Nur Brokkoli ist auch nicht gesund

Wenn Eltern Kinder zu gesundem Essen zwingen, bewirken sie selten Gutes.
Die Essenskontrolle schränkt die Entwicklung von Kindern ein. Essstörungen können die Folge sein.

Gesund ist nicht immer gut – vor allem kann man es damit auch übertreiben: Immer öfter landen gedünsteter Brokkoli, hausgemachte Suppen, grüne Smoothies oder gut gemeinte Brownies aus schwarzen Bohnen auf den Tellern junger Esser – und zwar ausschließlich. Pizza, Zuckerln, Chips und Co. sind tabu. Wird das Servierte abgelehnt, wird der Nachwuchs nicht selten zum Aufessen gezwungen. Immerhin ist es ja gesund.

So war es auch bei Casey Seidenberg. Die US-Autorin und Mutter zweier Söhne hielt sich selbst derart verbissen an ihre Ernährungsgebote, dass sie ihre Kinder zwang, mitzumachen. Eine Entscheidung die gravierende Folgen haben sollte, wie sie in einem Artikel in der Washington Post schildert.

Gesund um jeden Preis

"Ich habe es mit der Überwachung der Ernährung meiner Kinder übertrieben", erzählt Seidenberg, die vor zehn Jahren eine Autoimmunerkrankung ihres Ehemannes zum Anlass nahm, ihren Zugang zu Ernährung radikal zu überdenken. Als sie bemerkte, dass sich der Zustand ihres Mannes dadurch besserte, wurde sie zur "Essenspolizei": Die Mutter kontrollierte die Ernährung ihrer Familie penibel, verbannte Süßes vollkommen, sprach ständig über Nährstoffe und fühlte sich dabei "unglaublich erhaben". Und die Kinder? Die begannen, gesunde Lebensmittel plötzlich zu verweigern.

Die Frage, wie Kinder richtig ernährt werden, beschäftigt Eltern und Experten aktuell mehr denn je. Empfehlungen gibt es viele. Die Österreichische Gesellschaft für Ernährung (ÖGE) rät dazu, Kindern Mischkost aus Obst, Gemüse, Getreide, Milchprodukten und Fleisch zur Verfügung zu stellen. Ernährungsempfehlungen wie diese sind manchen Experten zufolge jedoch überholt – vor allem, weil immer mehr Menschen auf bewusste Ernährung achten und ihren Kindern selbige kredenzen.

Nur Brokkoli ist auch nicht gesund
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Mütter und Väter etwa, die vegetarisch oder vegan leben, seien ohnehin meist gebildet, gut situiert und informiert, was das Wohl des Kindes betrifft. Genau so, wie ein Übermaß an Fast Food und Zucker schädlich ist, kann aber auch eine übertriebene gesunde Ernährung negative Folgen für den Nachwuchs haben.

Der Zwang, sich von Gesundem zu ernähren, wird als Orthorexia nervosa bezeichnet. Wird die gesunde Ernährung zur Sucht, stehen meist nicht das Abnehmen, sondern selbst heilende Motive im Vordergrund, erklärt Johanna Zierl vom Therapiezentrum Intakt für Menschen mit Essstörungen.

"Anders als bei der Anorexie (Magersucht, Anm.) geht es nicht darum, möglichst wenig zu essen, sondern ausschließlich um den Konsum vermeintlich gesunder und guter Lebensmittel", sagt die Psychotherapeutin. Dabei spielen auch Zubereitungsart und Nahrungsergänzungsmittel eine Rolle.

Disziplin – ein Muss

Die Liste der "guten" Lebensmittel variiert je nach Ideologie. Dieses rigide, zwanghafte Verhalten macht es Betroffenen teils unmöglich, auswärts zu essen. Konflikte in der Familie oder im Freundeskreis sowie sozialer Rückzug können laut Zierl damit einhergehen. "Aus meiner Erfahrung sind die Betroffenen meist Frauen, die nach Perfektion streben, ein Bedürfnis nach Kontrolle über den eigenen Körper haben und dadurch ein Gefühl der Erhabenheit genießen", erklärt Zierl.

Je disziplinierter man is(s)t, desto mehr steigt der Selbstwert. Gönnt man sich ein "böses" Lebensmittel, fühlt man sich schlecht.

Nur Brokkoli ist auch nicht gesund
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Fatal fürs Kind

Welche Folgen hat es, wenn man die eigenen Ernährungsdogmen auf die Kinder überträgt? "Fatale", warnt Zierl. Erzieht man Kinder beispielsweise dazu zu glauben, dass Zucker "böse" ist, bewirkt das Angst vor Süßem – und provoziert eine Trotzreaktion beim Nachwuchs. Bei der nächstbesten Gelegenheit wird Zucker dann im Übermaß verschlungen. Beide Verhaltensmuster können in eine Essstörung münden. Hat man als Elternteil kein Gefühl mehr dafür, was dem Körper guttut, und folgt stattdessen zwanghaft einer spezifischen Empfehlung, schränkt das nicht nur das eigene Leben ein. Auch die Entwicklung eines normalen Essverhaltens beim Kind wird negativ beeinflusst.

Dass es kontraproduktiv ist, Kinder beim Essen derart unter Druck zu setzen, hat auch Casey Seidenberg erkannt. Sie hat sich dazu entschlossen, ihre Söhne zwanglos zu ernähren. Vollwertkost und ein ausgewogener Speiseplan haben für sie nach wie vor einen hohen Stellenwert, jedoch ist sie nachsichtiger geworden. Die Kinder dürfen sich nun auch etwas gönnen. Zum Beispiel Schokoladenbrownies – aus echter Schokolade.

Wie bringe ich mein Kind dazu, gesund zu essen

Spielerisch: Erlauben Sie Ihrem Kind, Lebensmittel spielerisch kennenzulernen.

Intuitiv: Lassen Sie sich nicht von Ratgebern verunsichern. Gehen Sie intuitiv vor und geben Sie altersadäquat einen Rahmen vor, der vielfältig ist.

Selbstbestimmt: Lassen Sie Ihr Kind selbst entscheiden, was es essen will. Kinder kennen ihre Bedürfnisse meist gut und wählen instinktiv die richtigen Nahrungsmittel.

Vorbildlich: Leben Sie ein gesundes Essverhalten vor und kategorisieren Sie Nahrung nicht nach "gut" und "böse".

Zwanglos: Zwingen Sie das Kind nicht, etwas zu essen, das es nicht essen will.

Lustvoll: Achten Sie darauf, dass Essen ein lustvolles, soziales, entspanntes Erlebnis für das Kind ist.

Hinterfragend: Ihr Kind ist stark auf eine Lebensmittelkategorie fixiert? Überlegen Sie, welches Bedürfnis dahinterstecken könnte, und konsultieren Sie einen Arzt, Psychologen oder Ernährungsberater.

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