„Meine Vision ist eine soziale, menschengerechte, autofreie und klimaneutrale Stadt“

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Ein Medienhaus wie die F.A.Z. zieht bloß alle 70 Jahre in ein neues Bürogebäude. Dementsprechend viel Verantwortung lastet auf Architekten Eike Becker. Ein Gespräch über den Bau moderner Büros, zukunftsweisende Stadtentwicklung und den nachhaltigsten Baustoff der Welt.

Das nachtblaue Sakko über Hemd und Schulter geworfen, eine dunkle Ledertasche unter dem Arm, Lederboots und das Smartphone am Ohr. So wie Eike Becker beim Fotoshooting am Rande der gut sieben Meter tiefen Baugrube stand, war auf den ersten Blick klar: Der Mann ist Architekt. Der Berliner ist dafür verantwortlich, dass aus eben diesem Erdloch in wenigen Monaten 18 Geschoße in den Himmel Frankfurts ragen werden. Hier in Frankfurts Europaviertel entwickelt UBM Development für die renommierte Frankfurter Allgemeine Zeitung deren neues Headquarter.

Ob es nun Bauwerke sind, die entstehen werden. Oder Fotos, die unser Fotograf noch nicht gemacht hat. Vor dem inneren Auge des 58-Jährigen erwacht zum Leben, was er zum Leben erwecken möchte. Und heute gewährt er uns in das Einsicht, was sich vor uns naturgemäß noch verbirgt: In seine Vision des gerade im Bau befindliche F.A.Z. Tower in der Metropole Frankfurt.

Eike Becker

Der in Osterholz-Scharmbeck geborene Architekt gründete 1999 sein heutiges Büro Eike Becker_Architekten mit Sitz in Berlin. Das erfolgreiche Unternehmen beschäftigt aktuell 50 Mitarbeiter und kann auf eine Reihe internationaler Projekte und Auszeichnungen zurückblicken.

Um Einblick in die Optik des neuen F.A.Z.-Towers zu erlangen, fangen wir am besten außen an: Was hat es mit den auf den Renderings so flächig wirkenden Fassaden auf sich?

Eike Becker: Auf den Renderings sind sehr große Fassadenflächen zu sehen, diezueinanderverschoben sind. Mir geht es darüber hinaus um Transparenz als Verräumlichung eines transparenten Unternehmens. Die Vorstellung, dass es hinter dieser Fassade um Einsicht, Verständnis, Ehrlichkeit und Aufklärung geht, gefällt mir gut. Ich möchte das verständlich werden lassen. Denn jedes gute Unternehmen und jede gute städtische Gesellschaft braucht Ideale, Träume, Wünsche.Diese Überlegungen unterliegen dem Gebäudeentwurf.

Demnach ist der Standort – die Europaallee – nicht nur aus pragmatischer Sicht passend. Ein Zufall?

Eike Becker: Dieses Viertel nennt sich nicht zufälligerweise Europaquartier. Und die Europaallee, an der das neue F.A.Z.-Gebäude stehen wird, verläuft tatsächlich von Ost nach West. Als ich angefangen habe, an dem Entwurf zu arbeiten, war eben dieser Ost-West-Gedanke bereits sehr wichtig, in der Politik wie auch in der Gesellschaft – und das fasziniert mich bis heute. Wenn wir uns nun das Gebäude genauer ansehen, besteht es aus zwei Türmen, die wieder geteilt sind. Einfach gesagt sind das vier Koffer, die leicht verschoben übereinandergestellt und gegeneinander versetzt sind. Dadurch scheint das Gebäude sowohl zur Innenstadt hin, als auch von ihr wegzuweisen. Es verbindet also beide Seiten, Ost und West. Das scheint mir genug Symbolik zu sein, das will ich jetzt auch nicht überstrapazieren (lacht).

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Nun, das Objekt wird bereits als „Tor zu Europa“ bezeichnet, da kann man nicht mehr viel überstrapazieren, oder?

Eike Becker: Es gibt ja einige sogenannte „Europacities“, deshalb möchte ich lieber hervorheben, was dieser neue Stadtteil für Frankfurt bedeutet. Es ist eine Möglichkeit, sich innerstädtisch zu erweitern. Eine Aufgabe, vor der heute alle Städte stehen. Wir müssen zusehen, dass wir in den Ballungsgebieten enger zusammenrücken, dass unsere Städte dichter werden. Denn auch wenn viele im Straßenverkehr verzweifeln, sind sie doch so attraktiv, dass viele Unternehmen und Privatpersonen weiterhindorthin ziehen. Aber gerade an diesem Prozess gilt es noch viel zu verbessern. Ich freue mich, dabei mitwirken zu können.

Das heißt, es geht Ihnen bei diesem Projekt nicht bloß darum, Ihre persönliche Handschrift zu hinterlassen, sondern um ein größeres Ganzes?

Eike Becker: Jedes neue Gebäude sollte ein guter Nachbar sein und auch denen etwas bieten, die schon da sind. Aber insbesondere dieses Bauvorhaben wird von der Stadt Frankfurt wahrgenommen, oder, wie es Volker Bouvier ausdrückt, von der gesamten Republik. Wenn die Frankfurter Allgemeine Zeitung, eine Institution für die Stadt und das Land, ein neues zu Hause bekommt, dann hat dieses Vorhaben eine größere Bedeutung.

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Tatsächlich zieht ein Unternehmen in dieser Größenordnung ungefähr nur alle 70 Jahre um. Es ist also ein wirklich relevanter Moment in der Unternehmensgeschichte und dementsprechend ist klar, dass wir als Architekten auf möglichst viele Wünsche einzugehen versuchen.

von Eike Becker, Architekt

Wie darf man sich da den Beginn Ihrer Planungsphase vorstellen? Als eine Art architektonische Nachbarschafts-Umfrage?

Eike Becker: Wir fangen mit dem Ort an. Und untersuchen, welche Gebäude, Räumlichkeiten und andere Bedingungen wir vorfinden. Wir haben erkannt, warum genau an dieser Stelle ein Hochpunkt sinnvoll ist, haben uns die städtische Körnung angesehen, also die Größenverhältnisse der umgebenden Gebäude. Daraus ergibt sich die Dimensionalität der Nachbarschaft. In dieser Phase arbeiteten wir mit Modellen, Visualisierungen und auch mit Luftaufnahmen, um den gesamten städtischen Kontext erfassen zu können. Schließlich sind wir wieder bei der Relation zum Menschen gelandet. Wir sehen das alles zusammen. Sowohl den größeren städtischen, als auch den menschlichen Maßstab. Damit sowohl die Gebäudenutzer als auch Passanten die Architektur als angenehm empfinden und sich wohlfühlen können.

Das bringt uns direkt zum Mieter F.A.Z und den Menschen, die im Tower arbeiten werden. Welche besonderen Bedürfnisse galt es hier zu beherzigen?

Eike Becker: Tatsächlich zieht ein Unternehmen in dieser Größenordnung ungefähr nur alle 70 Jahre um. Es ist also ein wirklich relevanter Moment in der Unternehmensgeschichte und dementsprechend ist klar, dass wir als Architekten auf möglichst viele Wünsche einzugehen versuchen. Wir haben deshalb die Innenbereiche gemeinsam mit der F.A.Z. geplant, spezielle Bedürfnisse wie ein Konferenzzentrum, ein Restaurant und ein Café integriert. Ein Schwerpunkt war auch, möglichst viele offene Arbeitsbereiche zu schaffen. Aus Sicht der F.A.Z. ist das gewiss eine große Veränderung.

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Wenn wir auch in diesem Gespräch nach vorne blicken wollen, dann sind wir auch gleich beim Thema Umweltschutz und Nachhaltigkeit. Inwiefern zahlt dieses Gebäude darauf ein?

Eike Becker: Es wurde natürlich als Haus mit Niedrigenergietechnik konstruiert, um die Energiekosten und damit die Unterhaltskosten möglichst gering zu halten. Da wurde ein wirklich schlaues Energiekonzept entwickelt. Außerdem haben wir auch bei der Entwicklung der Fassade darauf geachtet, dass gewisse optische Elemente gleichzeitig auch praktische Eigenschaften mitbringen. Die eng stehenden Fassadenpfoster bewirken etwa eine Selbstverschattung der Fassade. So werden die Wärmegewinne im Gebäude verringert.

Was meinen Sie damit konkret?

Eike Becker: Wir haben in der Fassade hochwärmedämmende Dreifachverglasung verwendet. Die Elemente, die aus der Fassade herausragen, schaffen nicht nur Plastizität, sondern dienen gleichzeitig auch der automatischen Verschattung der Fassade. So wird die Wärmeentwicklung im Gebäude verringert und damit auch der Kühlaufwand.

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Der an den F.A.Z. Tower angrenzende Komplex wird das erste Bürogebäude Frankfurts sein, das in Holzbauweise realisiert wird. Passender Name des Projekts: Timber Pioneer.

Das Nachbargebäude "Timber Pioneer" wird als erster Bürohaus Frankfurts in Holzbauweise realisiert. Wie stehen Sie zu dem wohl nachhaltigsten aller Baustoffe?

Eike Becker: Der vermehrte Einsatz von Holz und Holzwerkstoffen kann dazu beitragen, die Treibhausgasemissionen des Bausektors zu senken. Holz hat die einzigartige Fähigkeit, der Atmosphäre CO2 zu entziehen unddadurchCO2-Emissionen zu reduzieren. Holz ist das Baumaterial der Zukunft. Was für eine grandiose Wendung angesichts der Diskussionen um High Tech und die Smart City! Es geht jetzt darum, gemeinsam Neuland zu betreten und die Voraussetzungen für die Realisierung dieser nachhaltigen Bauweise zu schaffen. Das erleben wir zur Zeit auch bei unserem Holzhybridhochhaus im Europaquartier in Frankfurt. Bei aller angemessenen Sorgfalt ist die Begeisterung auf allen Seiten groß.

Ist das für Sie die Kernbotschaft von Corona?

Eike Becker: Ja. Ich denke, wir haben ein neues Bewusstsein, eine neue Aufmerksamkeit gegenüber unserem Menschsein entwickelt. Wir können radikaler, können mutiger sein. Wir haben aber auch gemerkt, wie wichtig es ist, mit anderen Menschen unterwegs oder zusammen zu sein – denn der Mensch ist ein soziales Wesen. Das bedeutet auch, dass wir nun verstärkt darauf achten, welche Auswirkungen unser Tun auf unser Umfeld hat. Wie umweltverträglich ist es? Schaden wir damit jemandem? Sind wir rücksichtsvoll genug? Das spielt meiner Ansicht nach eine immer größer werdende Rolle. Wir werden sensibler. Als Gesellschaft werden wir dadurch besser!

Holz hat die einzigartige Fähigkeit, der Atmosphäre CO2 zu entziehen und dadurch CO2-Emissionen zu reduzieren. Holz ist das Baumaterial der Zukunft.

von Eike Becker, Architekt

Was haben diese aktuellen Entwicklungen Ihrer Meinung nach für Auswirkungen auf die Architektur?

Eike Becker: Wir brauchen eine menschengerechte und klimaneutrale Stadt. Wir nutzen aktuell beispielsweise immer noch viel zu viel Fläche für den Autoverkehr. In Berlin sind es 22%, in Wien wird das nicht anders sein. Also wenn man sagt, knapp ein Viertel ist nur für den PKW-Verkehr reserviert, dann ist das einfach falsch verteilt und schlecht genutzter Stadtraum. Es muss unser Ziel sein – und seit Corona mehr denn je – Menschen aufgesunde und friedlicheWeise zusammenzubringen. Wir sollten diese Flächen also stattdessen nutzen, um Menschen Orte des Austausches zu bieten. Und da müssen wir als Architekten helfen. Nehmen wir Wien: Diese Stadt bietet unbestritten eine enorme Lebensqualität. Aber auch sie hat jetzt große Umstellungen vor sich, um in den nächsten Jahren klimaneutral zu werden. Städte konkurrieren heute schon um große Unternehmen, um kluge Köpfe in allen Branchen. Und diese werden anfangen die Frage zu stellen, warum die Stadt, die um sie wirbt, immer noch so eine Klimaschleuder ist.

Es geht also längst darum, im internationalen Vergleich wettbewerbsfähig zu bleiben?

Eike Becker: Städtebau ist immer etwas, das langfristig geplant sein muss. Wir denken heute in Zeitfenstern von einer, zwei Generationen. Doch Städte müssen in vielen Generationen denken. Nehmen wir Kopenhagen: Hier hat man in den 60er Jahren damit angefangen, sich über die Zukunft der Stadt Gedanken zu machen. Die Stadt war damals nahezu pleite, gehörte quasi dem Auto und Umweltschutz war ein Fremdwort. Man hat sich daher die Frage gestellt: Wie kriegen wir diese Stadt umgebaut? Wie können wir diese Stadt für die Menschen wieder zurückerobern? Aus dieser Situation heraus wurde ein langfristiger, vielschichtiger Plan entwickelt – dessen Umsetzung hat zwar lange gedauert. Aber heute ist Kopenhagen ein Vorbild für viele andereinnovativeStädte. Meine Vision ist die soziale, die menschengerechte, die klimaneutrale Stadt, die Stadt mit einer besseren Mobilität. Also letztendlich auch die autofreie Stadt.

Wieviel Einfluss hat man als Architekt auf diese Entwicklungen?

Eike Becker: Die Architektur selbst hat einen sehr großen Einfluss darauf! Ihre große Aufgabe besteht darin, diesen Einfluss sinnvoll auszuüben. Wenn wir jetzt oben auf dem F.A.Z.-Tower stehen und aus der obersten Etage rundum schauen würden, könnten wir bis zum Horizont der Stadt blicken. Bis zum Horizont einer geplanten, einer von Menschen gemachten Stadt. Klar kann man jetzt sagen: „Hey, aber niemand wollte, dass die Stadt so aussieht!“ Aber: Trotzdem ist es so. Das müssen wir annehmen. Und wenn wir akzeptieren, dass wir in einer künstlichen und durch und durch geplanten Welt leben, dann sollten wir uns wirklich auch alles daransetzen, dass es eine gute Welt für alle wird.

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UBM-Baustelle des neuen Headquarters der FAZ in Frankfurt a. Main und Portrait des Architekten Eike Becker

Eike Becker selbst beruft sich in seiner Arbeit stets auf die von ihm entwickelte These der Superferenz. Er selbst erklärt diese so:

„Interferenz kennen wir von den Wassertropfen, die auf die Oberfläche einer Pfütze fallen, diese wundervollen Wellenkreise bilden, die sich so beruhigend ausbreiten. Fallen zwei Tropfen auf dieselbe Oberfläche, interferieren die Wellenkreise. Alles wirkt noch ruhig und kontemplativ. Fängt es aber an, mehr und mehr zu regnen und ein Platzregen fällt auf dieselbe Pfützenoberfläche, plitscht und platscht es und es entstehen wahre Wassergebirge, wilde Wellenlandschaften, die sich in rasender Geschwindigkeit verändern.

Ein passendes Bild für die Situation, in der wir heute leben. Auch wir müssen immer vielfältigeren Anforderungen und höheren Ansprüchen gerecht werden. Wenn wir also in so einer Umgebung handlungsfähig bleiben wollen, wenn wir erfolgreich sein wollen, dann müssen wir die Ausgangssituation annehmen und uns darauf einlassen. Dabei müssen wir lernen, qbessere Antworten zu finden. Das betrifft unsere persönliche Lebensführung, auch Gebäude oder ganze Stadtteile. Wir leben in superferenten Zeiten.

Wenn dem so ist, dann können wir nur erfolgreich sein, wenn wir auch superferente Strategien anwenden. Sonst passt unser Tun nicht in unsere Zeit.“

Inteview: Johannes Stühlinger Bilder: UBM Development AG | Peter Podpera

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