäßig zusammen kocht und isst, und ihnen den Umgang mit Nahrungsmitteln näherbringt."

Spielerisch

Erlauben Sie Ihrem Kind, Lebensmittel spielerisch kennenzulernen, etwa beim gemeinsamen Gemüse-Schnippeln in der Küche.

Selbstbestimmt

Lassen Sie Ihr Kind (im altersadäquaten Rahmen) selbst entscheiden, was es essen möchte. Kinder kennen ihre Bedürfnisse meist gut und wählen instinktiv die richtigen Nahrungsmittel.

Vorbildlich

Leben Sie gesundes Essverhalten vor, und kategorisieren Sie Nahrung nicht nach "gut" und "böse". Industriell verarbeitete Lebensmittel sollten nicht regelmäßig aufgetischt werden: "Optimal sind frisch gekochte Speisen, ohne Zucker, leere Kohlehydrate und sonstige Zusatzstoffe. Dann kann man essen, ohne Kalorien zu zählen, denn das Sättigungsgefühl stellt sich ganz natürlich ein", erklärt Schabmann. "Man sollte täglich mindestens eine warme Mahlzeit bereitstellen, die pflanzliche Komponenten wie Kartoffeln, Gemüse oder Hülsenfrüchte neben den tierischen Komponenten enthält", sagt Wohlfahrtstätter.

Zwanglos

Zwingen Sie das Kind nicht, etwas zu essen, das es nicht essen will. "Für Eltern ist wichtig, selbst eine möglichst unverkrampfte Einstellung zur Ernährung entwickeln. Dann klappt es mit dem Vorleben auch besser und freudvoller", sagt Wohlfahrtstätter.

Lustvoll

Achten Sie darauf, dass Essen ein lustvolles, soziales, entspanntes Erlebnis für das Kind ist. "Gemeinsame Mahlzeiten am Familientisch sättigen nicht nur den Hunger, sondern stillen auch soziale Bedürfnisse", weiß Schabmann.

Hinterfragend

Ihr Kind ist stark auf eine Lebensmittelkategorie fixiert? Überlegen Sie, welches Bedürfnis dahinterstecken könnte, und konsultieren Sie einen Arzt, Psychologen oder Ernährungsberater.

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