Das Geheimnis der 100-jährigen Bar-Frau
Sie ist 100 Jahre alt und ihr Geheimnis für ein langes Leben lautet: Jeden Morgen ein Gläschen Kirschbrandy trinken. Die französische Barbesitzerin Marie-Louise Wirth steht seit 86 Jahren hinter der Schank ihres Beisls im nordfranzösischen Isbergues südlich von Dünkirchen.
Die Leitung der Gaststätte in dem Ort mit 10.000 Einwohnern hat sie 1954 von ihrem Vater übernommen. Jeden Morgen um 8.15 Uhr öffnet sie ihre Bar, die keinen Namen hat: "Wenn man gutes Bier hat, braucht man kein Aushängeschild", sagte Wirth.
Neben dem Kirschbrandy schwört sie auf "alles, was man nicht darf": Mayonnaise, Gewürzgurken, aber "niemals Obst". Auch auf andere Gesundheitstipps pfeift die rüstige Barbesitzerin: "Ich bin niemals gerne zu Fuß gegangen, ich fahre lieber Auto", bekannte sie.
Emiko Kinjo sieht aus wie 70, in Wahrheit ist sie 94 Jahre alt – dass Europäer mit 65 in Pension gehen, kann sie sich nicht vorstellen. Da ist man doch noch fast ein Kind, meint sie. Japan ist das Land mit der höchsten Lebenserwartung, auf Okinawa im Ostchinesischen Meer finden sich die ältesten Japaner überhaupt. Beim Besuch des Autors Henrik Ennart sind 156 der 3386 Bewohner des Dorfes Ogimi über 90 Jahre alt. 13 von ihnen sind bereits 100 oder älter. Zum Vergleich: In Schweden erreicht gerade mal einer von 5000 Einwohnern ein so hohes Alter.
In dem tropischen Klima wachsen viele Gemüsesorten und exotische Früchte: "Das hier ist eine arme Gegend ohne besonders fruchtbare Erde, und die Menschen können nur das anbauen, was auch von Natur aus im Wald wuchs." Kinjo sagt, dass sie hier zwei Jahreszeiten haben. In der einen holen die Menschen das Essen aus dem Meer, in der anderen holen sie ihr Essen aus den Bergen. Auf dem Speiseplan der alten Generation steht getrockneter Fisch, Tang undAlgen,Süßkartoffeln, Hirse und Bittermelone. Reis wird hier nicht gegessen. Jede Familie besaß früher ein Schwein, das zum Neujahrsfest geschlachtet wurde – die Fleischteile reichten ein ganzes Jahr.
Ihren Tag beginnt sie mit einer lokalen Variante der Misosuppe mit Süßkartoffeln und Blattgemüse. Die ehemalige Ernährungsberaterin glaubt, einen weiteren Grund für ihr hohes Alter zu kennen. Dreimal am Tag gehen die alten Leute in den Garten, und das 365 Mal im Jahr, um die Pflanzen zu bewässern. Das sei ihr Geheimnis.
Der schwedische Wissenschaftsjournalist Henrik Ennart versuchte für "Das Kochbuch der 100-Jährigen", die Erfolgsrezepte der Langlebigen zu entschlüsseln. Seine kulinarische Entdeckungsreise führte ihn nach Italien, Griechenland, Japan, Lateinamerika und Schweden. Laut seiner Meinung ist das Einzige, was alle Langlebigen vereint, die Tatsache, dass sie das Beste aus den regionalen Rohstoffen herausholen. Und die Tatsache, dass Ernährung ein wichtiges Element in einem Lebensstil ist, der den Menschen eine gesunde Balance zwischen körperlicher Beweglichkeit und Entspannung verschafft.
Wo die Männer gleicht alt werden wie die Frauen
Bei Ennarts Besuch in dem schwer zugänglichen Bergdorf Villagrande Strisaili aufSardinien – laut UNO der Ort mit der höchsten Lebenserwartung weltweit – entdeckte er die spezielle sardische Version der Mittelmeerkost. Das Besondere in dem kleinen Bergdorf ist, dass hier auch Männer gleich alt werden wie Frauen. Der Demograf Gianni Pes entdeckte als Erster das Phänomen Villagrande Strisaili: An Super-Lebensmittel als Geheimrezept glaubt er nicht, aber wenn er etwas nennen müsste, dann Casu axedu – einheimischer Bergziegenkäse. Die Menschen essen ihn mit einem dünnen Vollkornbrot, dazu gibt es viel Wein aus Eigenanbau.
Zu Weihnachten haben wir ein Schwein geschlachtet, eingesalzen und geräuchert – das musste dann bis zum nächsten Jahr reichen.
Ebenso abweichend von gängigen Empfehlungen ernährte sch Ebba Nilsson, die 104 Jahre alt wurde. Im "Kochbuch der 100-Jährigen" erzählt sie, dass sie immer viel Butter, Speck und Kaffee zu sich genommen hat. Zum Abschluss ihrer Recherchereisen untersuchten Ennart und Koch Niklas Ekstedt in ihrer Heimat Schweden die Geburtenregister. Auch hier gibt es zahlreiche Gemeinden, wo die Chance viel größer ist, 100 Jahre alt zu werden als im restlichen Land. Von der Forschung blieben die Gemeinden zwischen Skane und Kronoberg oder zwischen Vadstena und der Ostküste des Vättersees bisher unerwähnt. Wissenschaftsjournalist Ennart zeigt sich aber überzeugt, dass auch diese Region eine sogenannte Blue Zone ist. Nilsson erzählte bei seinem Besuch im Jahr 2012: "Wir warenSelbstversorger hier. Zu Weihnachten haben wir ein Schwein geschlachtet, eingesalzen und geräuchert – das musste dann bis zum nächsten Jahr reichen."
Buchtipp: Das Kochbuch der 100-Jährigen, Niklas Ekstedt, Henrik Ennart, Good Life Books by Fackelträger, 20 Euro, ISBN 9783771646639
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