Das Superhirn

Das Superhirn
Auf Quantenphysik basierende Computer sollen die digitale Kommunikation revolutionieren. MICHAEL HOROWITZ über bizarre Prognosen und die Katze eines Nobelpreisträgers.

Prognosen für technische Entwicklungen der Zukunft waren schon immer recht bizarr. Das Telefon hat zu viele Schwächen, als dass man es ernsthaft für die Kommunikation in Erwägung ziehen kann, hieß es 1876 in einem internen Memo des US-Geldinstitutes Western Union. Weltweit wird es maximal einen Markt für vielleicht fünf Computer geben, prognostizierte IBM-Chairman Thomas Watson 1943. Es gibt keine Möglichkeit, um Kommunikations-Satelliten im Weltall zu verwenden, meinte T. A. M. Craven, Chefingenieur der US-Navy 1961. E-Mail ist ein absolut unverkäufliches Produkt, prophezeite der Sharp Associates-Besitzer Ian Sharp. Und Nathan Myhrvold, der Technik-Vorstand von Microsoft, verkündete vor ein paar Jahren vollmundig, Apple ist bereits tot.

Auch die fast gespenstische Prognose des Physikers John Martinis ist bizarr: In zwei Jahren soll der D-Wave-Super-Computer, der 100 Millionen Mal schneller ist als herkömmliche Prozessoren, laufen: Seit 30 Jahren erforscht Martinis mit seinem Team an der University of California Konzepte für Quantencomputer. Jetzt will er im Auftrag von Google und der US-Raumfahrtbehörde NASA einen fast unbegreiflich schnellen Computer bauen, der auf Supraleiter-Elektronik basiert. Bereits seit eineinhalb Jahren arbeitet Martinis in dem neu gegründeten Google/NASA-Labor in Santa Barbara an dem digitalen Wunderding.

Der Mega-Computer, dieses Superhirn, sieht völlig unspektakulär aus, wie ein schwarzgestrichenes Gartenhäuschen. In seinem Inneren herrscht völlige Dunkelheit, totale Stille, eine Temperatur nahe dem absoluten Gefrierpunkt – nur unter diesen Bedingungen funktioniert die Technik, die sehr bald eine neue digitale Revolution einläuten will. Mit Hilfe der Quantencomputer – kluge Maschinen, mit denen sich schädliches Kohlendioxid direkt aus der Atmosphäre filtern lässt, Raumflüge zum Mars keine Utopien mehr sein sollen und der Weg zur künstlichen Intelligenz nicht mehr weit scheint.

Die neue Welt der Quantencomputer ist sogar für die klügsten Wissenschaftler unfassbar kompliziert, ein Mysterium. Es ist eine Welt, in der zwei gegensätzliche Zustände gleichzeitig möglich sind. Eine Welt, in der eine Katze tot oder lebendig sein kann – erklärte der Wiener Nobelpreisträger Erwin Schrödinger in seinem berühmten Gedankenexperiment Schrödingers Katze vor mehr als 80 Jahren. Und wollte aufzeigen, wie sehr sich die Gesetze der Quantenwelt von unseren unterscheiden.
Die Idee, Quantencomputer zu entwickeln, ist bereits 40 Jahre alt: Einer der größten Theoretiker des letzten Jahrhunderts, der geniale Wissenschaftler Richard P. Feynman, hatte die Idee, bestimmte Effekte aus der Quantenphysik auszunutzen, um spezielle mathematische Probleme schneller zu berechnen. Manche Experten meinen, es werde noch Jahrzehnte dauern, bis es einen dieser Super-Computer gibt.

Doch John Martinis wagt die Prognose – es dauert nur mehr zwei Jahre. Und schwärmt schon heute: Für die Primzahlfaktorisierung einer 2048-Bit-Zahl würde man heute einen Rechner brauchen, der fast so groß wie Nordamerika ist. Dieser müsste zehn Jahre lang laufen und dabei jeden Tag die gesamte Energie der Erde verwenden. Ein Quantencomputer von der Größe eines Vorlesungsraums könnte dieselbe Rechnung an nur einem Tag durchführen ...

Und diese Primzahlfaktorisierung – warnen besorgte Datenschützer – wird in Zukunft beim Knacken von Passwort-Verschlüsselungen extrem nützlich sein. Aus Dokumenten des Whistleblowers Edward Snowden geht hervor, dass auch der US-Geheimdienst NSA an Quantencomputern forscht …

Das Superhirn
Copyright: Österr. Zentralbibliothek für Physik, Universität Wien; Erwin Schrödinger Internationales Institut für mathematische Physik
Wie sehr sich die Gesetze der Quantenwelt von unseren unterscheiden, erklärte der Wiener Nobelpreisträger Erwin Schrödinger bereits vor mehr als 80 Jahren.

michael.horowitz@kurier.at

Kommentare