Ungute Muster
Positive Emotionen – danach sehnen sich wegen des Corona-bedingten Ausnahmezustandes viele. Ein optimaler Nährboden für ungünstige Entscheidungen in puncto Selbstorganisation im Homeoffice: "Bei Verunsicherung gerät das Gehirn in Aufruhr. Das betrifft vor allem jene neurologischen Zentren, die fürs Abwägen und logische Entschlüsse zuständig sind." Wird der Verstand der Lage nicht mehr Herr, greift er auf gewohnte Muster zurück. "Und die können, wenn wir beim Beispiel des Aufschiebens bleiben, problematisch sein."
Seinen komplizierten Namen bekommt die Aufschieberitis, wenn entsprechende Verhaltensweisen zu Belastung werden und etwa zu Schlafstörungen oder Depressionen führen. "Bei der Prokrastination ist der Leidensdruck das bestimmende Element. Der Grat zur krankhaften Ausprägung ist oft schmal", sagt Beran. Zwanghaftes, extremes Aufschieben werde nicht als eigenständige psychische Störung eingestuft, "kann aber als Folge einer psychischen Erkrankung auftreten".
Zurück zum alltäglichen Dilemma: Um sich im Homeoffice nicht zu verzetteln, braucht es eine ruhige Atmosphäre. In vielen Haushalten aktuell ein unrealistisches Ideal. Lärmende Kinder, der Partner, der bei einer wichtigen Videokonferenz unachtsam durchs Bild marschiert: Ablenkungsquellen lauern überall. Die Vielfalt an digitaler Distraktion verschärft die Problematik: "Wenn wir bei Aufgaben aus dem Fokus gerissen werden, braucht es Zeit, um wieder zum Ausgangspunkt zu kommen."
Auch die gewohnte Arbeitsumgebung fehlt: der Schreibtisch, an den man sich im Büro zur immer gleichen Zeit setzt, verlässliche technische Infrastruktur, fixe Arbeitszeiten.
Häppchenweise
Aufschiebern werden oft Faulheit und Willensschwäche unterstellt. In der Regel zu Unrecht, wie die Forschung demonstriert. Vielmehr würden sich Menschen Aufgaben falsch einteilen. Dagegen lässt sich etwas tun: "Das Ziel sollte nicht zu abstrakt und bewältigbar sein", rät Beran. "Statt 'Ich räume heute die Wohnung auf' formuliert man besser: 'Heute nehme ich mir den Schreibtisch vor.'" Das steigert die Erfolgswahrscheinlichkeit – und motiviert für künftige Projekte.
To-do-Listen seien eine Typfrage: "Aufschieberitis kann, muss aber nicht ein Auswuchs von schlechtem Zeitmanagement sein. Es ist aber sicherlich eine gute Idee, sich mit einer Liste einen Überblick zu verschaffen. Ist sie nicht diffus formuliert und nach Prioritäten sortiert, sind das gute Voraussetzungen."
Eintönige Arbeiten – ein Klassiker sei die Steuererklärung – gilt es angenehmer zu gestalten, etwa mit Musik oder guter Gesellschaft. Unangenehme Projekte meistert man am besten mit der Aussicht auf Belohnung. Bevor man sich einer Aufgabe widmet, sollten wichtige Bedürfnisse, zum Beispiel Hunger oder Schlaf, gestillt und Ablenkungen ausgeschaltet werden. Und: "Wer etwas erledigt hat, darf den Erfolg anerkennen. So prägen sich förderliche Arbeitsmuster besser ein."
Bei allen Bemühungen zur Selbstorganisation gilt im Krisenmodus mehr denn je: "Man sollte nicht die Ära der Selbstoptimierung ausrufen. Denn das bedeutet erst recht Stress. Machen Sie, was machbar ist. Und erwarten Sie nicht, so zu funktionieren wie vor Corona."
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