Bonjour Europa: Eine Reise nach Straßburg
Irgendetwas ist anders in Straßburg, das ist sofort spürbar, wenn man hier zum ersten Mal unterwegs ist. Historisch, hübsch, gepflegt – das kennt man. Verwinkelt, superalt und supermodern – das macht den besonderen Reiz aus. Aber wirklich erstaunlich ist diese angenehme Ruhe in der City.
„Salut Luis!“ Ungewöhnlich deutlich ist der fröhlich-entspannte Gruß zu hören, den eine junge Radfahrerin dem Besitzer der Boulangerie gegenüber zuruft. Auch der Klang zweier Männerstimmen, die im Business-Anzug unterwegs sind, zum Europäischen Parlament vielleicht, wer weiß. Kein Hupen, kein hektischer Morgenverkehr stört.
„Oui c’est vrai“, „Ja, das ist wahr“, sagt der eine zum anderen, als wolle er diesen Gedanken bestätigen. Ein paar Schritte gemeinsamen Weges bleiben noch, um die Melodie der Worte einzufangen, dann steigen die beiden Männer in die weiße, stromlinienförmige Straßenbahn, die für Wiener Besucher ausschaut, als käme sie direkt aus der Zukunft. Und so fährt sie auch davon – leise, leicht, fast schwebend.
In der Ferne und doch ganz nah erhebt sich der Kirchturm des berühmten Straßburger Münsters, der fast wie mit dem Zirkel gesetzt aus dem Zentrum zu ragen scheint.
Goethe bestieg vor 250 Jahren mehr als ein Mal diesen damals höchsten Kirchturm der Welt. Der 21-jährige Student wollte in Eigentherapie seine Höhenangst überwinden, was ihm gelang. Wie jener von Voltaire ist auch sein Name für die Ewigkeit dort oben eingeritzt.
Wer die 332 Stufen zum Turm des 1.000-jährigen Münsters erklimmt, dem wird heute wie damals der Atem kurz, dafür öffnet sich der Blick staunend für die typisch steilen Dächer, verwinkelten Gässchen der Stadt, und schweift wie im Vogelflug in die Weite: im Westen sind die Vogesen, im Osten ist der Schwarzwald in Sicht. Zu kitschig? Niemals
Es wird nicht der einzige Besuch des Münsters an diesem Wochenende bleiben, denn nachmittags wird die Westseite des fast filigran wirkenden Riesen mit seiner typisch rosaroten Sandsteinfassade in warmes Sonnenlicht getaucht. Und, mon dieu, es gibt so unglaublich viele Figuren, Bilder und Details auf der Fassade zu entdecken.
Wer im Juli und August herkommt, wird auch ein drittes Mal vorbeispazieren, denn dann wird die gotische Kirche spätabends in eine spektakuläre künstliche Lichtshow getaucht. Zu kitschig? Niemals.
Spielball der Nationen
Straßburg liegt am Oberrhein an der Grenze zu Deutschland. Und wurde in der Geschichte immer wieder Mittelpunkt für Kriege und Konflikte. War die Freie Reichsstadt im 13. Jahrhundert die reichste und prunkvollste Stadt des Deutschen Reichs, wurde sie über die Zeit immer wieder zum Spielball zwischen deutschen und französischen Begehrlichkeiten. Mal wehte die eine, mal die andere Flagge, die Nazis verboten alles Französische, die Franzosen verbannten die deutsche Sprache aus den Schulen, auch das Elsässerditsch.
Bis heute gibt es Elsässer, die während ihres Lebens drei Mal die Nationalität wechseln mussten. Was bedeutete, dass sich damit auch die Familien- und Straßennamen immer wieder änderten. Ab 1972 gab es wahlweise sogar wieder Unterricht auf Elsässerditsch. Doch das ist Geschichte.
Die jüngeren Einwohner beherrschen den Dialekt immer seltener. Umso bemerkenswerter, dass die Straßenschilder in Gemeinden wie Straßburg, aber auch Mulhouse und Colmar auf Französisch und Elsässisch sind.
Natürlich ist auf Reisen im Elsass in den Gassen immer wieder mal ein „Merci vielmols“ oder „Güata Morga“ zu hören. Das klingt ein bisschen wie Schwyzerdütsch oder Alemannisch und zeigt, dass Einheimische gut mit Deutsch zurechtkommen. Es heißt, sie sprechen es lieber, wenn sie unter sich sind. Und Attention: generell gilt, zumindest ein paar höfliche Worte auf Französisch zu probieren, kann helfen.
Parlez vous allemand? Sprechen Sie Deutsch? Dann geht es um vieles leichter ...
Putzig und protzig
Wer in einem der Panoramaboote die Stadt auf allen Kanälen umrundet, kann für den Audio-Guide gleich zwischen zwölf Sprachen wählen. Elsässisch ist dabei, aber auch Japanisch oder Schwedisch. Eine Tour, die auch durch das Viertel La Petite France führt – für viele, die von sehr weit her kommen, einer der schönsten Orte auf ihrer Europareise. So hübsch verputzt die Fachwerkhäuser aus dem 16. und 17. Jahrhundert sind, so abgründig die Zeiten, als hier das Gerberviertel war, sich Gestank, Gauner und Krankheit durch die engen Gassen trieben.
Heute umschmeichelt einen der Duft von frischen Crêpes und Kaffee, und wenn sich die vollen Boote mit den Touristen vorbeischieben, stehen stets Menschen am Ufer, um gut gelaunt zu winken. Die Stimmung ist entspannt. Die Boote sind eine Möglichkeit, bequem die architektonische Fülle der Stadt zu erkunden – wer nur einen Tag Zeit hat, geht rauf aufs Münster und rein ins Boot. Danach weiß jeder, es lohnt sich, wiederzukommen.
Nach dem putzigen Petite France geht es in die protzige Neustadt. Ein Erbe Kaiser Wilhelm II., das bis vor Kurzem gar nicht beliebt war, jetzt aber UNESCO-Weltkulturerbe wurde. Vom Wasser aus sind die stolz aufragenden Jugendstilvillen ein besonders prächtiger Anblick. Später bei einem Spaziergang genießt man auch die Zeit im Garten des überdimensionierten Kaiserpalasts, wo Studenten und Verliebte im Schatten der Jahrhunderte alten Gingko-Bäumen chillen, Elsässer mit ihren Hunden majestätisch Gassi gehen.
Wie viel unterschiedliche Architektur passt noch in die winzige Hauptstadt Europas, die kleiner als Graz ist und flächenmäßig fünf Mal in Wien reinpassen würde? Es geht weiter ins Europaviertel, wo sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wie ein riesiger Dampfer präsentiert, die Glasfassade des EU-Parlaments sich wie ein auftauchendes überdimensionales U-Boot Außerirdischer in der Ill widerspiegelt. In diesem Gebäude werden 24 Sprachen gesprochen, im Europarat, der 47 Staaten umfasst, noch mehr.
Tour durchs Elsass
Im Europäischen Parlament
Ein Mal im Monat kommen die Mitglieder des Europaparlaments für eine kurze Woche hier zusammen. Hier, wo die tapfere 16-jährige Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg zuletzt eine berührende wie ernste Rede zum Klimawandel gehalten hat. Hier werden Gesetze verabschiedet, die alle EU-Bürger zu spüren bekommen. Hier sollen sich die 27, mit Großbritannien 28 Mitgliedstaaten einig werden. Besucher sind erwünscht, alle sollen sehen können, wie ihr Europaparlament Politik macht. Wenn die mehr als 750 Abgeordneten tagen, sind auch Plätze für angemeldete Gruppen reserviert, für Einzelpersonen gilt, wer zuerst kommt, kann rein. Die nächste Sitzung ist am 2. Juli 2019. An allen anderen Tagen, wenn der ganze Politik-Tross in Brüssel weilt, gibt man sich mit 3D-Einblicken zufrieden, eine virtuelle Tour im fast leer stehenden Gebäude. Die teuren Umzüge jeden Monat sind immer wieder heiß diskutiert, für Frankreichs Präsident Macron bleibt der Standort nicht verhandelbar.
Auch nicht verhandelbar: Straßburg ist sehenswert. Wenn es eine Wahl zur sympathischsten Stadt Europas gäbe, hätte Schdroosburi, Strasbourg, Straßburg Chancen. Hier braucht es keinen Champagner, um Glücksgfühle anzukurbeln, es gibt Crémant, den cremig-weich prickelnden Schaumwein. Und Choucroute. Nun ja, das ist Sauerkraut, auf Elsässich Sürkrüt, aber sogar das hat an diesem Ort Esprit.
Über Brücken gehen
Vielleicht liegt die Einzigartigkeit dieser Grenzstadt auch daran, dass sie schon so oft im Mittelpunkt Europas stand. Oder so viele Brücken hat. Nicht nur rund um die Altstadtinsel, sondern auch über den Rhein. Legendär das Treffen der NATO vor zehn Jahren: 60 Jahre Nato, Sarkozy, Obama, Merkel und die anderen Mitglieder auf der Passerelle de Deux Rives (Brücke der zwei Ufer). Seit 2017 gibt es einen weiteren Übergang, die Beatus-Rhenanus-Brücke macht der spacigen Tram und ihren Gästen den Weg frei in beide Richtungen.
Viele Franzosen kaufen in der angrenzenden Stadt Kehl die billigeren Zigaretten, gehen günstig essen und arbeiten auch dort. Die deutschen Nachbarn kommen, um Leichtigkeit und Laissez-faire zu tanken, richtig gute Bretzel oder Flammkuchen in einer Winstub zu essen oder mit dem Rad oder zu Fuß die Passerelle de Deux Rives zu überqueren. Übrigens auch ein Treffpunkt für Verliebte und alle, die stets auf der Jagd nach den schönsten Aussichten sind. Mon dieu, am besten bei Sonnenuntergang. Wenn die Sonne Straßburg in goldenes Licht taucht.
Weekender durch Straßburg
Vier Tage, vier Routen. Die freizeit führt stilvoll durch das lange Wochenende.
Donnerstag
1. Strassburger Münster
332 Stufen für den Rundumblick auf die Europastadt.
https://de.france.fr
2. Macarons & Inspirations
Französisch naschen: viel zu gut, um sie zu verschenken.
facebook @macaronsetinspirations
3. Cave historique des hospices de Strasbourg
Weinkeller des ehemaligen Bürgerspitals. Alt, gut & legendär.
www.vins-des-hospices-de-strasbourg.fr
4. Chez Yvonne
Ohne Winstub geht es nicht. Hier wurde Geschichte geschrieben.
www.restaurant-chez-yvonne.net
Freitag
5. Europäisches Parlament
Sehen, wie Politik gemacht wird, wenn das Parlament tagt, sogar live.
www.europarl.europa.eu/visiting/
6. Buerehiesel
Sterneküche! Mittags-Menü um 39 €. Oh, da sitzt ja ein EU-Abgeordneter. Danach duch den Park de l'Orangerie spazieren
www.buerehiesel.fr
7. Passerelle des Deux Rives
Über diese Brücke muss man gehen: Obama und Merkel waren auch da.
www.strassburg.eu/bruecke-der-zwei-ufer
8. Code Bar
Mix ist: Cocktail trinken mit Showeinlage. Teurer Spaß, aber hip.
www.facebook.com/CodeBarStrasbourg/
Samstag
9. La Petite France
Ist das alles echt? Ja, Fachwerkhäuser aus dem 16. und 18. Jahrhundert.
www.strassburg.eu/la-petite-france-klein-frankreich
10. Oh my Goodness
Kaffee, Tee, zweites Früchstück – wie zuhause bei Freunden.
ohmygoodnesscafe.fr
11. Place de la République
Prunk aus der Kaiserzeit. Im Schatten alter Gingko-Bäume Geschichte lernen.
www.otstrasbourg.fr/de
12. Au Crocodile
Ein Mal Kaiser sein. Das Restaurant ist gekrönt – mit einem Michelin-Stern.
www.au-crocodile.com/fr
Sonntag
13. Au Pain de mon Grand Père
Ein Croissant, ein Bretzel und ein Kougelhopf, s’il vous plaît. – Merci.
www.aupaindemongrandpere.com
14. Terrasse Panoramique du Barrage Vauban
Lieblingsblick auf jahrhundertealte Türme und Brücke über die Ill.
Place du Quartier Blanc
15. Musee d’art Moderne
Hans Arp, Monet – und noch ein Traumblick vom Terrassen-Café.
www.musees.strasbourg.eu
Café Atlantico
Genießen unter Sternenhimmel. Am Wasser. Küche bis 22 Uhr.
www.cafe-atlantico.net
Hoteltipps
17. Les Haras Strassburg
Ehemaliges nationales Gestüt.
Alte Mauern toll designt.
www.les-haras-hotel.com
18. Hôtel Monopole Métropole
Gleich beim sehenswerten Bahnhof, moderne Zimmer.
www.bw-monopole.com
19. Château de Pourtalès
Ein Schloss für alle. Hier schlafen Verliebte, Politiker, Studenten ...
www.chateau-pourtales.eu
Noch mehr Infos zum Elsass und Straßburg unter:
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