Babyboomer und kein bisschen leise
50 ist das neue 35, 60 das neue 45. Ja, eh. Klingt nach PR-Sprech, aber wer heute 50-Jährige mit jenen von vor 30 Jahren vergleicht, sieht den Unterschied. Im öffentlichen Diskurs ist das jedoch längst nicht verinnerlicht. Ab 50 gilt man an als Senior. Bei Dating-Agenturen ebenso wie am Arbeitsmarkt. Die Chancen auf Neues sind enden wollend. Denn wer nicht mehr jung ist, der ist alt. War schließlich immer schon so. Nun gibt es mit der Generation der Babyboomer, also jener, die in der Zeit des hoffnungsfrohen Wirtschaftswunders und in den Jahren danach geboren wurden, ziemlich viele Menschen, die rein gar keine Lust darauf haben, sich derart abschreiben zu lassen. Die viel erlebt, aber noch so viel vor haben. Andrea Casapicola und Brigitte Lendl, selbst Teil dieser Generation, haben Menschen interviewt, auf die genau das zutrifft.
Andrea Casapicola, Brigitte Lendl, Wolfgang Bledl: „Nichtgrau“: Czernin. 288 S.. 25 €
Es geht immer um die Leidenschaft
Der erste Film, bei dem er (in einer Mini-Rolle)dabei war, war ein Thriller mit Ava Gardner. Danach kam zwar nicht Hollywood, aber immerhin eine Karriere im Werbefilm. Was Charles Fürth, geboren 1955 in England, aufgewachsen in Österreich, in seinem Leben schon alles gemacht hat, findet hier keinen Platz. Die Kurzfassung: Drehen, produzieren, rösten. In einem Alter, wo man bei uns als so gut wie pensionsreif angesehen wird, hat Fürth mit einem neuen Beruf begonnen. Mit 57 Jahren ist er zum Kaffeeröster geworden. Lange experimentierte er daheim, seine Frau ist trotzdem bei ihm geblieben. Heute betreibt er eine Rösterei in Göttlesbrunn, Kaffee macht ihn, trotz aller Widrigkeiten im spät gefundenen Unternehmerleben, glücklich. Man nimmt im Leben Abzweigungen, im Nachhinein kann man nicht sagen, ob es die richtigen waren. Was zählt? Immer die Leidenschaft.
Das Glück blieb immer an ihrer Seite
„Klein war ich, der Tisch war hoch. Unbekümmert kletterte ich empor, richtete mich auf und stürzte kopfüber ab. Schnell rappelte ich mich auf, beutelte mich und sagte laut zu mir: Glück hast du, Bini!“
So hat es ihr die Mutter erzählt und so geht Sabine Haag heute noch durchs Leben. Das Glück blieb an der Seite der heutigen Direktorin des Kunsthistorischen Museums.
Was nicht heißt, dass der 1962 geborenen Vorarlbergerin, Mutter von drei Söhnen, Enttäuschungen erspart geblieben sind. Dass ihr Vertrag als Direktorin nicht verlängert wurde, kam unerwartet und hat sie sehr getroffen.
Was das Leben sie gelehrt hat? „Dass ich in entscheidenden Momenten auf mich gestellt bin.“ Die Einsicht daraus? Anderen vertrauen, aber alleine stehen können. Letzten Endes ist Sabine Haag nie verzweifelt.
Wenn’s eng wird, weiß Sabine Haag: Sie ist eine, die Glück hat.
Die Lebensfreude ist noch immer da
Dass der Vater ein Despot war, hat ihr wohl geholfen in dem, was sie „Demütigungsberuf“ nennt: Dem Schauspiel. Gleichzeitig war die Kindheit in der freien Natur voller Lebensfreude, die ihr bis heute Kraft gibt.
Als die Schauspielerin Petra Morzé, Jahrgang 1964, vergangenes Jahr nach siebzehn Saisonen am Burgtheater von ihrer Nichtverlängerung erfuhr, saß der Schock tief. Mit 53 wird es zusehends schwieriger, Rollen zu bekommen. „Auch abseits der Bühne werden Frauen ab 50 unsichtbar“, das bemerkt sie schon länger. „Ehrlicherweise ist es irritierend, wenn man für männliche Blicke nicht mehr sichtbar ist.“ Ihr Lebtag hat sie als Frau und als Schauspielerin stets Angst gehabt, langweilig zu sein. Jetzt denkt sie: „Na, dann bist du halt langweilig.“ Es ist ein Privileg, einfach innezuhalten. Was die Zukunft bringt? „Mein Plan heißt vorerst, keinen Plan zu haben.“
Heute nimmt sie die Tür statt der Wand
Weisheit bestehe darin, nicht mit dem Kopf durch die Wand zu rennen, sondern die Tür zu nehmen, sagt ein chinesisches Sprichwort und Edeltraut Hanappi-Egger nimmt, je älter sie wird, immer öfter die Tür. Dafür, dass sie als junge Frau mit dem Kopf durch die Wand wollte, musste sie Lehrgeld bezahlen. Aber insgesamt war der „Dickschädel“ wahrscheinlich ganz gut, damals, als sie als junges Mädel im Tiroler Dorf Reutte dem staunenden Berufsschullehrer erklärte, sie werde an der Technischen Universität Wien Mathematik studieren. Dabei war schon der Weg ins Gymnasium keine Selbstverständlichkeit für ein Mädchen aus einer Arbeiterfamilie. Ihre Aussichten damals: Heiraten und Kinder kriegen. Heute ist Hanappi-Egger, Jahrgang 1964, Rektorin der Wirtschaftsuniversität Wien.
Das Leben bisher im Rückblick? Mehr Reden hätte geholfen.
Die Zukunft? Ja nichts aufschieben!
In 55 Jahren um die ganze Welt
Als Kind war Markus Kupferblum davon überzeugt, dass er bald sterben werde. Der Tod war sehr präsent in seiner Jugend, die Umstände sind so dramatisch, dass sie fast absurd klingen. Nur so viel: Viele seiner Lieben starben vor ihrer Zeit. Die Rettung: Eine Clownschule. Kupferblum, geboren 1964 in Wien, studierte Schauspiel, Philosophie und Jus in Wien, New York, Paris. Er unterrichtet Opernregie und Maskentheater. Wenn man ihn nach seinem Beruf fragt, dann sagt er, er sei „Geschichtenerzähler.“ Privates und Berufliches sind stets verwoben. In beidem geht’s um Neugierde und Dringlichkeit. Ob beim Straßentheater mit Kindern aus Lima oder bei Performances in Teheran. Die Geburt des Sohnes war das wichtigste Ereignis seines Lebens, sagt er.
Und doch: Arbeiten will er, „bis ich umfalle.“ Und bis dahin „möglichst viele und gute Geschichten erzählen. “
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