Bonsai statt Protz

Bonsai statt Protz
Mikro-Wohnungen als Trend der Zukunft. Michael Horowitz über ein 100-Millionen- Dollar-Penthouse und die Bescheidenheit von morgen: Wohnen auf weniger als fünf Quadratmetern.

Die Luxus-Luftschlösser schießen ungebremst in den Himmel New Yorks. Für Oligarchen, Mogule und Spekulanten, die ihre Dritt-, Viert- oder Fünftwohnsitze steuerschonend erwerben. Vor wenigen Monaten ist weltweit erstmals eine Wohnung für mehr als 100 Millionen Dollar verkauft worden. Exakt 100.471.452,77 Dollar hat ein Privatier, der anonym bleiben will, für ein zweistöckiges Manhattan-Penthouse im Wolkenkratzer One57 bezahlt. Mit reichlich Wohnraum – 1.015 m², sechs Schlafzimmern, sieben Bädern, 360-Grad-Rundumblick auf the city that never sleeps. Wer im One57 nur mieten will, bezahlt für die Wohnung Nr. 40B den Preis von 32.500 Dollar. Pro Monat. Die Betriebskosten sind allerdings noch nicht inkludiert. Und an der Park Avenue ist in Kürze der höchste Luxus-Wolkenkratzer der Welt beziehbar. Im Penthouse lässt man den Herrgott einen guten Mann sein – mit Pool und Privatkino, Fitness-Studio und einem Open-Air-Ballsaal.
Nie zuvor war die Wohnungssituation so grotesk. Gigantische, schamlose Protzbauten und akute Not an Wohnraum. Eine Lösung sollen die Mikro-Apartments von morgen werden. Winzige Wohnungen in den Mega-Metropolen. Weltweit tüfteln Städteplaner, Architekten, Baufirmen und Möbeldesigner am Wohnen der Zukunft. Mit raffinierten, platzsparenden Lösungen: Duschen, die sich unter dem Bett befinden, in Sitzmöbeln integrierte Toiletten, Frühstückstische, die sich zu Schrankwänden verwandeln lassen. Urbanes Wohnen auf winziger Fläche. Multifunktionalität – alles, was man braucht, ist da. Aber nicht mehr. Reduziert eingerichtet. Mit falt- und klappbaren Möbeln. Gestapelt und gesteckt. Auf scheinbar Unnötiges wird verzichtet. Eine Bücherwand ist dann schierer Luxus.

In New York versucht man gerade die Wohnungsnot in einen Trend umzuwandeln. Als Test für das Wohnen der Zukunft. In einer alten, verwunschen wirkenden Fabrikshalle in Brooklyn entsteht der Wohnraum von morgen. Winzige Designwunder, optimal genützt. Micro NY – 55 Stahlboxen, die zu einem Haus mit 55 Wohnungen zusammengefügt werden. Auf kleinstem Raum – zwischen 24 und 33 m² – wohnt man schon bald in Mikrowohnungen, in Bonsai-Behausungen. Solche Apartments mit winzigem Wohnraum gibt es schon lange. Bereits vor mehr als 40 Jahren entstand in Tokio der Capsule Tower. Ein Hochhaus voller schlichter, enger Wohnkapseln. In den Dimensionen eines traditionellen japanischen Teehauses. 2,3 x 3,8 x 2,1 Meter klein.

Der asiatische Trend zur Reduktion ist auch in Europa längst angekommen. 2012 hat in Warschau der Architekt Jakub Szczesny das Keret-Haus, das kleinste Gebäude der Welt, gebaut: Eine Art Kunst-Installation aus Plexiglas und Aluminium, eine temporäre Wohnung für Künstler. Auf zwei Ebenen gibt es 4,09 m² Wohnfläche. An der breitesten Stelle misst das Haus 119 cm. Immerhin gibt es ein 90 cm breites Bett, einen Arbeitsplatz, einen Kühlschrank, eine Spüle und eine Dusche.
Mikro-Zukunft. Vieles wird zurückgelassen. Man verzichtet auf alles Unnötige. Man reduziert durch den winzigen Wohnraum sein ganzes Leben. Und man isst nur mehr mit Besteck, bei dem sich die Gabel in den Löffel versenken lässt …

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