Gute Gefühle

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Wohlbefinden, Freude, Zuversicht, ein Leben, das sich gut anfühlt. Wer mehr von alledem spüren will, könnte sich am glücklichsten Menschen unseres Planeten ein Beispiel nehmen – dem buddhistischen Mönch Matthieu Ricard. Denn Monsieur Ricard meditiert sich glücklich – und lässt die Wissenschaft daran teilhaben. Wissenschaftler untersuchten sein Gehirn, um herauszufinden, was während der Meditationen passiert. Was die Forscher zu sehen bekamen, müsste eigentlich jeden Yogi zum Jauchzen bringen: Sogenannte Gammawellen schlugen bei dem 70-jährigen Franzosen mehr aus als bei jedem anderen Menschen, der bisher untersucht worden ist. Doch entscheidend ist: Der Mönch kann echtes Glück empfinden und negative Gefühle so steuern, dass diese sich auflösen und in positive Emotionen umwandeln.
Menschen die selbst meditieren, Atem- oder Achtsamkeitsübungen anwenden, überrascht das wohl nicht. Aber auch jene, die allem, was ein bisschen gefühlig daherkommt, eher kritisch gegenüberstehen, könnte das Forschungsergebnis überzeugen. Stille Einkehr macht tatsächlich Sinn – ganz schlicht weil sie wirkt.
„Wenn man meditiert, lernt man den Körper anders wahrzunehmen und so in sich hineinzuspüren, dass man allein durch das Bewusstmachen von Stress, Ängsten, Wut oder Trauer eine Veränderung erfahren kann“, sagt Harald R. Bliem, Professor an der Universität Innsbruck mit Schwerpunkt Biologische Psychologie. Er bestätigt: Gefühle, Körper und Gehirn gehören zusammen, beeinflussen einander, hängen voneinander ab. Sind über Nervenbahnen und Zellen permanent im Austausch. Und können sich wandeln. „Bereits gemachte Erfahrungen können durch neue Erlebnisse anders bewertet werden. Vereinfacht gesagt, können sich neue Nervenverbindungen, ja sogar neue Nervenzellen, im Gehirn entwickeln, eingefahrene Denkmuster aufgelöst und im besten Fall durch neue ersetzt werden“, so Bliem. Insofern kann der Mensch seine Gefühle tatsächlich neu denken. Gut zu wissen ist das auch für jene, die glauben, sie könnten unangenehme Gefühle einfach wegschieben. Das kann kurzfristig gutgehen, aber auf Dauer werden so Denk-, Verhaltens- und emotionale Muster abgespeichert, die sich in den unbewussten Schichten der Gefühlswelt einnisten. Und früher oder später für Unruhe sorgen.

Gute Gefühle
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Noch nie haben Wissenschaft und Forschung so viel Wissen über den Ablauf von Emotionen erworben, wie in den letzten Jahrzehnten. Vor allem weil Gefühlsregungen im Gehirn messbar wurden, ist heute vieles klarer und beweisbar, was lange Zeit gerne als spirituelle Spinnerei abgetan wurde. Selbst die oft überstrapazierte Frage Liebender – „Was denkst du?“ – erhält einen neuen Sinn. Die ehrliche Antwort könnte lauten: „Nichts, ich fühle.“ Denn das, was wir fühlen, kann nicht immer verlässlich in Worte gefasst werden. Beim deutschen Singer-Songwriter Tim Bendzko klingt das so: „Mir fehlen die Worte ich/hab die Worte nicht/dir zu sagen was ich fühl'.“
Wer von sich selbst weiß, was ihn emotional berührt, aufregt oder anspornt und dies annehmen und zulassen kann, hat den Vorteil, nicht nur zu sich, sondern auch zu anderen Menschen in Kontakt zu kommen. Das verleiht Authentizität, psychische Stärke und Gelassenheit in allen Lebenslagen. Unternehmen versuchen das längst zu nutzen und schicken ihre Führungskräfte und Mitarbeiter in Seminare, um die Resilienz, die innere Widerstandskraft, zu stärken. Und ja, genau, auch da dreht sich sehr viel um den Umgang mit Gefühlen. Was Unternehmen davon haben? Mitarbeiter, die stressresistent sind und Krisen leichter bewältigen können. Dass der Hintergedanke, mehr unternehmerischen Erfolg zu generieren, eher kontraproduktiv ist, wenn es um Bedürfnisse des Menschen geht, ist ein anderes Thema.

Wenn jeder Tag mit schlechten Nachrichten am Smartphone beginnt und alles Elend der Welt auch abends nochmal vorbeischaut, sobald wir endlich gemütlich auf der Fernsehcouch sitzen, fragt man sich schon: Wozu soll man sich um die eigenen Gefühle scheren? Ist das nicht ein bisschen weltfremd? Es gibt doch wirklich andere Probleme.
Psychologe Harald R. Bliem sieht das anders: „Gerade weil das gesamte Elend der Welt nur einen Mausklick entfernt ist, sollte man sich selbst Raum zugestehen.“ Da Menschen fähig sind, Mitleid zu empfinden und auch dadurch mit negativen Emotionen konfrontiert sind, braucht es diesen Ausgleich. „Es ist gut, sich um sich selbst zu kümmern, um das eigene Gefühlsleben in Balance zu halten.“ Dabei geht es nicht darum, sekündlich Nabelschau zu halten und sich jederzeit an jedem Ort nach Gefühlsregungen abzuklopfen. Vielmehr geht es um regelmäßige Momente der Einkehr, in denen man abschalten, entspannen, für sich sein kann.

Gute Gefühle
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Das Ziel ist, sich der eigenen Bedürfnisse bewusst zu werden. Nein, das hat nichts mit Mein-Haus-mein-Auto-mein-Lottogewinn zu tun, sondern damit, herauszufinden, wo man steht. Entspricht mir das Leben, das ich führe? Was gibt mir Energie? Was raubt sie mir? Wer das weiß, ist nicht nur freier in seinen Entscheidungen, sondern auch weniger manipulierbar, Dinge zu tun, die er gar nicht will. Lässt sich nicht so schnell von anderen Menschen und künstlich erzeugten Begehrlichkeiten, die vor allem in der Großstadt auf einen einprasseln, vereinnahmen. „Wird die Information zu viel, leidet zugleich die Fähigkeit, unsere Emotionen zu kontrollieren und zu steuern. Und das gilt nicht nur, wenn wir wichtige und relevante Informationen verarbeiten, sondern gerade auch für die Bewältigung alles Unnützen“, schreibt Ulrich Schnabel in seinem Buch „Was kostet ein Lächeln – Die Macht der Emotionen in der Gesellschaft“ (Blessing Verlag).
Jeder, der etwas von uns will, uns erobern, beeinflussen oder für seine Sache gewinnen will, wird das über die Emotionen probieren, wird versuchen, unsere Sehnsucht nach Zugehörigkeit, Glück, Liebe oder Freude anzusprechen. Oder Ängste schüren. Und wer dann vor einer Entscheidung steht, etwas zu wählen, zu kaufen oder lieber sein zu lassen, wird sich in der Zwickmühle zwischen Vernunft und Gefühl wiederfinden. Vielleicht hilft es das nächste Mal zu wissen, dass die beiden eigentlich nicht voneinander zu trennen sind.
Schon das Ausprobieren kann bei der nächsten schwierigen Entscheidung eine Änderung bewirken. So kann man alle Für und Wider wie gewohnt abwägen, sich aber auch Zeit nehmen, um in sich hineinzufühlen. Welche Empfindung ist zu spüren? Liebe, Freude, Trauer, Wut oder Ärger?

Wer Ärger spürt, wird feststellen, wie die Anspannung im Bauch zunimmt und im Körper aufsteigt. „Ärger hat eine spezifische Bewegungsrichtung nach oben“ schreibt der Mediziner Alexander Sembritzki („Wie Gefühle heilen“, Knaur). „Entlädt sich der Ärger nach außen, dann wird er als Emotion nach außen hin sichtbar.“
Doch was bedeutet das, wenn man ein Gefühl nicht wahrnimmt? Sembritzki beschreibt jedes Gefühl als Ausdruck von Lebensenergie, die bestimmte Körperreaktionen auslöst: Wer etwa glaubt, nicht wütend zu sein, aber sich unbewusst ärgert, wird das unabhängig von seiner emotionalen Wahrnehmung körperlich spüren. „Er kann sich dann über verschiedene Körpersymptome wie Magenkrämpfe, verspannte Schultern oder Kopfschmerzen äußern, weil die mit dem Gefühl verbundene Lebensenergie nicht einfach verschwindet. Oder der Ärger platzt umso vehementer beim nächsten, noch so unbedeutenden Auslöser als Wutanfall hervor. Dann erschrecken wir selbst vor der Heftigkeit des unerwarteten Gefühlsausbruchs.“
Doch nicht jede scheinbar negative Emotion ist negativ: „Wut kann auch sinnvoll sein“, sagt Psychologe Harald R. Bliem. „Sie kann Menschen die Energie geben, das zu tun, was sie tun wollen. Kann sie antreiben und motivieren. Wenn man sich durch die Wut in Bewegung setzt, kann das durchaus positiv sein.“
Was es dazu braucht? Ganz simpel die Fähigkeit, sich aufkeimende Wut rechtzeitig bewusst zu machen und anzunehmen. Und wenn man es dann noch hält wie der glückliche buddhistische Mönch aus Frankreich, der übrigens am liebsten an der frischen Luft meditiert, wird man sich seiner Gefühle mit der Zeit derart sicher, dass einen nichts so gut durchs Leben navigiert wie diese.

SPÜREN & AUFTANKEN. „Spür in dich hinein“ – dieser Satz ergibt Sinn. Denn der Körper ist Teil der Psyche. Und wer sich in ihn hineinfühlen kann, etwa mithilfe von Meditation, erweitert nicht nur die Körpererfahrung, sondern auch das Bewusstsein und somit die Sicht auf die eigene Welt. Wer das lernt, spürt plötzlich den eigenen Herzschlag, fühlt die Wärme im Bauch; das tut gut und hilft beim Auftanken von Energie.

GEFÜHLE ANNEHMEN. Unangenehme Emotionen nicht versuchen wegzuschieben, sondern sich ihnen zuwenden, sie anneh- men. Indem man Gefühle nicht übergeht, kann man sie eher auflösen, lernen anders wahrzunehmen und zu bewerten. Sogar positiv zu bewerten. Das setzt einen Lernprozess in Gang, so dass Gefühle wirklich neu gedacht werden können. Meditation, Achtsamkeit und Techniken der Entspannung können dabei helfen.

LEBENSERFAHRUNG HILFT. Im Laufe des Lebens – vor allem im Zusammenleben mit anderen – lernt man zu fühlen, was gut für einen ist. Man wird reifer und reicher an Erfahrungen und das hilft beim Umgang mit Gefühlen. Wird man jedoch schwer- krank, ist die Gefahr der Vereinsamung groß. Entwickelt man etwa im höheren Alter Demenz, ist der Kontakt zu anderen umso wichtiger. Je länger der Mensch im sozialen Netz gehalten wird, desto besser ist das für seine Gefühlswelt und Lebensqualität.

JEDER FÜHLT ANDERS. Es geht nicht darum, sich ein Gefühlskorsett anzulegen. Jeder Mensch fühlt anders. Für den einen kann etwa Stress belebend sein, für den anderen belastend. Wut kann lähmend oder zerstörerisch sein, aber auch motivieren. Das hat sowohl mit der genetischen Ausstattung als auch mit Erlebnissen und Erfahrungen zu tun, die bis in die Kindheit zurückgehen.

FREUNDSCHAFTEN PFLEGEN. Soziale Interaktion mit anderen Menschen gehört gepflegt, also Kontakte mit Menschen, die einen interessieren, wo man einen Grund sieht, sich zu treffen: Weil man sich mit ihnen besonders wohl fühlt, Sympathie da ist und man spürt, dass das Interesse beidseitig ist. Das beinhaltet Wertschätzung für sich selbst und für den anderen.

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