Die ersten hundert Tage sind geschafft: Eine Rot-pinke Zwischenbilanz
Von der türkisen PR-Maschinerie ist man zwar meilenweit entfernt, einen gewissen Hang zur Selbstinszenierung kann man aber auch der rot-pinken Rathauskoalition nicht absprechen. Morgen, Dienstag, lädt sie zu einem eigenen Pressetermin, um eine Bilanz der ersten hundert Tage seit der Angelobung zu ziehen.
Die erste Koalition dieser Art auf Landesebene galt die Tage nach der Wahl noch als mediales Hirngespinst, ehe Michael Ludwig dann tatsächlich mit dem pinken Klubchef Christoph Wiederkehr Verhandlungen aufnahm. Sehr zur Überraschung vieler Beobachter – vor allem aber des bisherigen grünen Koalitionspartners.
Gutes Klima
Schnell sind dann aber auch die Bedenken des ganz linken Parteiflügels der SPÖ – vertreten durch die Jugendorganisationen – verstummt, für die ein Bündnis mit dem neoliberalen Erzfeind undenkbar war.
Und tatsächlich: Bis dato funktioniert die Koalition ohne spürbare Friktionen, was wohl auch mit dem sehr guten persönlichen Verhältnis zwischen Ludwig und Wiederkehr zu tun hat. Trotz des beträchtlichen Altersunterschieds, trotz des enormen Unterschieds in puncto politischer Erfahrung.
„Sie passen von ihrer Art her gut zusammen, sind beide keine Polterer“, sagt Politik-Berater Thomas Hofer. Da hat Ludwig schon mehr mit seinem Stadtrat Peter Hacker zu kämpfen, wenn der wieder einmal nach unkonventionellen Vorstößen in Sachen Corona-Management auf Linie gebracht werden muss.
Womit wir schon beim Thema wären, das jedes andere völlig in den Schatten stellt: Während die Stadtregierung im Sommer noch den Eindruck erweckte, wenig trittfest durch die Corona-Krise zu wandeln, steht Wien mittlerweile als Vorbild für andere Bundesländer da. Allen voran bei der Bereitstellung von gewaltigen (und kostenlosen) Testkapazitäten.
Wirtschaftskrise
Zur wirtschaftlichen Bewältigung der Krise wird ein Paket nach dem anderen geschnürt.
Wobei nicht alles gelingt – wie etwa die temporäre Verstaatlichung schwer getroffener Betriebe. Für eine abschließende Bewertung der Corona-Wirtschaftshilfen ist es aber noch viel zu früh.
Dies gilt auch für viele der Maßnahmen, die im rot- pinken Regierungsprogramm angekündigt werden. Allen voran mehr Personal im Bildungs- und Gesundheitsbereich. Zu oft stellte sich in der Vergangenheit schon heraus, dass es – etwa beim Spitalspersonal – bei Ankündigungen blieb oder mit Umschichtungen reine Kosmetik betrieben wurde.
Kräfteverhältnis
Im Gemeinderat hat die SPÖ 46 Mandate, die Neos haben acht von hundert Mandaten. Die Roten stellen den Bürgermeister und sechs Stadträte und die Neos einen
Vorhaben (Auswahl)
Personaloffensive im Bildungs- und Gesundheitsbereich, Klimaschutzgesetz und -budget; außerdem nochmals zusätzliche 1.500 Gemeindewohnungen
Diese Gefahr ist auch beim Kernthema Klimaschutz groß. „Ein paar Bäume irgendwo, das ist kein Klimaschutz“, merkte zuletzt der TU-Verkehrsforscher Ulrich Leth angesichts der bisherigen Aktivitäten der neuen Koalition an. Wobei selbst die Grünen auf diesem Gebiet in der Endphase ihres Wirkens im Schatten der Corona-Krise auch eher nur Staub aufwirbelten, als nachhaltige Akzente zu setzen.
Leuchttürme fehlen noch
Staub aufwirbeln ist hingegen nichts, was Wiederkehr besonders liegt. Und vielleicht fehlt deshalb noch das große, genuin pinke Leuchtturm-Projekt in dieser Regierung. Ein digitaler Briefkasten zur Meldung von Korruptionsverdachtsfällen wird eher nicht dazuzuzählen sein.
Bei den Wienern scheint die Regierung jedenfalls anzukommen: Laut jüngsten Umfragen legen beide Regierungspartner wie berichtet zu, die SPÖ sogar deutlich.
Wobei hier auch der Reiz des Neuen eine gewisse Rolle spielen dürfte. „Die Wirklichkeit“, sagt Meinungsforscher Peter Hajek, „zeigt sich meistens erst im zweiten, dritten Koalitionsjahr“.
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