Wiener Grüne: „Wie die Stadt mit Klimaschützern umgeht, ist ein Armutszeugnis"

Wiener Grüne: „Wie die Stadt mit Klimaschützern umgeht, ist ein Armutszeugnis"
Seit einem Jahr führen Judith Pühringer und Peter Kraus die Wiener Grünen an. Unter welchen Umständen Rot-Grün doch noch möglich wäre und warum die Koalition im Bund nicht in Gefahr ist.

Am 17. Oktober 2021 wurden Judith Pühringer und Peter Kraus zur ersten Doppelspitze in der Geschichte der Wiener Grünen gewählt– mit 83,6 Prozent der Delegiertenstimmen.

Doch die Übernahme war turbulent: Nachdem die Grünen bei der Wien-Wahl 2020 mit 14,8 Prozent ihr historisch bestes Ergebnis erreicht hatten, scheiterten die Koalitionsverhandlungen mit der SPÖ – und Vorgängerin und Vizebürgermeisterin Birgit Hebein wurde unschön demontiert.

Nach zehn Jahren in Regierungsverantwortung liegt nun wieder ein Jahr in Opposition hinter den Grünen.

KURIER: Wie geht es einem als Grüne in einer Koalition mit der ÖVP, nach Bekanntwerden neuer Details in der Causa Thomas Schmid?

Peter Kraus: Dass die Kronzeugenregelung überhaupt noch besteht, zeigt, wie wichtig Justizministerin Alma Zadić ist und dass die Grünen in Verantwortung sind.

Judith Pühringer: Es bietet sich ein total verstörendes und extrem abstoßendes Bild von alter Politik. Ein paar Männer haben sich im Hinterzimmer irgendwie die Felle aufgeteilt.

Ist die Koalition in Gefahr?

Kraus: Man muss laufend neu bewerten, was an neuen Informationen kommt. Aber die Grünen dürfen nicht vor der Verantwortung davonlaufen. Insofern glaube ich nicht, dass die Koalition in Gefahr ist.

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) wird Amtsmissbrauch vorgeworfen. Muss er zurücktreten?

Pühringer: Die Bundesregierung wird das bewerten. Aber das Bild ist definitiv kein gutes. Es gibt Handlungsbedarf.

Wiener Grüne: „Wie die Stadt mit Klimaschützern umgeht, ist ein Armutszeugnis"

Der Bund stellt Zelte für Geflüchtete auf, während Wien die Quote übererfüllt. Wozu braucht es Grüne in der Regierung?

Kraus: Immer, wenn rechte Parteien von Themen – zum Beispiel Untersuchungsausschüssen – ablenken, versuchen sie, das Migrationsthema auf dem Rücken der Betroffenen hochzuziehen. Das ist verwerflich und nicht zielführend. Unabhängig davon, ob die Grünen in der Regierung sind oder nicht, bin ich froh, dass in Wien eine andere politische Kultur herrscht, die wir mitgeprägt haben.

Es gibt Kritik an Ihrem Kurs, der zwischen Fundamental-Opposition und Kooperation schwankt. Wie viel hat das mit der Führung der Partei in Doppelspitze zu tun?

Kraus: Nichts.

Pühringer: Es gibt eine ganz klare Oppositionsstrategie. Ja, in den Bezirken wollen wir in möglichst vielen, vor allem in den inneren, Erster werden und die Bezirksvorstehungen stellen. Die Grünen fehlen schmerzlich in dieser Stadt.

Müssen Sie sich nicht hüten, weil sonst wieder eine grüne Regierungsbeteiligung scheitern könnte?

Kraus: Ich darf an dieser Stelle Bürgermeister Häupl zitieren, der gesagt hat: Die Aufgabe der Opposition ist es nicht, im Kreis zu stehen und zu applaudieren, sondern an inhaltlichen Punkten festzumachen, wo es in der aktuellen Stadtregierung nicht gut läuft. Es geht am Ende nicht darum, wer wen mag, Politik ist ja keine Sitcom. Sondern darum, Debatten und Inhalte weiterzubringen.

Pühringer: Derzeit gehört viel öffentlicher Raum den Autos, der Platz für Menschen fehlt. Da ist die SPÖ in einer Politik von vorgestern verhaftet und glaubt, die Dinge müssen sich nicht ändern.

Sie fordern dann gern Begegnungszonen. Man kriegt das Gefühl, die Grünen tun nichts anderes.

Kraus: Ich sehe das komplett anders. Wir haben einen Energiesparplan für die Stadtverwaltung vorgelegt, zum leistbaren Wohnen ein Leerstandsmodell und einen Fünf-Punkte-Plan gegen Abriss und Spekulation im Gründerzeitbereich gemacht. Aber ja, das Thema öffentlicher Raum ist eines, weil dort der Unterschied so klar wird, ob Grüne in der Regierung sind oder nicht.

Pühringer: Beim Thema Lobau haben wir gesehen, wie die Stadt mit der Wissenschaft und jungen Klimaschützerinnen umgeht. Wie sie mit Klagsdrohungen reagiert und überhaupt kein Gespür hat, ist ein unglaubliches Armutszeugnis.

Könnten Sie mit dieser SPÖ noch in eine Regierungszusammenarbeit gehen?

Kraus: Die SPÖ wird an einen Punkt kommen, wo sie sich mit Blick auf die nächsten Wahlen entscheiden wird: Ist der Weg wieder Richtung Große Koalitionen oder einer, der beispielsweise mit den Grünen der progressivere Weg ist. Dass in der SPÖ alle so sind wie der Bezirksvorsteher des 22. Bezirks, will ich so nicht unterstellen.

Pühringer: Die SPÖ wird in Sachen Klimagerechtigkeit von der Realität überholt werden. Ein Gemeinsam mit der SPÖ wird es nur geben, wenn sie sich auf so einen Weg einlässt.

Wiener Grüne: „Wie die Stadt mit Klimaschützern umgeht, ist ein Armutszeugnis"

Pühringer und Kraus im Gespräch mit KURIER-Redakteurin Julia Schrenk

Nach einem Jahr Doppelspitze: Wer von Ihnen wird die Partei 2025 als SpitzenkandidatIn in die Wien-Wahl führen?

Kraus: Wir werden gemeinsam in diese Wahl gehen.

Spätestens bei der Listenerstellung wird jemand als Erste(r) gereiht werden müssen.

Pühringer: Es wird einen Einser und einen Zweier geben, aber das kann auch auf einer symbolischen Ebene sein.

Wer wird vorne stehen?

Kraus: Das werden wir in aller Ruhe und mit strategischer Klarheit entscheiden.

Pühringer: Am Beispiel Kurz und Schmid sieht man, wohin die einsame One-Man-Show führt. So wollen wir nicht Politik machen. Mit Kooperation funktioniert es besser.

Wiener Grüne: „Wie die Stadt mit Klimaschützern umgeht, ist ein Armutszeugnis"

Zur verkehrsberuhigten Inneren Stadt: Werden Sie die mitbeschließen, sofern Ministerin Gewessler der Kameraverwendung ein rechtliches Okay gibt?

Kraus: Die Frage der Verkehrsorganisation ist nicht alles. Es muss für die Menschen, die dort wohnen, arbeiten, zu Besuch sind, danach etwas spürbar anders sein. Die Frage ist, ob die Stadt ernsthaft will und es schafft, Begrünung, Begegnungszonen, alles, was sich an der Oberfläche manifestiert, anzupacken. Ich sehe da wenig Aktivität im Moment der Stadträtin Sima.

Wovon machen Sie es abhängig, ob Sie mitbeschließen?

Kraus: Davon, ob es eine deutliche Verkehrsberuhigung im 1. Bezirk gibt, die mit Verbesserungen an der Oberfläche sichtbar wird. Wir kennen die Machbarkeitsstudie noch nicht, weil sie nicht öffentlich aufliegt. Es gibt auch noch keinen Akt, wir wüssten also noch gar nicht, worüber wir abstimmen. Ich möchte nur betonen: Die Grünen setzen sich seit mehr als zehn Jahren vehement für eine Verkehrsberuhigung im 1. Bezirk ein.

Wiener Grüne: „Wie die Stadt mit Klimaschützern umgeht, ist ein Armutszeugnis"

Dominik Wlazny schnitt bei der Bundespräsidentschaftswahl äußerst gut ab. Fürchten Sie ihn schon im Hinblick auf die nächste Wahl?

Kraus: Angst ist keine politische Kategorie.

Die Grünen und der einstige Bezirksvorsteher des 15. Bezirks Gerhard Zatlokal standen sich nah. Haben Sie ihm politisches Asyl angeboten?

Pühringer: Nein.

Kraus: Noch nicht.

Kommentare