Nicht nur die Stadtregierung feiert ein besonderes Jubiläum – auch für die größte Wiener Oppositionspartei war der Dienstag ein denkwürdiger Tag: Es war das erste Mal seit der (erfolgreichen) Wien-Wahl, dass ÖVP-Landeschef Gernot Blümel stadtpolitisch in Erscheinung trat. (Seine zuletzt geplante Pressekonferenz musste er absagen, weil einige Stunden zuvor die Korruptionsjäger seine Wohnung durchsuchten.)
Die Landespartei kam in den 100 Tagen aber auch ohne den Chef gut zurecht: Sie macht sich ihre neue Größe zunutze – und mischt derzeit bei fast jedem Thema mit.
Bereits drei Mal hat die ÖVP den Stadtrechnungshof angerufen. Die Kostenexplosion beim U-Bahn-Bau will sie ebenso geprüft wissen wie die Causa Nevrivy und die Event-Halle in St. Marx. (Zumindest bei Letzterer, kritisiert man intern, war man übereifrig. Die Halle ist noch gar nicht in Bau, Unsauberkeiten sind keine in Sicht.)
Wenig verwunderlich also, dass die ÖVP zum rot-pinken 100-Tage-Jubiläum rasch eigene „100 Ideen für Wien“ zusammengetragen hat. Altbekannte, unerfüllte Forderungen – die Partei nennt sie „Evergreens“ – mischen sich mit neueren, etwa jener nach mehr Transparenz bei städtischen Corona-Hilfen. Konkrete Grätzel-Ideen (etwa die Sanierung der Kennedy-Brücke) sind genauso dabei wie große Visionen (Wien solle Wasserstoffhauptstadt werden).
Blümel, ganz in der Rolle des Finanzministers, gab sich bei der Präsentation staatsmännisch. Man komme „nur gemeinsam besser durch die Krise“, sagte er in Richtung SPÖ. Einige Seitenhiebe wollte er sich dennoch nicht verkneifen: So rechnete er vor, dass Wien mit 6,8 Milliarden Euro von den Corona-Hilfen des Bundes profitiert habe. Nachsatz: „Das ist das Zehnfache dessen, was die Stadt in die Hand genommen hat.“
Intern sorgt die breite Medienpräsenz der türkisen Gemeinderäte unterdessen nicht nur für Freude: Vor allem an der Spitze herrscht ein Gerangel um die besten Plätze, hört man aus der Partei. Das sorgt mitunter für Ärger zwischen Klubchef Markus Wölbitsch und Stadträtin Bernadette Arnoldner. Letztere, heißt es, sei in ihrer Rolle – und ihren Themen – noch nicht angekommen. Vielleicht fehlt der Parteichef ja doch ein bisschen.
FPÖ-Chef trotz Desasters fest im Sattel
Es ist noch keine zwei Jahre her, als Dominik Nepp nach dem Ibiza-Skandal überraschend an die Spitze der Wiener FPÖ gespült wurde. Und noch im Vorjahr gab es viele, die ihm im Wien-Wahlkampf wenig Chancen gegen den Polit-Wiedergänger Heinz-Christian Strache einräumten. Zu unerfahren, zu wenig volksnah sei er im Vergleich zu seinem ehemaligen Chef.
Im Oktober setzte es dann zwar für die FPÖ die erwartbare historische Wahl-Schlappe, Nepp gelang es aber dennoch, sich an der Spitze der Partei zu behaupten. Was bei einem Minus von knapp 24 Prozentpunkten wohl alles andere als selbstverständlich ist.
Das dürfte gar nicht so sehr daran liegen, dass es aktuell wenig taugliche Alternativen zu Nepp gibt. Dem 39-Jährigen ist es vielmehr relativ rasch gelungen, die arg zerzauste Partei auf Linie zu bringen und Widersacher aufs Abstellgleis zu schicken.
Prominentestes Beispiel: Ex-Gemeinderat Alexander Pawkowicz, dem schon im Vorfeld der Wahl Ambitionen auf die Parteispitze nachgesagt wurden. „Er hat massiv gegen Nepp mobilisiert“, ist aus Parteikreisen zu vernehmen.
Nun ist Pawkowicz sein Mandat los. Auch mit dem Einzug in den Bundesrat, den er dem Vernehmen nach angestrebt haben soll, wurde es nichts. Seit Anfang Jänner ist er nicht einmal mehr Meidlinger Bezirksparteichef. In dieser Funktion folgte ihm Nationalrätin Petra Steger.
Hinzu kommt, dass Nepp bis dato davon verschont geblieben ist, in Ibiza- und Spesenskandal hineingezogen zu werden. Inhaltlich fällt Nepp als rabiater Kritiker der Pandemie-Maßnahmen der Bundesregierung auf. Wobei die FPÖ Wien dennoch im Lager des moderateren Bundesparteichefs Norbert Hofer verortet ist, während Klubchef Herbert Kickl schlecht an-
geschrieben ist, heißt es aus Parteikreisen. Dies habe noch mit dem enormen Druck zu tun, den Kickl rund um den Parteiausschluss Straches ausgeübt habe.
Die Talsohle dürfe jedenfalls durchschritten sein. In Umfragen liegt die Wiener FPÖ um fünf Prozentpunkte über dem Wahlergebnis. Das ist mehr, als Strache damals auf sich verbuchen konnte.
Grüne stolpern hinterher, holen aber auf
Als die Grünen vor 100 Tagen auf der Oppositionsbank Platz nahmen, war das ein Kaltstart: Nach zehn Jahren Rot-Grün waren sie, zum großen Erstaunen vieler Funktionäre, aus der Koalition geflogen. Aus einer Koalition, die sie unbedingt fortsetzen wollten. Mit ihrer neuen Rolle im Rathaus werden sie nur langsam warm.
Das zeigt sich etwa anden jüngsten Pannen in den Sitzungen des Gemeinderats. Mit den klassischen Instrumenten zur Kontrolle der Stadtregierung kämpft man etwa noch gehörig: Erst im Jänner sind die Grünen mit ihrer ersten „Dringlichen“ nach zehn Jahren abgeblitzt – wegen eines Formalfehlers. Aus demselben Grund wurde ihnen zuletzt auch in der Fragestunde eine Frage verweigert. „Die wissen halt nicht mehr, wie das geht“, ätzt die politische Konkurrenz.
Diese Häme hat zwar einen wahren Kern. Doch die Grünen haben mit diesen Initiativen zumindest irgendein Lebenszeichen von sich gegeben: Nach dem Aus von Rot-Grün war man in eine kollektive Schockstarre verfallen – und tat das, worin man reichlich Übung hat: streiten.
Birgit Hebein musste als Parteichefin gehen. Aktuell rittern Stadtrat Peter Kraus und Stadträtin Judith Pühringer um den Posten. Bis sie davon nicht mehr abgelenkt sind und sich voll auf die Oppositionsarbeit konzentrieren können, wird es bis Juni dauern: Dann wird der Parteivorsitz neu gewählt.
Für das rot-pinke Jubiläum hat man sich gewappnet: mit allerlei Kritik, aber auch mit Freundlichkeiten. Aus der Fortschrittskoalition sei eine „Stand-by-Koalition“ geworden, monieren die Grünen – der KURIER berichtete. Vor allem im Verkehrs- und Umweltbereich gehe Rot-Pink „zurück statt nach vorne“. Positiv bewertet wurde, dass die Wiener Jugendunterstützung U25 nun den Vollbetrieb aufnehme. Das Projekt zur Arbeitsintegration junger Menschen wurde noch unter Rot-Grün fixiert.
Das Lob passt zur Konstruktivität, die sich die Grünen verordnet haben. Damit bewegen sie sich aber auf einem schmalen Grat: Dass die Grünen mit dem allzu eifrigen Beklatschen der Regierung bereits ihre Rückkehr in die Koalition vorbereiten, liegt auf der Hand. Vielleicht zu augenscheinlich.
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