Die Gaumenspiele der Zukunft

Food-Trendforscherin Hanni Rützler.
Flexitarier und Weltverbesserer lagern Kochen aus und essen in Garküchen.

Die Ernährungswissenschaftlerin Hanni Rützler beschäftigt sich seit Jahren mit aktuellen Food-Trends. Im KURIER-Gespräch erzählt sie, warum Insekten hierzulande keine gute Ausgangslage als fleischlose Alternative haben und warum Kochen mittlerweile als der hippste Teil der Haushaltsführung gilt.

KURIER: War der Stammzellen-Burger heuer die große Revolution in Ihrem Metier?
Hanni Rützler:
Nein. Der Burger ist ja noch weit davon entfernt, markttauglich zu sein. Dass ich ihn als Erste verkosten durfte, war für mich persönlich eine spannende Erfahrung. Mir hat gut gefallen, ein Projekt in einem so frühen Entwicklungsstadium zur Diskussion zu stellen.

Haben Sie sich wirklich keine Sekunde geekelt?
Der Gedanke, dass diese Zellen außerhalb eines Tieres gewachsen sind, konnte mich nicht erschrecken. Mein größte Befürchtung war die Konsistenz: In der Pfanne hat man aber bereits gesehen, dass das Laibchen hält. Der Burger war keine kulinarische Eröffnung, aber überraschend nahe an einem Stück Fleisch. Zu Ekel fällt mir ein anderes Erlebnis ein: meine erste, fette, getrocknete Raupe in Afrika. Im Augenblick der Verkostung war mir klar, dass ich nicht zu viel über die Raupe nachdenken durfte. Der Geschmack hat mich vollkommen überrascht: Sie schmeckte knusprig, würzig und nach Erdnuss. Ein hervorragender Snack. Damit hatte ich nicht gerechnet.

Werden wir uns das nächste Jahrhundert von Insekten und Algen ernähren, weil diese besonders proteinreich sind?
Insekten haben tolle Argumente in Sachen Nachhaltigkeit, Menge und Nährstoffen. Aber ähnlich wie beim In-vitro-Burger, dem ich im deutschsprachigen Raum keine rosige Zukunft prophezeie, sehe ich beim Essen von Insekten in den nächsten 20 Jahren große kulturelle Hürden. Sicher sind viele Foodys und Köche neugierig, aber unsere Küchen sind nicht sehr experimentell. Hier herrscht ein zu großer Ressourcenreichtum. Als Futtermittel könnten Insekten jedoch ein großes Thema werden.

Sind vegane Supermärkte und Rohkost-Konditoreien bereits Mainstream?
Es sind städtische Phänomene. Unsere Kultur ist von Fleisch geprägt. Eine neue Generation wächst jedoch heran, die gerne Alternativen ausprobiert und auch mal auf Fleisch verzichtet. „Flexitarier“ sind aber per se keine Weltverbesserer. Es geht um einen holistischen Gesundheitsbegriff und nicht um „mich und meine Nährwerte“ oder „mich und meine Figur“. Roh und vegan sind die absoluten Speerspitzen und bringen die Entwicklung in einer radikalen Form zum Ausdruck. Wir werden Teile dieser Strömungen integrieren und entwickeln einen liebevollen Blick auf vegetabile Lebensmittelgruppen.

Wir essen nicht gesünder?
Es geht um Soft Health, eine Verbindung zwischen Genuss und Gesundheitswissen. Wir haben uns viel oberflächliches Wissen in den vergangenen Jahren angeeignet. Es gab die Debatte um gesunde Fette, Eiweiß und Kohlenhydrate. Fast drei Frauen-Generationen sind firm bei diesen Themen, finden aber kaum Produktlösungen für ihre Wünsche. Der Trend heißt „Sensual food“: Frozen Yogurt statt Eis ist gesünder, bedeutet aber keinen Verlust an Geschmack.

Essen Sie nichts, was Ihre Großmutter nicht als Essen erkannt hätte?
Da muss ich immer schmunzeln, denn unsere Großmütter haben vor 50 Jahren die ersten Convenience-Produkte als Erleichterung ihres Alltags angesehen.Warum heißt es, dass Convenience-Produkte zunehmen, wenn wir uns nach der Natürlichkeit und Frische sehnen? In unserem Kulturraum haben die Versorgungsleistung immer die Frauen übernommen. Vor zwei bis drei Generationen war Convenience eine Befreiung, weil sie nicht mehr kochen mussten. Einem Drittel der Gesellschaft macht Kochen und Einkaufen Spaß, hier stehen vor allem die Frische und das natürliche Ausgangsprodukt im Mittelpunkt. In diesem Drittel nimmt auch der Anteil kochender Männer zu, eben weil Kochen als der hippste Part in der Haushaltsführung gilt. Bei den anderen zwei Dritteln muss es beim Kochen schnell und einfach gehen. Also greifen sie auf Convenience-Produkte zurück.

Wie wären kreative Alternativen für Sie?
Es muss nicht immer der Bestellservice sein. In Asien gibt es Wochenmärkte, wo täglich frisch gekocht wird. Aus Hunderten Garküchen lässt sich wählen. Ein ähnliches Flair erleben Wiener im 7. Bezirk. Ich würde mir mehr Kleinteiligkeit bei den Gerichten wünschen. Eine andere Idee: Warum nicht gemeinsam kochen in einem externen Setting und das Aufräumen auslagern?

Wie schaut der Supermarkt der Zukunft aus?
Der Supermarkt geht derzeit davon aus, dass der Kunde weiß, was er kochen will. Er führt uns von Schnäppchen zu Schnäppchen, aber er liefert uns keine Hilfe. Wir wollen etwas Frisches, etwas Schnelles und etwas zum Verwöhnen. Convenience muss nicht nur industrielle Verarbeitung bedeuten, sondern auch besserer Service, vorselektierte Auswahl mit Zubereitungstipps. Das „Kochhaus“ in Berlin macht das vor; „Emmas Enkel“ in Düsseldorf bietet Lebensmittel-Pakete für den Fußballabend, für den Kindergeburtstag, für das Wochenend-Frühstück an. Sie schaffen Angebote für Events, die uns beschäftigen. Ich nenne diesen Trend „Curated food“. Der Supermarkt der Zukunft wird viel mehr kuratierte Angebote und Services bieten.

Vegetarisch oder vegan, auf jeden Fall aber fleischlos: Dieser Trend wird sich 2014 fortsetzen – und sogar noch stärker werden, sagen Experten. Der Kochbuchmarkt gilt als Indikator dafür. Die x-te Ansammlung von Tofu- oder Nudelgerichten schmeckt den Konsumenten längst nicht mehr. Horst Grabensberger vom österreichischen Brandstätter Verlag ortet einen Bewusstseinswechsel. "Diese Bücher werden von Menschen gekauft, die sich mit Ernährung und ihrem Essen auseinandersetzen."

Die Gaumenspiele der Zukunft
Deutschland vegetarisch, honorarfrei, print und online
Wenn es nach den Verkaufszahlen geht, sind das schon recht viele. Vom 2012 erschienenen „Österreich vegetarisch“ wird bereits die vierte Auflage vorbereitet. Die Sammlung traditioneller österreichischer Gerichte von Rahmnocken bis Petersiliensauce verkaufte sich 2013 sogar noch erfolgreicher. "Dass das Folgejahr besser läuft, kommt so gut wie nie vor", sagt Grabensberger.

Vom Start weg gut lief auch das im September 2013 veröffentlichte Schwester-Buch „Deutschland vegetarisch": Bei unseren nördlichen Nachbarn landet immer öfter Fleischloses auf den Tellern. Vegetarisch ist vielen bereits zu wenig.

Vegan wird Bestseller

Die Gaumenspiele der Zukunft
Experten-Fazit: "Das Positive an der veganen Ernährung ist, dass sie reichlich Obst und Gemüse inkludiert. Ohne fundierte Kenntnisse kann es aber leicht zu einer Unterversorgung mit lebensnötigen Nährstoffen kommen. Das Sportprogramm ist positiv."
Vegane Ernährung, also gänzlich ohne tierische Produkte, findet zunehmend Anhänger. Attila Hildmann, der Jungstar unter den Kochbuchautoren, verkaufte von seinen drei Titeln im Verlag Becker Joest Volk bereits mehr als 500.000 im deutschsprachigen Raum.

Sein Erfolgsrezept sieht er in seinem eher undogmatischen Zugang. Vegan werde häufig mit negativen Aspekten wie radikalem Tierschutz oder Mangel verbunden. "Ich versuche aufzuzeigen, dass vegane Ernährung ein Schlüssel für eine gesunde Lebensweise ist, bei der es nicht um Verbote geht." Also nicht die radikale Ernährungsumstellung, vielmehr gehe es darum, kleine Schritte zu wagen und zu probieren. "Damit wird das Thema für eine breite Masse bekannt."

Die Gaumenspiele der Zukunft
Kochbuch, honorarfrei, print und online
Im Brandstätter Verlag setzt man 2014 übrigens auf einen Teil-Aspekt des Veggie-Trends. Im Februar erscheint das Buch "Von der Schale bis zum Kern2. Enthalten sind fantasievolle Rezepte, bei denen Gemüse und Obst im wahrsten Wortsinn mit Butz und Stingl verkocht werden.

Guerilla Dinner, Hyperregionalität, New Fusion Food und, ganz neu, Communicooking: Wer bei den aktuellen Gastronomie-Trends mitreden will, braucht einen eigenen Sprachführer. Guerilla Dinner steht für „geheime“ Lokale. New Fusion Food bezeichnet den Trend zu immer wilderen Aroma-Kompositionen. Communicooking heißt, eine Runde isst und spricht dabei ausschließlich über das Essen. Und mit Hyperregionalität sind Restaurants wie das sagenumwobene Noma in Kopenhagen gemeint, die im Wunsch, lokale Produkte zu bieten, auch Flechten, Moos und warmes Blut auf den Teller bringen. Damit der Gast sich – sagen Trendforscher – beim Essen wie ein Jäger und Sammler aus der Steinzeit fühlen kann (gibt’s dann auch kein Besteck, keine Tische und kein Klo?).

Wir leben in einer Inszenierungsgesellschaft, in der absolut alles als „Event“ verkleidet werden muss. Falls Sie das nächste Mal Ihre Gäste wirklich beeindrucken wollen, servieren Sie ihnen Butterbrot und nennen Sie das Ganze: „New hyperradical noncooking-cooking“.

Wie den Wechsel der Jahreszeiten verzeichnen wir in beruhigender Regelmäßigkeit das Auftauchen neuer kulinarischer Trends. Der aktuellste hört auf den Namen Hipster-Food. Wenn Sie in Wien Mariahilf oder Neubau oder im Schleifmühlviertel wohnen und Freunde in Berlin Kreuzberg, Zürich Landstraße oder London haben, müssen wir Ihnen das Wesen des Hipsters nicht mehr erklären. Man begegnet den Hipstern in Cafés mit W-Lan, wo sie ihre mit Kenntnis zusammengetragenen Outfits als Lebenssicht zur Schau stellen. Sie tragen Hornbrillen, auch wenn ihnen der Augenarzt noch keine verschrieben hat, Cord kann sein, karierte Hemden sind ein Muss, Schlacksigkeit in engen Hosen und Wollwesten ein weiteres Erkennungszeichen.

Nonkonformismus

Der Hipster und sein Way of Life waren eben gerade noch Subkultur, man zweifelte überhaupt an seiner Existenz und spottete über ein Klischee. Jetzt behauptet jeder, mindestens einen zu kennen. Die postpostmoderne Mischung aus allen Lebensstilen der letzten Jahre rückt mit jeder Besprechung ihrer Erscheinung ein bisschen in die Mitte der Gesellschaft. Ihm - dem Hipster - ist das gar nicht recht, denn er posiert als stolzer Nonkonformist, als Angehöriger einer Subkultur, als die Verkörperung des Anti-Mainstreams.

Hassliebe

Mittlerweile hat sogar Suhrkamp ein Buch veröffentlicht, das sich mit der Spezies beschäftigt und während in der NZZ und im Spiegel diskutiert wird, ob es sich um eine liebenswerte oder hassenswerte Erscheinung handelt, sagen andere, dass der Hipster seit einem Jahr eh schon tot ist. Für die Marketingabteilungen ist der Nonkonformist, der allen Trends am liebsten davon laufen will, ein kleiner Albtraum.

McDo als No-Go

Natürlich muss der Hipster auch essen. Hippies (Karottenkuchen und Hanfbier) und Yuppies (Sushi und Chardonnay) mussten es ja auch. Längst hat das Hipster-Food sich im urbanen kulinarischen Stadtbild breit gemacht. Es sind die pittoresken Läden mit ausgesuchten Bio-Spezialitäten, kleine Märkte, Pop-Up-Restaurants und Lokale, die aussehen wie Hinterzimmer und mit Stühlen und Tischen aus der Caritas möbliert sind. Anti-Establishment ist ein Motto, wobei man nicht auf Qualität verzichtet. McDonalds hat auf dem Speisezettel der Hipster nichts zu suchen, denn sie lieben es fleischlos und vielleicht sogar vegan. Zuhause haben sie die Kochbücher von Otolengi und der eigene Kräutergarten am Fensterbrett oder Balkon ist keine Besonderheit. In Blogs und Artikeln wird versucht, der Essgewohnheiten der Generation Hipster habhaft zu werden. Wir schließen uns diesem Versuch an.

Apfel vom Nobel-Greissler

Wenn man die Lebensform des Hipsters als Zusammenfassung mehrerer Lebensstile früherer Jahrzehnte verstehen darf, von Hippie, Yuppie, Preppie bis zu Punk, die er in seinen Attitüden und Outfits zitiert, unterscheidet er sich von diesen dennoch durch sein locker-entspanntes Verhältnis zum Essen. Sterne-Restaurants sind ihm nicht nachvollziehbare Phänomene der jüngeren Vergangenheit, große Fleischportionen versteht er ebenso wenig wie Billigfutter aus dem Supermarkt. Der Apfel wie der Erdapfel sollte vom Nobel-Gemüse-Greissler kommen oder am besten gleich vom Bauernmarkt, der nur an bestimmten Wochentagen Betrieb hat.

Tel-Aviv-Cuisine und Malakofftorte

Wenn er ausgeht, isst der Hipster Gemüse und Pasta, manchmal auch asiatisch, vietnamesisch oder eine Mischung aus Sushi und Königskrabbe mit Majonnaise, wie man sie im Wiener Mochi anbietet, das seit seinem Aufsperren ausgebuchter als ausgebucht ist. Tel-Aviv-Küche mit all den Falafeln und Mezzes ist von seinem Speisezettel ebenso wenig wegzudenken wie die Karos von seinem Hemd. Schnitzel mit Erdäpfelsalat und die Schweizerhaus-Stelze sind ihm allerdings wiederum absolute Unmöglichkeiten, was nicht weiter überrascht. Wenn schon essen wie bei der Oma, dann gleich Toast Hawaii oder Malakofftorte.

Inszenierung zählt

Überhaupt kocht der Hipster gerne selbst - denn kommt authentischer und kostet auch weniger - selbst wenn beim Einkaufen Diskonter nicht in Erwägung gezogen werden. Die eigene, mit Retro-Design eingerichtete Wohnung muss schließlich als Teil des Gesamtkunstwerks inszeniert werden. Da kann leider kaum ein Restaurant mithalten, nicht einmal, wenn es sich so cool inszeniert wie das Motto am Fluß, das Neni am Naschmarkt, das Aromat oder das Brillantengrund in Neubau.

Anti-Mainstream

Mainstream-Produkte kommen ihm nicht ins Glas oder auf den Teller. Also nimmt er statt Pepsi oder Coca Cola (wenn, dann nur in der alten Gastronomie-Flasche) Afri-Cola oder Fritz-Cola. Als Bier darf es Astra, das gestylte Prolobier aus Hamburg, oder ein Tegernseer sein. Zum Asia-Food gibt sich der Hipster einen Mango-Lassi oder grünen Tee. Wein ist noch nicht so das seine, zu established, daher auch zu angestaubt. Vielleicht haben wir es hier mit der ersten weinlosen Ess-Bewegung zu tun. Wenn sich die Winzer und Vinotheken nicht etwas einfallen lassen. Es wäre schade.

Kein Essen ohne Handyfoto

Während die Yuppies in den Achtzigern und Neunzigern sich über den Schauwert und Preis ihres Essens definierten, gehen es die Hipster viel raffinierter an. Die Andersartigkeit spielt eine ungleich größere Rolle als der Preis. Die kulinarische Topliga wird als Teil der gesamten Kulinarik wie selbstverständlich hingenommen, gilt aber nicht weiter als erstrebenswert. Lässig und entspannt sind die neuen Parameter, an denen gastronomische Qualität gemessen wird. Als Genussfeind will sich die Spezies des Hipsters nicht abstempeln lassen. Zu gerne redet und unterhält man sich über Essen, teilt Rezepte und Tipps über Facebook, Twitter und Blogs und fotografiert mit dem Handy jedes Salatblatt, das einem unter kommt. Hat ja schließlich keinen Sinn, wenn man wie ein Hipster isst - und keiner weiß es.

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