Brustkrebs im Blut nachweisen: Welche Fragen noch offen sind

Rund 40 mit Tarnnamen versehene Blutbeutel aus einem Kühlschrank in einer Erfurter Garage werden getestet.
„Revolutionär“ soll ein neues Diagnoseverfahren sein. Doch die Bedenken vieler Experten sind groß

Zumindest für die Bild-Zeitung ist alles klar: „Neuer Bluttest erkennt zuverlässig Brustkrebs: Warum dieser Test eine Weltsensation ist.“ Heidelberger Forscher präsentierten Ende vergangener Woche den „ersten marktfähigen Bluttest für Brustkrebs“, wie es in einer Mitteilung des Uni-Klinikums Heidelberg heißt.

Brustkrebs im Blut nachweisen: Welche Fragen noch offen sind

Die Entwickler des umstrittenen Tests: Sarah Schott und Christof Sohn, beide Universitäts-Frauenklinik Heidelberg.

Bei 500 untersuchten Brustkrebspatientinnen habe der Test in 75 Prozent der Fälle die Erkrankung korrekt angezeigt. Laut den deutschen Forschern „ein Meilenstein in der Brustkrebsdiagnostik“ und „eine neue, revolutionäre Möglichkeit“, eine Krebserkrankung in der Brust schnell (früher als die Mammografie) zu erkennen, sagte Christof Sohn, ärztlicher Direktor der Uni-Frauenklinik Heidelberg, vor Medien. Die Markteinführung sei noch heuer geplant.

Doch viele Experten sind skeptisch und zurückhaltend. „Die verlautbarten Ergebnisse kann man derzeit noch nicht wirklich einordnen“, sagt der Gynäkologe und Brustkrebsspezialist Christian Singer, Leiter des Brustgesundheitszentrums der Medizinischen Universität Wien (AKH Wien) und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Senologie (Brustgesundheit).

Wie funktioniert der Test?

Im Blut von an Brustkrebs erkrankten Frauen sollen 15 verschiedene Biomarker (biologische Merkmale) identifizierbar sein. Das sind z B. Erbgut-Bruchstücke, die von sterbenden Tumorzellen abgegeben werden. Damit sollen auch sehr kleine Tumore nachgewiesen werden können. Für den Test sind nur wenige Milliliter Blut notwendig, jedes Labor soll ihn durchführen können.

Bei wie vielen Frauen wurde der Test schon eingesetzt?

Bei 900 , davon 500 Brustkrebspatientinnen. Die Studie ist allerdings noch nicht abgeschlossen, insgesamt sollen 2000 Frauen untersucht werden. Am höchsten war die Sensitivität (sie gibt an, zu welchem Prozentsatz Erkrankte tatsächlich erkannt werden) bei den Unter-50-Jährigen mit 86 Prozent. Auch Frauen mit einer „familiären Hochrisikosituation“ hätten besonders profitiert. Bei den Über-50-Jährigen wurden nur 60 Prozent der Tumore entdeckt. Nicht bekannt ist, wie oft der Test bei Gesunden fälschlicherweise anschlägt.

Was sagen unbeteiligte Experten zur Vorgangsweise der deutschen Forscher?

Bisher sind keine Ergebnisse in einem Fachmagazin erschienen. „Wissenschaftlich sauberer wäre es gewesen, zuerst eine Studie zu veröffentlichen und erst danach an die Medien zu gehen“, betont Singer. „Dann hätte man besser einschätzen können, wie wertvoll dieser Test tatsächlich ist.“ Das Magazin Spektrum der Wissenschaft bezeichnet es als „fragwürdig“, dass Ergebnisse einer Studie veröffentlicht werden, bevor diese beendet ist.

Brustkrebs im Blut nachweisen: Welche Fragen noch offen sind

Gynäkologe und Brustkrebsspezialist Christian Singer, AKH / MedUni Wien.

Abgesehen von all diesen Bedenken: Wie gut sind die ersten Testergebnisse?

„Die Gruppe mit dem höchsten Brustkrebsrisiko sind die 50- bis 70-Jährigen“, sagt Singer: „Die wollen wir ja auch mit unserem Mammografie-Screening in erster Linie erreichen.“ Aber gerade bei der Altersgruppe 50 plus ist die veröffentlichte Trefferquote von 60 Prozent nicht sehr überzeugend. „Dieser Test ist noch nicht in großem Stil einsetzbar“, sagt auch Tanja Fehm, Direktorin der Universitätsfrauenklinik in Düsseldorf. Es seien noch Studien mit viel mehr Frauen notwendig. Es sei schade, wenn in Frauen Hoffnungen geweckt werden, die möglicherweise nicht zu halten seien.

Könnte der Bluttest die Mammografie ersetzen?

Die Brustkrebsdiagnostik könnte mit dem neuen Test erweitert werden, sagt der Heidelberger Mediziner Sohn.„Wir sind keine Konkurrenz zur Bildgebung“, also zu optischen Diagnoseverfahren wie Mammografie, Ultraschall oder MRT. – Singer unterstreicht: „Man muss zum jetzigen Zeitpunkt nur davor warnen dass jemand glaubt, er kann demnächst statt der Mammografie einen Bluttest machen. Das ist nach wie vor nicht möglich. Die Mammografie ist nicht perfekt, aber derzeit nach wie vor das Verfahren mit dem besten Nutzen-Risiko-Verhältnis.“

Die Mammografie habe – gemeinsam mit den modernen Therapien – die Brustkrebssterblichkeit deutlich gesenkt. Trotzdem sei sie nicht das optimale Verfahren, weil sie häufig Tumore erst ab einem Durchmesser von rund einem Zentimeter entdecke.

„Ich kann mir durchaus vorstellen, dass es einmal einen besseren Ersatz gibt.“ Optimal wäre ein Bluttest, „der nur jene Krebserkrankungen entdeckt, die unbehandelt für die betroffene Frau eine echte Lebensgefahr darstellen“. Dann müssten nur mehr jene Frauen zur Mammografie, bei denen dieser Test eine Erkrankung angezeigt hat. „Aber so weit sind wir noch lange nicht“, betont Singer.

Werden heute in anderen Bereichen schon Bluttests zur Krebsdiagnose eingesetzt?

Noch nicht zur Früherkennung von Krebs. Aber bei fortgeschrittenem Darm- und Lungenkrebs wird die sogenannte „Liquid Biopsy“ („flüssige Biopsie“) verwendet, um das Ansprechen auf bestimmte Therapien kontrollieren zu können: Dabei geht es um den Nachweis von im Blut frei zirkulierende Teilchen von Tumor-Erbgut . Singer: „Wir forschen daran auch beim Brustkrebs und versuchen herauszufinden, ob man damit das Fortschreiten der Krebserkrankung früher nachweisen kann als mit der Bildgebung.“ Nachsatz: „Aber bevor man mit so etwas groß an die Öffentlichkeit gehen kann, braucht man harte Daten.“

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