Zu viele Blaue: Neustifter Kirtag wird abgespeckt
Würde Kaiserin Maria Theresia heute leben, bekäme sie von den Neustifter Winzern wohl ein Lebkuchenherz mit „Weltbeste Kaiserin“ in Zuckergussschrift darauf geschenkt. Im 18. Jahrhundert erhielt sie stattdessen eine Erntedankkrone.
Der alljährliche Umzug der Krone am Neustifter Kirtag (Details Infokasten "Geschichte des Kirtags") wurde von der UNESCO mittlerweile sogar zum immateriellen Weltkulturerbe ernannt. Am Freitag wird die Urkunde überreicht.
Das ist rund um den Kirtag aber auch schon der einzige Grund zum Feiern: Denn die Veranstaltung, zu der normalerweise in nur vier Tagen bis zu 80.000 Menschen pilgern, soll dieses Jahr nicht stattfinden – oder zumindest nur in ganz abgespeckter Form.
Was also ist für diesen Sommer geplant? „Wie die Wiener Wiesn oder der Altausseer Kirtag können auch wir die vielen Sicherheitsvorkehrungen samt Registrierungspflicht nicht einhalten“, sagt Thomas Huber von der Neustifter Heurigen-Dynastie Fuhrgassl-Huber.
Peter Wolff, Obmann des Weinbauvereins, will weder den Polit-Streit bestätigen – noch die Absage. Man feiere diesmal einfach anders: „Nur in den Heurigen selbst und nicht auf der Straße“, sagt er zum KURIER.
Zumindest Maria Theresia wäre beruhigt: Der traditionelle Umzug mit der Erntedankkrone findet statt.
Der offizielle Grund: die unsichere Corona-Lage. Tatsächlich sorgt aber nicht nur das Virus für Unmut innerhalb des Winzervereins, der den Kirtag veranstaltet. Die aktuelle Debatte offenbart tiefe Gräben im Hintergrund: Es geht um politische Vereinnahmung, um Radau und Sauf-Orgien – und um hohe Kosten.
Anders als es der hehre Titel Weltkulturerbe vermuten ließe, entwickelte sich der Kirtag in den vergangenen Jahren immer mehr zur – ziemlich profanen – Partymeile für die Stadtjugend, deren Bedürfnis nach Ballermann in Dirndl und Lederhose nur schwer zu stillen ist.
„Früher war der Kirtag ein erweitertes Familienfest, mittlerweile fühlt man sich unwohl“, erzählen langjährige Besucher. Sie berichten von „Suff und Aggression“, von Party-Exzessen – und von Sicherheitsproblemen: Zuletzt habe man mehr Security-Personal einsetzen müssen, „das hat den finanziellen Rahmen schwer belastet“.
Im Jahr 2019, als der Kirtag zuletzt stattfand, erstattete die Polizei Dutzenden Anzeige wegen des Verdachts der Körperverletzung, wegen Verkehrsdelikten, Diebstahls und des Verdachts auf ein Sexualdelikt.
Politiker-Schaulaufen
Nicht nur Sicherheitsprobleme sorgen für Unmut. Vor allem in Wahlkampfzeiten verkam das Fest zunehmend zum Politiker-Schaulaufen. Mit Ausnahme der Grünen ist hier traditionell jede Couleur vertreten.
Allen voran Michael Ludwig als höchster SPÖ-Repräsentant, schon lange bevor er zum Bürgermeister aufsteigen sollte. Im schwarz – heute: türkis – regierten Döbling stellt natürlich auch die ÖVP Besitzansprüche auf die Veranstaltung.
Umso verärgerter ist man bei den Türkisen, dass die FPÖ hier zuletzt alles in die Schlacht warf: Mit Heinz-Christian Strache, Johann Gudenus und Norbert Hofer war hier alles vertreten, was im blauen Universum – vor dem Ibiza-Desaster – Rang und Namen hatte. Die FPÖ habe den Kirtag „gekapert“, lautet der Vorwurf.
Letzteres ist offenbar ein Mitgrund, warum so mancher über die unfreiwillige Pause gar nicht unfroh ist: So könne man sich konsolidieren und das Konzept überdenken.
Zahlungsunfähig
Nach einer Missernte 1752 konnten die Wiener Weinbauern ihre Steuern nicht zahlen. Mit einer Erntedankkrone baten sie Kaiserin Maria Theresia um Steuerfreiheit
1753 erster Kirtag
Die Kaiserin erließ ihnen nicht nur die Zahlungen, sondern gab ihnen auch die Krone zurück – mit der Auflage, jedes Jahr einen Kirtag abzuhalten
Ausgezeichnet
Der Umzug der „Hauerkrone“, der seither jährlich stattfindet, wurde von der UNESCO als Weltkulturerbe ausgezeichnet
Dorfpatron
Der Neustifter Kirtag findet jedes Jahr am Wochenende nach dem 16. August, dem Festtag des heiligen Rochus, statt
FPÖ: „Tolle Werbung“
Bei der FPÖ will man sich die Schuld am (vorübergehenden) Aus für den Kirtag nicht umhängen lassen. „Schließlich waren immer alle Parteien vertreten. Es waren die ÖVP-Leute, die vor zwei Jahren türkis durchgestylt aufgetaucht sind und so gegen die Vereinbarung verstoßen haben, keine Polit-Werbung direkt am Festgelände zu machen“, ärgert sich ein blauer Funktionär.
Wiewohl die FPÖ die einzige Partei gewesen sei, die für das Event regelmäßig gespendet habe – und zwar 8.000 Euro pro Jahr. Eine willkommene Finanzspritze angesichts der beträchtlichen Kosten, die jährlich für Security, Müll und Umleitung des Öffi-Verkehrs – die Wiener Linien verrechnen den Betreibern die zusätzlichen Ausgaben – anfielen.
Bei den Blauen ortet man vor allem finanzielle Probleme als Grund für das Aus der Veranstaltung: „Manche stoßen sich am Kirtag, weil er mit hohen Ausgaben verbunden und damit kein großes Geschäft ist. Dabei ist er tolle Werbung für Neustift. Im Gegensatz zu anderen Weinbau-Orten geht es ihm noch sehr gut, weil die Veranstaltung sehr viele junge Leute angelockt hat, die später wiederkommen.“
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