So nah und doch so fern: Corona trennt Liebende
Er kommt mit dem Rad aus Nordfriesland, sie mit dem Auto aus Dänemark. Doch dann ist Schluss. Das Paar Karsten Tüchsen Hansen (89) und Inga Rasmussen (85) bleibt getrennt. Die Grenze ist seit der Corona-Krise zu.
Weit über Deutschland hinaus rührte ihre Geschichte die Menschen. Die Zwei sitzen sich auf ihren Sesseln gegenüber – und schmieden Pläne. Sobald die Beschränkungen aufgehoben sind, wollen sie verreisen. Manchmal essen sie aber nur zu Mittag oder trinken Punsch.
Die Krise setzt nicht nur den beiden Grenzen. Je nach Distanz sind die Möglichkeiten begrenzt, einander zu sehen: Wenn Hunderte, gar Tausende Kilometer Liebende trennen, bleibt nicht viel mehr übrig, als das Smartphone zu benützen, die Videokonferenz zu starten, die Bilder von der anderen Seite der Grenze zu schicken. Andere, die normalerweise eine Fernbeziehung führen, ließen die Reisebeschränkungen nicht mehr voneinander weg.
Ob Reisen wieder so möglich sein wird wie zuvor? Man einfach in den Zug oder Flieger steigt, um seine Liebsten zu sehen? Paare und Familien erzählen, wie sie den neuen Alltag meistern. Auch ein KURIER-Redakteur berichtet.
Ein Redakteur vermisst seine Familie
Meine Tochter möchte ich endlich in meine Arme schließen und mit ihr in die Welt hinausbrüllen: „Nie wieder Römisches Recht!“ Mit meinem Sohn möchte ich seit Wochen auf unseren Berg steigen und ihm oben zum 24. Geburtstag gratulieren.
Derzeit völlig unmöglich. Derzeit stellt sich die Frage: Werden wir uns zum Geburtstag meiner Frau Ende Juli wieder sehen? Oder müssen wir gar auf den Impfstoff gegen das Virus warten?
Am 8. März habe ich mich von meiner Familie in Zagreb verabschiedet. Seither haben wir uns nur via Telefon gehört – und gesehen. Auch wenn wir ein Leben zwischen Abschied und Wiedersehen seit mehr als zwanzig Jahren pflegen, auch wenn ich zwischendurch für den KURIER „In 80 Arbeitstagen um die Welt“ reiste, die derzeitige räumliche Trennung ist die bisher härteste emotionale Prüfung für uns vier.
Ganz schlimm war es an jenem Sonntag vor vier Wochen, als in der Früh ein Erdbeben die Stadt der Liebsten erschütterte und meine Tochter am Telefon meinte: „Jetzt sind wir auch zu Hause nicht mehr sicher.“
Die Erde hat sich beruhigt. Und es hat sich bei uns eine Art von neuer Normalität eingestellt. Wir begrüßen uns in der Früh. Wir plaudern am frühen Abend. Und wünschen uns vor dem Schlafengehen immer eine „Gute Nacht“.
Ich weiß nicht, ob meine Frau und meine Kinder das ähnlich empfinden, Gefühle austauschen ist beim Videotelefonieren nicht so einfach, aber ich habe den Eindruck, dass uns die unfreiwillige Dislozierung emotional zusammengeschweißt hat.
Wir sind bedachter bei dem, was wir uns mitzuteilen haben. Wir vergessen nie auf das Lachen. Und immer erklären wir uns via Internet, dass wir uns sehr lieb haben. Und dass wir uns schon bald wiedersehen werden – gesund.
Linus und Tola: Wir wissen, dass es keine Dauerlösung ist
Geschlossene Grenzen reißen Paare auseinander, manche bringen sie aber auch zusammen – zumindest vorübergehend, wie Linus und Tola.
Die Studenten führten von Anfang an eine Fernbeziehung. Der gebürtige Grazer, der seit 2003 in Berlin lebt, lernte die junge Frau aus Krakau während eines Schul-Auslandsjahres in Südamerika kennen. Seit Sommer sind sie ein Paar – auf zwei Kontinenten. Linus studiert in Chicago Journalismus und Politik, Tola geht auf eine Londoner Uni. Trotz räumlicher und zeitlicher Distanz lief die Beziehung gut, erzählt er am Telefon. Sie haben sich geschrieben, telefoniert, sogar Briefe geschickt – eine Überraschung, denn die Post brauchte oft so lange, dass der Absender nicht mehr wusste, was er so geschrieben hat, erzählt Linus und lacht. Die Briefe hängen an der Wand seines Studenten-Zimmers – das derzeit leer ist.
Der 18-Jährige hat die Fallzahlen in den USA mitverfolgt und nach Gesprächen mit Familie und Freundin beschlossen, abzureisen. „Für mich war klar, sollte sich das öffentliche Leben dort ändern, wäre ich lieber in Europa.“ Er flog also zu Tola nach London, wo sie aber nicht bleiben konnten: Die EU zog ihre Außengrenzen zu. Linus nahm seine Freundin mit zur Familie nach Berlin.
Dort leben sie seit fast vier Wochen in seinem Zimmer. „Es ist schon etwas anderes, wenn man zuvor auf zwei Seiten des Atlantiks lebt und jetzt auf einem Kontinent und in einem Zimmer, aber es funktioniert überraschend gut“, findet Linus. Sie lernen für die Uni oder verbringen die Zeit draußen. Aber: „So schön es ist, wir wissen, dass es keine Dauerlösung ist.“
Vor allem Tola möchte auch zu ihrer Familie. Täglich fahren Busse nach Polen. Einen davon will sie bald nehmen. „Es ist nicht absehbar, wann wir uns wiedersehen“, sagt er. Wenn sich die Lage an der Grenze normalisiert, wird jeder an seine Uni zurückkehren. Wie wird das Reisen künftig möglich oder leistbar sein? Auch wenn Linus und Tola ihre Zeit zu zweit genießen, bleibt die Ungewissheit, wie es weitergeht.
Léo und Zeloy: Singen am Telefon
„Zwei Tage vor dem Lockdown haben wir einander das letzte Mal gesehen. Ich war gerade auf dem Weg zu ihm, als die Sperre kam. Wir hätten das voraussehen und vorher zusammenziehen müssen. Er fehlt mir unendlich.“
Léo, 29, ist Schauspieler und Sänger. Er stammt aus Paris und lebt seit längerer Zeit in London. Dort, wo auch sein Freund Zeloy, ein 34-jähriger Pub-Manager, lebt. Seit eineinhalb Jahren sind die beiden ein Paar, doch sehen können sie einander derzeit nicht.
Denn seit Beginn der Coronakrise herrschen auch in London – mit etwas Verspätung im Vergleich zu anderen europäischen Ländern – strengste Ausgangsbeschränkungen.
Die Londoner dürfen ihre Wohnungen kaum noch verlassen. Erlaubt ist lediglich der Einkauf wesentlicher Dinge wie Lebensmittel und Medikamente.
„Ich vermisse meinen Freund sehr. Im vergangenen Jahr war Zeloy ein fast überlebenswichtiger Faktor in meinem Leben. Ihn jetzt so nah, am anderen Ende der Metro-Linie und doch so unerreichbar zu wissen, schmerzt sehr“, erzählt Léo.
Natürlich, sagt er, sei es wichtig, die harten Maßnahmen nun zu respektieren, und je disziplinierter man sich an die Regeln halte, desto schneller sei das Ganze wohl vorbei.
Bis dahin muss sich das Paar mit WhatsApp-Video-Anrufen begnügen und bemüht sich um eine andere Form der Gemeinsamkeit. „Manchmal singe ich meinem Freund etwas vor.“
Der Botschafter in Zagreb vermisst seine Frau in Parndorf
Er war Attaché in Belgrad und Budapest, Botschafter in Kiew und Bratislava. Markus Wuketich ist ein Diplomat mit Erfahrung. Dennoch betritt er bei seiner neuen Mission in Kroatien überall Neuland.
Da ist zunächst einmal die berufliche Herausforderung: Es gibt noch immer österreichische Staatsbürger, die trotz geschlossener Grenzen zurück in ihre Heimat drängen. Österreichische Investoren wollen wiederum zurück zu ihren Firmen in Kroatien. Kroatische 24-Stunden-Betreuerinnen werden zur selben Zeit dringend in Österreich benötigt.
Damit nicht genug, ist Wuketich derzeit unfreiwillig ein Botschafter ohne Botschaft. Nach dem Erdbeben in der kroatischen Hauptstadt sind die Amtsräume in einem Zagreber Hochhaus weiterhin nur für Statiker und Bauingenieure zugänglich, was die konsularischen Arbeit nicht gerade erleichtert.
„Zum Nachdenken komme ich im Moment nicht sehr oft“, verrät der Diplomat am Telefon. Und das ist vielleicht nicht das Schlechteste. Seine Frau, die er zu ihrem Geburtstag Anfang März zum letzten Mal gesehen hat, arbeitet als praktische Ärztin in Parndorf im Burgenland. Und seine fünf Kinder leben, arbeiten und studieren zwischen Wien, Leoben und Brüssel.
Seit seinem Amtsantritt in Zagreb Ende August ist der Burgenlandkroate erstmals in seiner beruflichen Karriere von der Familie länger, seit Corona sehr lange schon getrennt: „Das ist schon eine neue Situation für mich.“ Just zu dem Zeitpunkt, als sich der bekennende Familienmensch daran zu gewöhnen glaubte, kam das Virus nach Kroatien.
Jetzt verfolgt auch der Botschafter jeden Tag die neuen Corona-Zahlen der Gesundheitsministerien in Wien und in Zagreb. Noch ist keine Öffnung der Grenze in Sicht. Immerhin mehren sich Anzeichen, die Reiseerleichterungen erhoffen lassen.
Derzeit ist die Familie Wuketich jeden Abend via Internet verbunden. „Der tägliche Kontakt ist wichtig“, meint der Botschafter. Mit seiner 88-jährigen Mutter telefoniert er regelmäßig. „Im Moment bemühen wir uns darum, sie mit der Bedienung ihres neuen Smartphones vertraut zu machen.“
Marlene und Patrick: Schokolade verbindet
„Wir verlängern gerade unsere Kennenlernphase“, sagt Marlene, 27-jährige Studentin aus Niederösterreich. Vergangenes Wintersemester lernte sie im Wiener Uni-Chor den Schweizer Austauschstudenten Patrick kennen – die beiden wurden ein Paar, obwohl klar war, dass Patrick am Ende des Semesters nach Zürich zurückkehren würde. „Wir wussten, dass wir eine Fernbeziehung führen werden – der Plan war, uns ein Mal im Monat zu treffen. Ende Februar war Patrick noch wie vereinbart in Wien, meinen Zürich-Besuch im März musste ich dann schon stornieren.“
Mit täglichen Telefonaten, Skype-Treffen, synchronisierten Netflix-Konten und einer gemeinsamen Spotify-Playlist sagen die Frischverliebten der Sehnsucht den Kampf an. „Das Schwierigste ist, dass die körperliche Nähe komplett fehlt und man nicht weiß, wie lange es andauern wird“, sind sich Marlene und Patrick einig. Beide versuchen, das Positive an der Situation zu sehen: „Wir sind beide gesund und können mit unseren Familien auf dem Land sein. Außerdem kehrt man durch die Entschleunigung wieder zu romantischen Traditionen wie zum Beispiel Briefe schreiben zurück.“
Erst kürzlich schickte Marlene ein Paket mit Süßigkeiten in die Schweiz. „Sie hat sich vorher was rausstibitzt, damit wir dann via Skype miteinander essen können“, erzählt Patrick. Auch Marlene empfängt in der Isolation immer wieder süße Post aus dem Nachbarland. „Ich bekomme gerade ganz viel Schweizer Schokolade. Es könnte wirklich schlimmer sein.“
Stefan und Nadia: "Für mich ist sie die Heldin"
Ganz ehrlich, die Coronakrise bringt Stefan Mugitsch nicht wirklich aus der Ruhe. Anderes bereitet einem der loyalsten Österreicher derzeit mehr Sorge: „Hier in Tripolis sterben an einem einzigen Tag bis zu hundert Menschen. Nicht an einem Virus, sondern während der Gefechte.“
Und als bräuchte es noch eine Bestätigung für diese Zahl, hört er während des Telefonats mit dem KURIER erneut den ihm vertrauten Lärm von Artilleriebeschuss.
Stefan Mugitsch hält seit 16 Jahren für ein weltweit operierendes österreichisches Unternehmen in Libyen die Stellung: „Weil ich das unseren tapferen Mitarbeitern schuldig bin. Wir leisten hier mit unserer Arbeit einen nachhaltigen Beitrag dazu, dass Menschen nicht sinnlos sterben müssen.“
Dass seine Ehe unter der Aufopferung für die Arbeit bis heute nicht gelitten hat, habe er nicht zuletzt seiner Frau Nadia zu verdanken, fügt er dann schnell hinzu. „Sie hat mir in all den Jahren immer den Rücken freigehalten.“
Auch 2011, beim Sturz von Gadaffi. Damals war er von seiner Familie zehn Monate lang getrennt. Und es wurde danach – in einem verlustreichen Krieg, der bis heute andauert – nie besser. Nicht zu wissen, wann ihn die nächste Maschine ausfliegen wird, das ist für Stefan Mugitsch zur Routine geworden. Nicht erst seit Corona.
Vor zwei Jahren hat die Wirtschaftskammer den Steirer zum Expat des Jahres gewählt. Bei der festlichen Preisverleihung bat der Ausgezeichnete seine Frau Nadia auf die Bühne. „Für mich ist sie die Heldin, intelligent, einfühlsam, mutig. Sie hat unsere Familie fast im Alleingang zusammengehalten.“
Kann Stefan Mugitsch endlich wieder einmal nach Wien fliegen (zuletzt immer mit zweimaligem Umsteigen), ist er oft nur 48 Stunden bei seiner Liebsten, den vier Kindern und einem Enkerl. „Aber da ist jede einzelne Minute kostbar.“
Nicht wenige haben seiner Frau und ihm anfangs wenig Zukunft gegeben. Doch da haben ihnen die Mugitschs das Gegenteil bewiesen. Wichtig sei nicht die Zeit, die man nebeneinander verbringt, lautet ihr Motto. Wichtiger sei viel mehr, dass man von den Gemeinsamkeiten überzeugt ist. In Wien, in Tripolis oder sonstwo.
Bruno und Carolin: Sorge um die Rückreise
Zum Abschied gab’s noch einen steirischen Backhendlsalat für seine Carolin, am nächsten Morgen setzte sich Bruno in den Zug nach Wien – „mit einem unguten Gefühl“.
Seit 15 Jahren lebt der Unternehmer in Berlin, war beruflich viel in der Welt unterwegs. Nun musste er aus beruflichen und privaten Gründen in die alte Heimat. Sorge macht dem gebürtigen Mödlinger, dass er womöglich nicht mehr so einfach nach Deutschland zurückkann: „Man weiß nicht, was passiert. Steigen die Infektionszahlen wieder an, könnte es radikalere Maßnahmen an den Grenzen geben.“ Dabei wünscht er nichts mehr herbei als die Reisefreiheit – „die brauche ich, sonst funktioniert mein Leben nicht“.
Dieses spielt sich vor allem in Prenzlauer Berg ab, wo er mit seiner Frau wohnt. Zuletzt waren sie vier Wochen im Homeoffice – „ohne Streit“, so Bruno. „Man muss nur wollen und gegenseitig Liebe und Empathie aufbringen, dann funktioniert’s.“
Er ist ein guter Koch, hat sich ums Essen gekümmert, erzählt er. Der Gedanke daran macht ihn wehmütig. Denn er wäre lieber in Berlin geblieben.
Interview: „Räumliche Distanz birgt Chancen“
Die Paartherapeutin Bettina Russold gibt im Gespräch mit dem KURIER Auskunft über herausfordernde Zeiten für die Liebe, die Beziehungspflege und das Sexleben.
KURIER: Viele Paare befinden sich gerade in einer außergewöhnlichen Situation, auf die sie sich nicht vorbereiten konnten. Wie kann sich das auf die Beziehung auswirken?
Bettina Russold: Das hängt von vielen Variablen ab: Welche Geschichte teilt das Paar? Wie war die Zufriedenheit vor der Krise? Wie wurden die Personen vor der Partnerschaft geprägt? Partnerschaften, in denen die Beteiligten die Fühl-, Denk- und Verhaltensmuster des anderen kennen, wissen tendenziell, was er oder sie für die Bewältigung von Herausforderungen benötigt. Für Paare, die auf diese Erfahrungen noch nicht zurückgreifen können, kann so eine Situation Gefühle wie Unsicherheit und Angst schüren und eine junge Beziehung aus dem Gleichgewicht bringen.
Ist Sehnsucht per se ein negatives Gefühl?
Sehnsucht bedeutet ein inniges, auch körperlich als schmerzlich erlebtes Verlangen nach Personen, Dingen oder Zuständen. Menschen, die einander wegen äußerer Umstände nicht sehen können, können Sehnsucht in Form der Vorfreude auf ein baldiges Wiedersehen auch als lustvoll erleben.
Viele haben Angst, dass nun auch die emotionale Distanz wächst. Berechtigt?
Räumlich getrennt zu sein, zieht nicht zwangsläufig auch emotionale Distanz nach sich, die Zeit des Getrenntseins kann aber eine Bewährungsprobe sein. Räumliche Distanz birgt Chancen, wie sich über die Zukunft der Partnerschaft oder eigene Ziele klarer zu werden. Vermeiden sollte man gerade jetzt überhastete Entscheidungen.
Was raten Sie getrennten Paaren nun konkret?
Miteinander reden. Die Gefühle, die einen im Zusammenhang mit der Situation beschäftigen, in Worte fassen. Fragen, was der andere braucht. Pläne schmieden, die man beim Wiedersehen in die Tat umsetzen kann. Und sich bewusst werden, dass ein vorübergehendes Getrenntsein die Chance birgt, Interessen zu pflegen.
Was empfehlen Sie gegen die Sex-Flaute?
In Zeiten, wo körperliche Nähe nicht möglich ist, gilt es, gemeinsam neue Möglichkeiten zu suchen, um einander nah zu sein. Es ist eine gute Zeit, um dem kreativen Teil in sich Raum für Entfaltung zu geben. Erlaubt ist alles, was beiden gefällt.
Kommentare