Unsterblich: Auf den Spuren Leonardo da Vincis in Florenz
Vor der Gelateria La Carraia an der Piazza Nazario Sauro gegenüber des Arno, einer der besten Eisadressen der Stadt, hat sich eine lange Schlange gebildet. „Einmal Schokolade und Pistazie, bitte!“, sagt das Mädchen mit der langen, brauen Lockenmähne und der Eismann ist froh, dass er diesmal abgezähltes Kleingeld erhält: Unter anderem eine Ein-Euro-Münze. Ein niegelnagelneues Stück mit glänzender Strahlkraft. Vorne eine Eins drauf und hinten? Ja, was soll das eigentlich bedeuten, dieser Mann im Kreis, der seine Arme und Beine gleich vierfach ausbreitet? Es ist Leonardo da Vincis „Vitruvianischer Mensch“, eine Proportionsstudie des Körpers nach Vitruv. Eine Abbildung, die jedes Kind kennt, nicht nur in Italien.
Dass sie die Ein-Euro-Münze ziert, ist kein Zufall. Denn zu Recht können die Italiener stolz auf ihren Erschaffer Leonardo da Vinci sein, der den größten Teil seiner Jugend in Florenz verbrachte. Und so feiert die Stadt am Arno dieses Jahr den 500. Todestages des Künstlers, Erfinders und Wissenschaftlers mit zahlreichen Ausstellungen – nicht nur im Leonardo da Vinci Museum im Herzen der Stadt. Wer das Universalgenie entdecken will, muss einfach nur durch die Straßen von Florenz, über die Plätze schlendern, die großen, alten Palazzi betreten und durch die Parks flanieren.
Denn als da Vinci in Vinci bei Florenz am 15. April 1452 geboren wurde, war die Metropole als Zentrum des spätmittelalterlichen Handels- und Finanzwesens eine der reichsten Städte Europas. Die Pracht und Macht, die Florenz ausstrahlte und die Leonardo während seiner Schaffensjahre in der Stadt erlebte, spiegelt sich noch heute in der Architektur, die seit Jahrhunderten in weiten Teilen fast unverändert blieb. Im 14. und 15. Jahrhunderte blühte die Stadt auf. Sie setzte Maßstäbe in der europäischen Kunst und Kultur und wurde zur Wiege der Renaissance. Künstler und Gelehrte wie Donatello, Botticelli, Michelangelo, Machiavelli, Galileo Galilei und eben jener Leonardo da Vinci schufen zu dieser Zeit Kunstwerke, entwickelten Techniken und schenkten der Welt neue, revolutionäre Ideen von unschätzbarem Wert.
Reich, kunstvoll und schön
Dieser schöpferische Spirit ist heute noch spürbar am Arno. Genauso wie der Einfluss der Familie der Medici. Reich geworden durch Textilhandel, später erfolgreich im Bankwesen und einflussreich in Politik und Kirche, verbandelt durch geschickte Einheirat in die Königshäuser und Herzogtümer Europas förderte ihr Mäzenatentum die Kunst und prägte das Stadtbild – und das bis heute.
Unter ihrer Ägide entstand die gewaltige Kuppel des Doms, der Kathedrale Santa Maria del Fiore – eine technische Meisterleistung der frühen Renaissance –, die nach dem Petersdom im Vatikan, der St. Paul’s Cathedral in London und dem Mailänder Dom die viertgrößte Kirche Europas ist. Sie ließen ein ganzes Stadtviertel abreißen und unter anderem die Uffizien – heute eines der bekanntesten Kunstmuseen der Welt – entstehen. In der dritten Etage des Gebäudes ist die Gemäldesammlung Gallerie degli Uffizi untergebracht, die allein jährlich zwei Millionen Besucher in die Stadt zieht.
Meister in bester Gesellschaft
Auch hier lässt sich Leonardo da Vinci finden: Sein Bild „Die Verkündigung“ hängt in bester Gesellschaft mit Sandro Botticellis „Die Geburt der Venus“ und Michelangelos „Tondo Doni“. Dieser Teil des Baus verbindet die Uffizien auf der einen Seite mit dem Palazzo Vecchio an der Piazza della Signoria und auf der anderen Seite über den Ponte Vecchio mit dem Palazzo Pitti – weiteren Highlights der Stadt, die ebenfalls eng mit der Geschichte der Medici verbunden sind. Der Palazzo Vecchio mit seinen Zinnen und dem 94 Meter hohen Turm war zunächst Amtssitz der höchsten Beamten der Stadt und damit die Machtzentrale von Florenz. Später wurde er umgebaut und diente als Residenz der Großherzogfamilie.
Heute beherbergt der imposante, mittelalterliche Palast das Rathaus von Florenz. In seinem riesigen, 54 x 22 großen „Saal der Fünfhundert“ erhielten Leonardo da Vinci und Michelangelao 1503 den Auftrag, jeweils ein großes Wandgemälde zu schaffen. Beide wurden nicht fertiggestellt; Leonardo ließ sein Werk unvollendet zurück – so wie er vieles begann, aber nicht beendete.
Das Universalgenie
Der Mann, der am 15. April vor 567 Jahren geboren wurde, hatte einfach eine unstillbare Neugierde und breit gestreute Interessen und Neigungen: Er brillierte nämlich nicht nur als Maler und Bildhauer, sondern war auch Architekt, Musiker, Arzt, Mechaniker, Ingenieur und Naturphilosoph. Als Universalgenie tanzte er erfolgreich „auf vielen Hochzeiten“. Und war oft seiner Zeit weit voraus. Durch das präzise Beobachten von Vögeln und Fledermäusen entwarf er Flugmaschinen; als großer Natur-Philosoph führte er den Begriff der Naturgesetze ein und sprach sich für interdisziplinäres Forschen aus. Er wollte den Dingen auf den Grund gehen und sah die Welt mit seinen Augen.
Mit da Vincis Augen sehen
Was würde er heute sehen, wenn er durch die Straßen von Florenz schlenderte? Wenn er die Schlangen vor den Museen in den Jahrhunderte alten Palästen bemerken würde, die mit großen Steinquadern ausgelegten Plätze, an denen die Cafés ihre Stühle und Tische schon früh am Morgen herausstellen? Die Souvenirstände auf der Piazzale Michelangelo, von deren weitläufiger Aussichtsterrasse sich die Stadt im besten Licht präsentiert? Die Besuchermassen, die gerade im Sommer von den Kreuzfahrtschiffen vom Mittelmeer herkommend in der toskanischen Hauptstadt einfallen und den Dom stürmen? Die Designer-Handtäschchen schwenkenden Damen im Verkaufsraum der Farmacia di Santa Maria Novella, einer der ältesten Apotheken der Welt, direkt neben der Piazza Santa Maria Novella – mit einem Verkaufsraum, der einst die Kapelle der Dominikanermönche war und noch heute das Design jeder Nobelboutique übertrifft? Wo sie Cremes und Salben kaufen, die die Mönche schon im 13. Jahrhundert entwickelten und Düfte, die für Königinnen wie Caterina de’ Medici, Königin von Frankreich, kreiert wurden?
Was sähe er, wenn er sich zu den Gästen der Nobelrestaurants setzen würde, die ihre Terrassen zum Fluss hin öffnen und zum Blick auf den beleuchteten Ponte Vecchio, einer der ältesten Segmentbogenbrücken der Welt, modern interpretierte toskanische Traditionsgerichte servieren?
Vielleicht würde sich ein solch vielsagendes Lächeln auf seine Lippen legen, wie bei Mona Lisa, dem wohl berühmtesten Bildnis der Welt – das natürlich kein Geringerer als er selbst, Leonardo da Vinci, gemalt hat.
Vier Tage, vier Routen. Die Freizeit führt stilvoll durch das lange Wochenende in Florenz.
Donnerstag
1. Palazzo Vecchio
Leonardo da Vinci-Ausstellung im Rathaus. Bis 24. Juni.
museicivicifiorentini.comune.fi.it/en/palazzovecchio
2. ZEB Gastronomia
Kleiner Hunger zwischendurch? Mutter und Sohn kochen hier.
www.zebgastronomia.com
3. Uffizien
Eines der bekanntesten Museen der Welt. Mit Werken Da Vincis.
www.uffizi.it/en/the-uffizi
4. Il Salviatino
Ein grandioser Platz für den Apero mit Blick über die Stadt.
salviatino.com/de
Freitag
5. Museum Galileo
Den Wissenschaft-Genies Leonardo da Vinci & Galileo Galilei auf der Spur.
www.museogalileo.it
6. Ponte Vecchio
Must see: Die berühmteste Brücke der Stadt mit der typischen Bebauung.
www.italien.de/poi/ponte-vecchio
7. Giardino di Boboli
Einer der größten und elegantesten Gärten italienischer Art.
www.uffizi.it/en/boboli-garden
8. Il Fabbrica
Die Silberschmiede Pampaloni verwandelt sich abends in eine Tafel.
restaurant.pampaloni.com
Samstag
9. Farmacia di Santa Maria Novella
Eine der ältesten Apotheken Europas in der ehemaligen Kapelle des Klosters.
www.smnovella.com/page/banner_sala_vendita
10. Centro Mercato Central
Toskanische Delikatessen unter Jugendstil-Gusseisendach.
www.mercatocentrale.com/florence
11. Kathedrale von Florenz
Meisterleistung der frühen Renaissance: die gewaltige Kuppel.
www.duomofirenze.it/en/home_eng
12. Procacci
Seit 1885 dreht sich hier alles um Trüffel und toskanischen Wein.
www.procacci1885.it
Sonntag
13. Museum Leonardo da Vinci
Seine Welt: Leonardo da Vinci, der „Erforscher der Wirklichkeit“.
www.museoleonardiano.it/eng
14. Café Gilli
Gelebte Tradition seit über 270 Jahren – das älteste Café Florenz’.
caffegilli.com/en/
15. Palazzo Pitti
Renaissance-Palast: mit Gemäldesammlung der Medici u. a.
www.uffizi.it/en/pitti-palace16.
16. Restaurant Borgo San Jacopo
Festessen auf der Terrasse, die beleuchtete Ponte Vecchio im Blick.
www.lungarnocollection.com/it/
borgo-san-jacopo
17. The Frame Hotel
Kunst zum Träumen: Mit Leonardos Mona Lisa ins Bett gehen.
www.theframehotel.com/en/4-star-boutique-hotel-florence
18. Room Mate Luca
Designer-Hotel nur zehn Gehminuten vom Dom entfernt.
room-matehotels.com/de/luca/
19. Riva Lofts
Coole Hotel-Location mit Swimmingpool im ehemaligen Gewerberaum.
rivalofts.com
Annemarie Josef, Brigitte Jurczyk, Barbara Reiter
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