Wie modernisierungsfeindlich ist die Wiener ÖVP?

Wie modernisierungsfeindlich  ist die Wiener ÖVP?
Ein Posting des Autors Robert Menasse sorgt für heftige Kontroversen. Was an seinen Vorwürfen dran ist

Nur kurz war Robert Menasses Posting unter einem Facebook-Beitrag von ÖVP-Spitzenkandidat Gernot Blümel online, ehe es laut ÖVP wegen Verstößen gegen die Netiquette gelöscht wurde. Für Diskussionen sorgt die Entfernung, aber auch der Inhalt. Menasses Fazit: Blümel sei bloß Vertreter einer Partei, die „zum Glück erfolglos die Entwicklung Wiens zu einer lebenswerten und bunten Metropole“ bekämpft habe.

Menasse führt eine Reihe von heute weithin anerkannten Projekten der vergangenen Jahrzehnte an, die die ÖVP allesamt abgelehnt habe – vom U-Bahn-Bau bis zur UNO-City. Doch stimmt sein Befund? Der Versuch eines Faktenchecks.

Robert Menasse legte Politiker Worte in den Mund

Autor Robert Menasse

U-Bahn Hier liegt Menasse nicht richtig: Bereits in den 50er-Jahren trat die ÖVP für den U-Bahn-Bau ein, während die SPÖ noch ablehnend war. Dass sich die ÖVP vor Proletarierhorden fürchtete, die mit der U1 in die Innenstadt gelangen könnten, ist auch heute noch zu hören, dürfte aber eine Legende sein.

Sozialer Wohnbau Seine Ursprünge liegen zwar schon in der Monarchie, seine Blütezeit erlebte er aber tatsächlich erst im Roten Wien ab 1919. Finanziert wurden die Gemeindebauten durch die von SP-Finanzstadtrat Hugo Breitner initiierte Wohnbausteuer. Da die christlichsoziale Klientel von Breitners Steuern am stärksten getroffen wurde, wurde dieser zur Hassfigur der Schwarzen.

Karl-Marx-Hof: Bekanntester Gemeindebau in Wien

Karl-Marx-Hof

Donauinsel Die ÖVP, die sich damals trotz der roten absoluten Mehrheit in einer Koalition mit der SPÖ befand, war massiv gegen dieses Hochwasserschutz-Projekt und die Milliardeninvestitionen dafür. Die SPÖ beschloss den Bau 1969 trotzdem (mit der FPÖ).

Fußgängerzonen Als Sprachrohr der Autofahrer und des Handels tut sich die ÖVP mit Fußgängerzonen schwer, wie zuletzt auch der Widerstand gegen jene in der Mariahilfer Straße zeigte. Inzwischen setzt aber ein langsames Umdenken ein: Auch türkise Bezirksvorsteher forcieren Verkehrsberuhigungsprojekte, etwa in der Josefstadt oder wie zuletzt in der Inneren Stadt.

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Mariahilfer Straße

UNO City Die Initialzündung erfolgte 1967 unter der ÖVP-Regierung im Bund, das 1970 von der SPÖ beschlossene Projekt traf aber auf den Widerstand der Schwarzen.

Konferenzzentrum Die ÖVP lehnte das Projekt von SP-Kanzler Bruno Kreisky ab und initiierte 1982 ein Volksbegehren dagegen, das fast 1,4 Millionen Personen unterschrieben.

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Lueger-Denkmal beim Stubentor

Antisemit Lueger Blümel will Wien „wieder nach vorne“ bringen, lautet sein Wahlslogan. Menasse fragt sich, ob damit die Zeit vor dem Roten Wien gemeint sei, als ein antisemitischer Bürgermeister die Stadt regierte. Gemeint ist der Christlichsoziale Karl Lueger (1844 bis 1910), der als einer der ideologischen Wegbereiter Adolf Hitlers gilt. Zwischen ihm und der heutigen ÖVP eine Verbindung herzustellen, dürfte aber als etwas gewagt zu bezeichnen sein. Gleichzeitig war es gerade Lueger, in dessen Ära wichtige Stadtentwicklungsprojekte fielen.

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