Liebesg’schichten und Corona-Sachen
Die junge Mutter drückt ihre kleine Daevi Eleonora ganz fest an sich. Angelika Mair hat sie erst vor wenigen Wochen, am 4. Juni, im Landeskrankenhaus in Hall in Tirol zur Welt gebracht. Ihre Tochter gibt ihr Halt. Den benötigt sie auch. Denn ihre Geschichte ließ bisher niemanden unberührt.
„Der Vater meines Kindes“, erzählt die Personalmanagerin eines großen österreichischen Unternehmens, „durfte bis jetzt unsere Tochter nicht in seine Arme nehmen.“ Und daran dürfte sich nicht allzu bald etwas ändern.
Der KURIER berichtete im April über Menschen, die das Coronavirus plötzlich voneinander getrennt hat. Einige haben sich inzwischen wieder gesehen, andere sind weiterhin voneinander getrennt. Eine Fortsetzung.
Angelika & Geeth
Angelika Mair hat sich nach dem Bericht an die Redaktion gewandt. Auch in der Hoffnung, dass ihr endlich jemand in diesem Land nicht nur Trost spendet, sondern konkret helfen kann.„Eigentlich wollten Geeth und ich in diesem Frühjahr heiraten und dann gemeinsam die Geburt unserer Tochter erleben“, erzählt Frau Mair. Doch es kam anders.
Den Vater ihrer Tochter, Geeth Hettihewa, hat die Tirolerin vor zwei Jahren in Sri Lanka kennengelernt, knapp 8000 Kilometer entfernt vom Goldenen Dachl in Innsbruck. Am Sonntag, dem 15. März, hat sie ihn zum bis heute letzten Mal persönlich gesehen: „Wir haben uns am Flughafen verabschiedet, und ich bin dann mit der letzten Maschine vor dem Lockdown zurück nach Österreich geflogen.“
Seither vermisst sie ihn. Trotz unzähliger eMails und Telefonate mit Behörden konnte sie nicht wirklich etwas bewirken: „Im März hat man mir versichert, dass die österreichische Botschaft in New Delhi keine Visa mehr ausstellen kann. Gestern habe ich erfahren, dass Geeth aufgrund wichtiger familiärer Gründe eventuell doch ein Visum bekommen hätte.“ Er hätte somit bei der Geburt dabei sein können. Mair zeigt sich enttäuscht: „Jetzt ist dieser Weg leider nicht mehr offen, denn die Grenzen zu Indien sind aufgrund der dramatisch hohen Infektionszahlen geschlossen.“
Die Tirolerin war während ihrer Schwangerschaft mit vielen Stellen in Kontakt: mit der Botschaft in New Delhi, dem Außenministerium in Wien, der Bundespolizei Innsbruck. An einem Tag schöpfte sie Hoffnung, am nächsten kehrte die Ernüchterung zurück. Ihr Resümee: „Mit Ausnahme einer Innsbrucker Polizistin waren alle sehr freundlich, doch am Ende haben mir alle versichert, dass sie eigentlich nichts für mich tun können.“
Das Warten auf ihren Mann war für die Geburt nicht förderlich: „Wir haben uns beide so auf unser Kind gefreut, hatten alles genau geplant. Mein zukünftiger Mann wollte mich unbedingt bei allem unterstützen. Doch er durfte das einfach nicht. Am Ende habe ich mich hilflos und allein gelassen gefühlt.“ Weil ihre Eltern schon älter sind, muss sie ihr Kind und Einkäufe meist alleine in ihre Innsbrucker Wohnung im dritten Stock tragen. „Ohne Lift im Stiegenhaus ist das gar nicht so einfach.“
Theoretisch könnte sie mit ihrem Baby nach Sri Lanka fliegen. Doch die Flüge sind im Moment sehr teuer. Zu allem Überdruss hat man am Standesamt in Innsbruck den Vater ihres Kindes aufgrund der Vorschriften nicht in die Geburtsurkunde eingetragen. Damit sind die Eltern und ihr Kind offiziell bis auf Weiteres keine Familie.
Angelika Mair will die Behörden nicht kritisieren. Leise fragt sie nur, ob man für sie, ihr Kind und ihren Mann nicht doch eine Hintertür öffnen könnte, als ein Zeichen der Menschlichkeit. Ihre Kleine wacht gerade auf, als sie am Ende noch anmerkt: „Ich hoffe auf ein Wunder.“
Dieses Wunder könnte nun ein Außenbüro der EU in Sri Lanka ermöglichen. Die Tirolerin erzählt: „Dort kann man auch Visa beantragen. In Kürze könnte es wieder eröffnet werden.“ In Kürze? Kann derzeit etwas länger dauern.
Linus & Tola
Corona hat Paare nicht nur auseinandergerissen, sondern sie auch vorübergehend zusammengebracht, wie Linus und Tola. Der gebürtige Grazer, der seit 2003 in Berlin lebt, studiert Journalismus und Politik in Chicago; die Polin in London – sie führen eine Fernbeziehung.
Als die EU ihre Außengrenzen zumachte, flogen sie zu Linus’ Familie nach Berlin. Ein ganzes Monat verbrachten sie dort zusammen, ehe Tola nach Polen fuhr. Sie wollte zu ihren Eltern und Geschwistern. Angekommen musste sie zwei Wochen in Quarantäne, eine App installieren und bekam Kontrollbesuche von der Polizei. Als Anfang Juni die Reisebeschränkungen aufgehoben wurden, nahm Linus gleich einen Bus nach Krakau. Seine Bilanz: „Die Corona-Krise hat sich weder positiv noch negativ auf unsere Beziehung ausgewirkt. Wir sind es gewohnt, lange getrennt zu sein und dann viel Zeit miteinander zu verbringen.“ So wie in den vergangenen Wochen, wo sie in Polen einige Reisen unternommen haben.
Ab Herbst will der Student wieder nach Chicago zurück. Mit einem „national interest form“ der Botschaft in Wien kann er als Student direkt von Schengen aus einreisen. Sicherheitshalber hat er ein Zimmer auf Zypern reserviert – von dort aus könnte er ebenfalls in die USA. Ob seine Freundin auch an ihren Studienplatz zurückkehrt, ist etwas ungewiss: Einige britische Universitäten haben für 2020/21 den Unterricht ins Netz verlegt, an ihrer Uni ist das bisher nicht geplant. Da heißt es noch abwarten.
Die Familien Wuketich & Mauch
Der österreichische Botschafter in Zagreb, Markus Wuketich, hat es im Mai endlich geschafft, seine Familie in Parndorf zu besuchen. Auch für den Diplomaten war die erste Fahrt über die Grenzen nach drei Monaten aufregend: „Ich habe alle Dokumente im Auto mitgehabt, am Ende ging alles ohne Probleme.“
In die andere Richtung fuhr KURIER-Redakteur Uwe Mauch. Der Moment des Wiedersehens mit seiner Frau und seinen beiden Kindern war nach der unfreiwilligen Trennung, erklärt er, ein bewegender. Corona und dazu das schwere Erdbeben in Zagreb am 22. März hätten sich tief eingeschrieben – auch im Gedächtnis seiner Familie.
Léo & Zeloy
„Mein Freund Zeloy und ich, wir sind seit eineinhalb Jahren zusammen, er wohnt aber in einer Wohnung am anderen Ende Londons. Während des Lockdowns konnten wir einander kaum sehen. Er hat mir unendlich gefehlt“, erzählt Léo. Seit dem Ende des Lockdowns treffen sie sich wieder regelmäßig. „Wenn das nicht geht, dann sind wir trotzdem ständig in Verbindung. Wir schauen unsere Netflix-Serien synchron, damit wir auf dem gleichen Stand sind, wenn wir endlich wieder ganz vereint sind.“
Zeloy sucht eine Wohnung in der Nähe von Léo. „Einerseits ist das jetzt ein guter Moment, weil die Mieten günstig sind, andererseits geht alles sehr langsam, weil wir öffentliche Verkehrsmittel vermeiden, und da kann es vorkommen, dass er stundenlang durch London marschiert.“
Bruno & Carolin
Als Bruno Ende April in den Zug nach Österreich eingestiegen war, wusste er nicht, wann er seine Partnerin Carolin wiedersehen wird. Angekommen in Wien stand das öffentliche Leben still – „alles war runtergefahren“, erinnert sich der Unternehmer, der aus beruflichen Gründen in die alte Heimat musste. Mehr als acht Wochen war der Wahlberliner aus Mödling von seiner Frau getrennt. Eine Zeit, in der sie jeden Vormittag miteinander telefonierten.
Mittlerweile ist er wieder zurück in Deutschland, die zwei sind froh. Auf den jährlichen Urlaub in Spanien wollen sie heuer wegen der Einschränkungen lieber verzichten, sagt Bruno. Aber nach Österreich fahren steht auf dem Programm, diesmal gemeinsam.
Stefan & Nadia
Weiterhin getrennt von seiner Frau Nadia und seinen vier Kindern in Österreich ist Stefan Mugitsch, der für einen weltweit operierenden österreichischen Gesundheitsanbieter in Libyen die Stellung hält. Aus ehrlicher Überzeugung ist er kurz vor dem Lockdown im März nicht heimgeflogen: „Weil ich das unseren engagierten Mitarbeitern in den Spitälern schuldig war.“
Für den KURIER hat Mugitsch eine speziell – mit 133! – bedruckte Maske aufgesetzt: „133 ist hier in Tripolis nicht der Polizei-Notruf, sondern das ist Stand heute die Anzahl der Tage, an denen ich jetzt schon hier ganz alleine bin.“ Wird er seine Familie noch vor Weihnachten sehen? Selbst das kann der Manager aus dem Süden von Wien nicht mit Sicherheit sagen: „Im Moment weiß ich nur, dass die Regierung die Sperre des Flughafens um weitere 15 Tage verlängert hat.“
Viel Zeit zum Nachdenken bleibt ihm nicht. In Tripolis sind jeden Tag Explosionen und Maschinengewehrfeuer zu hören. Noch mehr als die Luftangriffe der internationalen Streitkräfte, die in Libyen einen Stellvertreterkrieg führen, fürchtet Stefan Mugitsch, einen Querschläger lokaler Milizen abzubekommen: „Ich ändere täglich meine Route bei meiner Fahrt von der Wohnung ins Büro.“ Und da redet er noch nicht von Corona. „Die nötige Kraft geben mir meine Frau Nadia und die Kinder.“
Marlene & Patrick
Marlene (Österreicherin) und Patrick (Schweizer) wurden von SARS-CoV-2 mitten in ihrer Kennenlernphase getrennt, zwei Monate sahen sie einander nur auf dem Bildschirm. „Wir waren schon recht verzweifelt und dachten, dass es noch Monate dauern wird, bis wir einander besuchen können“, erzählt die 28-Jährige. „Doch dann ging plötzlich alles ganz schnell.“
Ende April, kurz nach dem KURIER-Artikel, stand fest, dass Patrick nach Österreich einreisen durfte. Seine Schilderungen klingen wie aus einer anderen Zeit: „Ich musste ein Formular ausfüllen und brauchte eine Kopie von Marlenes Meldezettel in Österreich. Damit ’bewaffnet’ bin ich zu Fuß über die Grenze gegangen, weil kein Zug über die Grenze fuhr.“ In Feldkirch stieg er endlich in den Zug Richtung Wien. „Das war schon alles ziemlich abenteuerlich. Da wird einem erst wieder bewusst, was eine Grenze wirklich bedeutet.“
Rückblickend erwies sich Corona für die beiden als glückliche Liebesfügung, sogar Marlenes Geburtstag Anfang Mai konnten sie wider Erwarten gemeinsam feiern. „Wir hätten sonst unter dem Semester nie so viel Zeit miteinander verbringen können, dank Homeoffice und Grenzöffnung war es möglich“, sagt Marlene, die gerade mit ihrem Liebsten den Sommer in den Schweizer Bergen genießt. „Jetzt wissen wir, dass auch das Zusammenleben funktioniert. Die ganze Situation hat unsere Beziehung eigentlich nur gefestigt.“
Viele andere Paare können seit Beginn der Krise nicht zu einanderfinden. Es haben sich Initiative gegründet, die Einreisen für Partner leichter machen sollen. Sie kämpfen unermüdlich für die Liebe.
Der Zusammenschluss
Tausende Paare haben sich weltweit unter #LoveIsNotTourism online zusammengetan. Ihr gemeinsames Ziel: „Liebe ist kein Tourismus – bitte öffnen Sie die Grenzen für internationale, unverheiratete Paare“
Die Probleme in Österreich
Zwar hat Österreich seine Grenzen für Partner mit nicht österreichischer Staatsbürgerschaft aufgemacht, trotzdem nehmen Fluglinien die Menschen oft nicht mit. Denn es fehlt an einem international angesehenen Dokument, wie das etwa in Dänemark vorliegt. „Es gibt ein Chaos“, sagt Jasmine Cichlinski, österreichische Aktivistin bei #LoveIsNotTourism. Sie wartet auf ihren Freund Greg. Auch der Partner von Jacqueline Kircher wurde in den USA nicht in den Flieger gelassen, obwohl er in Österreich gemeldet ist. Meldezettel (auf Deutsch) und andere Unterlagen halfen nichts
Forderungen
#LoveIsNotTourism fordert von den Behörden eine bessere internationale Kommunikation, etwa mit der IATA, dem Dachverband der Fluggesellschaften
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