Nächster Halt am Meer: Vier Tage in Istrien
Das Schiffsmodell der SMS Novara. Sergio Gobbo steht in seinem eher unbekannten Privatmuseum in der Altstadt von Novigrad – und seine Augen funkeln. „Altösterreichische Fregatte“, frohlockt der 70-jährige Fotograf und Designer. „Wissenschaftler haben auf ihr in den Jahren von 1857 bis 1859 die Welt umsegelt.“
Wollte Gott einen Menschen schaffen, der Gäste aus Österreich zu einem verlängerten Wochenende empathisch empfängt, ist ihm das mit „Gospodin“ Gobbo annähernd perfekt gelungen. Herr Gobbo besitzt alles, was den Leuten in Istrien nachgesagt wird: Bei der Eröffnung seines Museums hat er sich angeregt mit Otto von Habsburg unterhalten. Das hindert ihn aber nicht, die Zukunft Europas nicht nur in der Vergangenheit und schon gar nicht im Nationalismus zu orten.
„Ich habe als Bub den alten Fischermännern am Hafen zugehört“, erklärt der gebürtige Slowene, der sich als Berufstätiger unter anderem Spielzeug ausgedacht hat. „Diese Geschichten werden in unseren großen Museen leider nicht erzählt.“ Also erzählt er sie, und flugs ist ein Vormittag um, speziell, wenn er die Besucher anschließend noch zu einem Espresso auf die sonnige Terrasse des gegenüber liegenden Straßencafés bittet.
Novigrad wird von den Mitgliedern der in Istrien lebenden italienischen Minderheit sowie von den italienischen Besuchern Cittanova genannt. Cittanova ist die nördlichste, kleinste und wohl auch die unbekannteste Zwischenstation auf unserer Entdeckungsreise zu den vier eindrucksvollsten Hafen- und Badeorten Istriens.
An das ehemalige Fischerdorf erinnert heute noch die hübsch herausgeputzte Hafenpromenade, an ihre bis in die Antike zurückreichende Geschichte und ihre unterschiedlichen Eroberer eine Stadtmauer. Mediterranes Flair vermittelt auch hier das schmale Gassenwerk innerhalb der Mauern, es wird von schmucken Steinhäusern beschattet.
Gute Außenwirkung in Porec
Enge Gassen prägen auch die Altstadt von Poreč (italienisch Parenzo). Hier kommt man nur schwer am Heiligen Euphrasius vorbei: Im sechsten Jahrhundert soll der ehrgeizige Herr Bischof so lange gezetert haben, bis man ihm erlaubt hat, eine neue Basilika zu errichten. Zweifelsohne, seine Architekten waren wahre Meister ihres Faches, sie schufen ein UNESCO-Weltkulturerbe, vor allem aber haben sie ihm mit dem heute gleichnamigen Kirchenbau ein Denkmal gesetzt. Um als Irdischer ja nicht in Vergessenheit zu geraten, hielt Euphrasius den Autor des riesigen Mosaiks über der Kanzel an, ihn in der Reihe der Heiligen zu verewigen. Auf Augenhöhe mit der Mutter Gottes hält er mit stolzer Brust das Modell seiner Kirche in Händen.
Um gute Außenwirkung bemüht ist auch Monika Jakovljević in ihrem „Sole Luna Design Store“ am Beginn der Zagreber Straße, allerdings geht es ihr mehr um die Promotion ihrer Mitmenschen, wie sie sagt: „Ich biete kroatischen Künstlern die Chance, ihre Arbeit in meinem Shop zu zeigen.“ Vom Sommerkleid bis zum Armschmuck, von der Kaffeetasse bis zur Stehlampe, all die jungen Kreativen beweisen eindrucksvoll, dass ihr Land nicht nur aus alten Mauern besteht, und dass noch lange nicht alle Talente aus Kroatien ins Ausland abgewandert sind.
Anfangs gelegentlich belächelt, konnte sich Monika Jakovljević, die zumeist gut gelaunte Frau des Bildhauers Nenad, in den 15 Jahren ihrer Firma einen Namen weit über die Grenzen der is-trischen Halbinsel hinaus machen. Ihren Shop kennen längst auch designaffine Touristen, nicht nur Kroaten. Zwar verfolgt die erfolgreiche Unternehmerin sehr genau, was international gerade angesagt ist, ihrer vertrauten Umgebung bleibt sie dessen ungeachtet leidenschaftlich treu: „Die Sonne, das Meer, der Wein, hilfsbereite Nachbarn, ich habe hier in Poreč alles, was ich zum Leben brauche.“Millionäre in RovinjEcht stark ist auch die Geschichte von „Baka Faška“, der Großmutter des ebenso weithin bekannten Wein- und Gemüsehändlers Gašpar Dobravac aus Rovinj (Rovigno). Fünf Kinder hatte die Frau, und einen Mann, der ihr in der allgemein schwierigen Zeit während und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg kaum eine Hilfe war. Mehrfach soll sie versucht haben, mit Kind und Kegel ihrem bitterarmen Dorf beim Limski-Fjord zu entkommen, bis ihr die Migration mit ihrer Familie in die nahe gelegene Stadt Rovinj gelingen sollte. Dort vollendete sie mit fleißigen Händen den Reichtum ihrer Familie. Sehr lange nur belächelt von den Ur-Rovinjern unten in der Altstadt, die der Zuzüglerin in der Wildnis oben am Hügel so gut wie keine Überlebenschancen einräumten, ließ sie sich nicht unterkriegen.
Ihr Enkel, Gašpar Dobravac, legt daher heute großen Wert auf die Betonung, dass seine Familie den Bauern von Rovinj zuzurechnen ist. Zwischen Seinesgleichen und den Altstädtern sieht er eine feine Linie gezogen: „Jene lebten immer vom Meer, wir Zugezogene mehr von unserem Boden.“ Angebaut werden hier bis heute unter anderem Weintrauben, Feigen, Erdbeeren, Zwetschken, Pfirsiche, Birnen sowie Tomaten, Paprika, Oliven, Kartoffeln, Kraut, Karotten, Salat, Sellerie, Rucola, Gurken, Melanzani, Zucchini und Mangold.
Gašpar und seine Frau Natalina bestellen ihr Land weiterhin mit Herzblut. Das schmeckt man. Sie könnten es sich heute sehr leicht machen und an die überall in Rovinj herumschwirrenden Immobilienhaie verkaufen. Sie wären über Nacht Millionäre. „Wollen wir aber nicht“, erklärt Natalina entschieden.
Millionär ist in Rovinj übrigens bald jemand. Grund dafür ist laut Erzählungen die große, jahrzehntelang dieser kleinen Stadt Arbeit gebende Tabakfabrik unweit des Eingangs zur Altstadt. Als sie ihren Zenit überschritten hatte und privatisiert wurde, erhielten die Arbeiter Anteile an der neuen Firma. Jene, die diese nicht sofort verkauft haben, sind heute reich. Steinreich sogar. Anstatt weiterhin Tabak zu verarbeiten, haben die neuen Eigentümer in das Gold der heutigen Zeit investiert: in den Tourismus. Was sich voll rentiert hat. So zählt das schöne Postkartenmotiv von Rovinj schon lange zu den Landmarks, die die Welt mit Kroatien verbindet.
Natürlich müssen alle Istrien-Novizen unbedingt auch zu Fuß hinein in die Altstadt, magisch werden alle hinauf zum Campanile gezogen, wo sie aber auch mit einem weiten Blick übers Meer belohnt werden. Anders als im bekannteren Dubrovnik im Süden Dalmatiens, wo das Gros der Einheimischen nur mehr als Diener der Touristen die Altstadt betreten, wohnen in den historischen Häuserzeilen Rovinjs da und dort noch Menschen, die Kroatisch sprechen. Ja, und nun gilt’s, noch einmal alle Kräfte zu mobilisieren. Denn der im Südwesten der Stadt gelegene Naturpark „Zlatni rt“ ist aus gutem Grund nur per pedes zu erforschen. Immerhin spenden hier viele respektable Bäume Schatten, die schon in der Monarchie gesetzt wurden.
Geballte Geschichte in Pula
Die letzte Station ist Pula (italienisch Pola). Aufwendig renoviert hat man hier in der Hauptstadt Istriens jenes repräsentative Gebäude aus der K.-u.-k.-Zeit, das schon seit Langem das Archäologische Museum beherbergt. Mit dem Schönheitsfehler, dass die Schauräume des schönbrunnergelben Palais noch immer nicht zugänglich sind.
Immerhin gibt es kaum eine andere Stadt in Europa, in der historische Ausstellungen weniger vermisst werden müssen als hier. Pula ist ein Sammelsurium, eine Schichtung aus Geschichte, allerdings nirgends linear.
Ein Muss für alle Besucher ist das römische Amphitheater. Im Volksmund auch „Pulska Arena“ bezeichnet, wird es weltweit als sechstgrößtes Monument seiner Art geführt. Es ist auch das einzige Theater mit drei vollständig erhaltenen Bogenreihen, weshalb es heute noch als eine feine Kulisse für Konzerte dienen darf.
Nur wenige Schritte von der Arena entfernt, im „Hotel Amfiteatar“, bittet Deniz Zembo zu einem Tango, der in die Gegenwart führt. Der weit gereiste Küchenchef bietet „Teatar“ im buchstäblichen Sinn: Wortreich erklärt er den Gästen, was er auf den Tisch zaubern möchte, jede Geste ein Schauspiel, jeder Satz wie aus einem Drama, um dann mit viel Esprit in seine Küche zu wieseln.
Zembo, der Patron, Tänzer, Schauspieler, Läufer, Kulturmensch aus dem ehemaligen Jugoslawien, findet zwischen den einzelnen Gängen immer wieder eine Minute Zeit für seine Erzählungen: Er hat in England und in Frankreich gearbeitet, war dann Franchise-nehmer für eine US-Fastfood-Kette sowie Haubenkoch in Opatija, doch verliebt hat er sich in die alte Stadt Pula: „Das hängt wohl auch mit dem Temperament der Leute hier zusammen. In Pula gelingt es sogar einem Turbo-Menschen wie mir, endlich einmal einen Zacken zurückzuschalten.“
Wer sich nach einem ausgiebigen Menü die Füße vertreten möchte, kann weiterhin zick-zack durch die Geschichte Pulas mäandern: vorbei am EU-konformen Yachthafen und an der aus der jugoslawischen Zeit gefallenen Uljanik-Werft, hinein ins Stadtzentrum zum antiken Forum mit dem Augustus-Tempel und dem Rathaus, hinauf zum venezianisch geprägten Kaštel. Wieder hinunter zum neu und schön eingerichteten Olivenöl-Museum der Kunsthistorikerin Lorena Boljunčić.
Sie bietet mit großer Leidenschaft und viel didaktischem Fingerspitzengefühl einer uralten Kulturtechnik sowie den heutigen Öl-Produzenten eine wunderbare Bühne. Die Direktorin des Themen-Museums schätzt an ihrer Heimatstadt, was viele hier mögen: „Pula ist im Gegensatz zu den anderen Orten Istriens eine richtige Stadt.“ Sie freut sich auch über „viele interessante, weltoffene Menschen, und nicht zuletzt über das sehr angenehm-milde mediterrane Klima“.
Der Kreis dieser Kulturreise schließt sich auf dem „K. u. K. Marinefriedhof Pola“. All die historischen Grabstätten werden von mächtigen Zypressen beschattet – auch das Grab von „unserem geliebten Kameraden“ Otto Karsch. Auf dem Grabstein des „k. k. See Cadet“ steht geschrieben: „Geboren zu Brünn am 8. September 1866, verschollen in den Wellen des Hudson am 3. Februar 1886 im Dienste seines Kaisers.“
… auf der Halbinsel Kamenjak, dem südlichsten Zipfel Istriens, gleich 30 verschiedene wilde Orchideen wachsen, davon 13 unter besonderem Schutz?
… sich die knapp zwanzig Bewohner von Hum, einem leicht überschaubaren Ort im Inneren von Istrien (mit zwei kurzen Straßen und drei Häuserreihen), dafür rühmen, in der kleinsten Stadt der Welt zu wohnen?
… sehr alte Istrianer die k.u.k.-Monarchie, das Königreich der Slowenen, Kroaten und Serben, eine faschistische Diktatur und einen sozialistischen Vielvölkerstaat überlebt haben und dann EU-Bürger mit EU-Pass wurden?
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