Babyboomer und kein bisschen leise

Ein Mann öffnet sein Hemd wie Superman in einem Comicbuchladen, umgeben von zwei Frauen.
Nicht mehr jung, aber noch lang nicht alt: Eine Generation erzählt von Erfahrungen, Lebensentwürfen, Freuden und Ängsten.

50 ist das neue 35, 60 das neue 45. Ja, eh. Klingt nach PR-Sprech, aber wer heute 50-Jährige mit jenen von vor 30 Jahren vergleicht, sieht den Unterschied. Im öffentlichen Diskurs ist das jedoch längst nicht verinnerlicht. Ab 50 gilt man an als Senior. Bei Dating-Agenturen ebenso wie am Arbeitsmarkt. Die Chancen auf Neues sind enden wollend. Denn wer nicht mehr jung ist, der ist alt. War schließlich immer schon so. Nun gibt es mit der Generation der Babyboomer, also jener, die in der Zeit des hoffnungsfrohen Wirtschaftswunders und in den Jahren danach geboren wurden, ziemlich viele Menschen, die rein gar keine Lust darauf haben, sich derart abschreiben zu lassen. Die viel erlebt, aber noch so viel vor haben. Andrea Casapicola und Brigitte Lendl, selbst Teil dieser Generation, haben Menschen interviewt, auf die genau das zutrifft. 
 

Ein Mann mit Brille und blauem Pullover lächelt leicht.

Charles Fürth hat sich mit 57 neu erfunden und ist heute Kaffeeröster 

Es geht immer um die Leidenschaft

Der erste Film, bei dem er (in einer Mini-Rolle)dabei war, war ein Thriller mit Ava Gardner. Danach kam zwar nicht Hollywood, aber immerhin eine  Karriere im Werbefilm. Was Charles Fürth, geboren 1955 in England, aufgewachsen in Österreich, in seinem Leben schon  alles gemacht hat, findet hier keinen Platz. Die Kurzfassung: Drehen, produzieren, rösten. In einem Alter, wo man bei uns  als so gut wie pensionsreif angesehen wird, hat Fürth mit einem neuen Beruf begonnen. Mit 57 Jahren ist er zum Kaffeeröster geworden. Lange experimentierte er daheim, seine Frau ist trotzdem bei ihm geblieben. Heute betreibt er eine Rösterei in Göttlesbrunn, Kaffee macht ihn, trotz aller Widrigkeiten im spät gefundenen Unternehmerleben, glücklich. Man nimmt im Leben Abzweigungen, im Nachhinein kann man nicht sagen, ob es die richtigen waren. Was zählt? Immer die Leidenschaft.

Eine Frau mit kurzem, gewelltem Haar und einem grünen Kleid blickt nachdenklich zur Seite.

KHM-Direktorin Sabine Haag: „Anderen vertrauen, aber alleine stehen können“ 

Das Glück blieb immer an ihrer Seite

„Klein war ich, der Tisch war hoch. Unbekümmert kletterte ich empor, richtete mich auf und stürzte kopfüber ab.  Schnell rappelte ich mich auf, beutelte mich und sagte laut zu mir: Glück hast du, Bini!“
So hat es ihr die Mutter erzählt und so geht Sabine Haag heute noch durchs Leben. Das Glück  blieb an der Seite der heutigen Direktorin des Kunsthistorischen Museums. 
Was nicht heißt, dass der 1962 geborenen Vorarlbergerin, Mutter von drei Söhnen, Enttäuschungen  erspart geblieben sind. Dass ihr Vertrag als Direktorin nicht verlängert wurde, kam unerwartet und hat sie sehr getroffen. 
Was das Leben sie gelehrt hat? „Dass ich in entscheidenden Momenten auf mich  gestellt bin.“ Die Einsicht daraus? Anderen vertrauen, aber alleine stehen  können. Letzten  Endes ist Sabine Haag nie verzweifelt. 
Wenn’s eng wird, weiß Sabine Haag: Sie ist eine, die Glück hat.  

Eine lachende Frau mit blonden Haaren und grünem Stirnband sitzt an einem Tisch.

Petra Morzés Plan ist es, jetzt einmal keinen Plan zu haben 

Die Lebensfreude ist noch immer da

Dass der Vater ein Despot war, hat ihr wohl geholfen in dem, was sie „Demütigungsberuf“ nennt: Dem Schauspiel. Gleichzeitig war die Kindheit in der freien Natur  voller Lebensfreude, die ihr bis heute Kraft gibt.
Als die Schauspielerin Petra Morzé, Jahrgang 1964, vergangenes Jahr nach siebzehn Saisonen am Burgtheater von ihrer Nichtverlängerung erfuhr, saß der Schock tief. Mit 53 wird es zusehends schwieriger, Rollen zu bekommen. „Auch abseits der Bühne werden Frauen ab 50 unsichtbar“, das bemerkt sie schon länger.  „Ehrlicherweise ist es irritierend, wenn man für männliche Blicke nicht mehr sichtbar ist.“ Ihr Lebtag hat sie als  Frau und als Schauspielerin  stets  Angst gehabt, langweilig zu sein. Jetzt denkt sie: „Na, dann bist du halt langweilig.“ Es ist ein Privileg, einfach innezuhalten. Was die Zukunft bringt? „Mein Plan heißt vorerst, keinen Plan zu haben.“

Eine blonde Frau mit Brille sitzt an einem Tisch und lächelt.

Edeltraut Hanappi-Egger hatte als Mädchen einen ziemlichen Dickschädel

Heute nimmt sie die  Tür statt der Wand

Weisheit bestehe darin, nicht mit dem Kopf durch die  Wand zu rennen, sondern die Tür zu nehmen, sagt ein chinesisches Sprichwort und Edeltraut Hanappi-Egger  nimmt, je älter sie wird, immer öfter die Tür. Dafür, dass sie als junge Frau mit dem Kopf durch die Wand wollte, musste sie Lehrgeld bezahlen. Aber  insgesamt war der „Dickschädel“  wahrscheinlich ganz gut, damals, als sie als junges Mädel  im Tiroler Dorf Reutte dem staunenden Berufsschullehrer erklärte, sie werde an der Technischen Universität Wien Mathematik studieren. Dabei war schon der Weg ins Gymnasium keine Selbstverständlichkeit für ein Mädchen aus einer Arbeiterfamilie.  Ihre Aussichten damals: Heiraten und Kinder kriegen. Heute ist Hanappi-Egger, Jahrgang 1964,  Rektorin der Wirtschaftsuniversität Wien. 
Das Leben bisher im Rückblick? Mehr Reden hätte geholfen.

Die Zukunft? Ja nichts aufschieben! 


 

Ein Mann mit gemustertem Hemd gestikuliert, während er auf einer schwarzen Couch sitzt.

Theatermacher Markus Kupferblum will „arbeiten, bis ich umfalle“ 

In 55 Jahren um die ganze Welt

Als Kind war Markus Kupferblum davon überzeugt, dass er bald sterben werde. Der Tod war sehr präsent in seiner Jugend, die Umstände  sind so dramatisch, dass sie  fast absurd klingen. Nur so viel: Viele seiner Lieben starben vor ihrer Zeit. Die Rettung: Eine Clownschule. Kupferblum, geboren 1964 in Wien, studierte Schauspiel, Philosophie und Jus in Wien, New York,  Paris. Er unterrichtet Opernregie und Maskentheater. Wenn man ihn nach seinem Beruf fragt, dann sagt er, er sei „Geschichtenerzähler.“  Privates und Berufliches sind stets verwoben. In beidem geht’s um Neugierde und Dringlichkeit. Ob beim Straßentheater mit Kindern aus Lima oder  bei  Performances  in Teheran. Die Geburt des Sohnes war das wichtigste Ereignis seines Lebens, sagt er. 
Und doch: Arbeiten will er, „bis ich umfalle.“ Und bis  dahin  „möglichst viele und gute Geschichten erzählen. “  
 

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