Wie der Volkertmarkt fast super wurde
Am Vormittag ist es am Volkertmarkt im 2. Bezirk besonders ruhig. Eine Dame geht mit ihrem Hund spazieren, ein paar Männer sitzen auf den ausgeblichenen Stadtmöbeln beim Jugendzentrum, das sich gleich neben dem Markt befindet.
Beim Lokal „Nelke“, es soll das beliebteste am Markt sein, werden die ersten Stühle aufgestellt. „Wir machen aber erst um 10 Uhr auf“, heißt es. Gut, dass nebenan das un-aussprechliche Frühstückslokal „Cesza“ schon offen hat. Dort, bei Stefan Szabo, gibt es Kaffee, Kipferl, Aufstriche oder auch Capri Sonne. An seiner Wand hängt die Urkunde, die den Vater als Zuckerbäckermeister ausweist.
Ruhe am Morgen
In Wien gibt es 26 Märkte.
Volkertmarkt
Der Volkertmarkt ist eher ruhig. Erst geöffnete Lokale, wie etwa Banlieue, mussten wieder schließen.
Yudale
Yudale ist ein kosheres Restaurant am Volkertmarkt.
Obst und Blumen
Ein Obst- und Blumenverkäufer sagt, dass es immer schwieriger wird. "Früher war es besser, heute geht hier wirklich niemand mehr vorbei", sagt er. Seine Besucher sind seine Freunde.
Nelke
Das Lokal "Nelke" ist jedoch beliebt bei den Besuchern. "Das ist das einzige, was es hier gibt", sagt ein anderer Besucher.
Bei einem KURIER-Lokalaugenschein auf die geheime Studie über eine Verkehrsberuhigung des Volkertviertels angesprochen, schaut Szabo etwas verdutzt. Er wisse nur, dass man hier einst etwas umbauen wollte.
Anrainer Rainer K., der im Lokal seinen Kaffee trinkt, hilft aus: „Da wurde viel getestet, aber passiert is nix.“ „Aber die brauchen hier gar keine Fußgängerzone machen. Weil wir haben hier keine Fußgänger.“ Wenig verwunderlich, wie er meint: „Die Bänke da sind alt, im Sommer ist es viel zu heiß“, sagt er und zeigt auf den Asphaltplatz neben dem Markt. Man müsse etwas verbessern am Volkertmarkt, sonst „wird er sterben“.
Was Superblocks können
Das sieht auch Bernhard Seitz so. Er ist grüner Bezirksvorsteher-Stellvertreter in der Leopoldstadt. Und weiß genau, von welcher Studie die Rede ist. „Das war ein grünes Herzensprojekt“, erzählt er – und es schwingt hörbar Verärgerung mit.
Im Jahr 2020, als Birgit Hebein noch Vizebürgermeisterin und Uschi Lichtenegger noch Bezirksvorsteherin war, wurde im Volkertviertel ein „Straßenlabor“ eingerichtet.
Im Cesza
Im Frühstückslokal "Cesza" ist Stefan Szabo schon felißig am Kaffee ausschenken.
Kleinigkeiten und Brioche
Bei ihm gibt es Capri-Sun um 1,30 Euro oder Semmel um 40 Cent.
Catering für Zollamt, Rechnungshof und Finanzamt
"Alleine von dem Lokal hier könnte ich nicht leben", sagt er. Und erzählt, dass er auch für das Catering im Zollamt, Rechnungshof und Finanzamt tätig sei.
Kennen Sie das Catering, nicht?
Bei einem Gespräch mit dem stellvertretenden Bezirksvorsteher aus der Leopoldstadt werden Gemeinsamkeiten bekannt. Bernhard Seitz arbeitete früher am Rechnungshof als Prüfer, Szabo macht dort das Catering.
Auf Betreiben der beiden grünen Politikerinnen konnten die Menschen drei Tage lang Führungen durch das Viertel machen – und es wurde getestet, wie das Grätzel profitieren könnte, wenn es zu einem Superblock umgebaut würde.
Der Superblock ist seit einigen Jahren der letzte Schrei in der modernen Stadtplanung, Vorreiter war die spanische Stadt Barcelona. Er ist eine zumeist rund 400 mal 400 Meter große Einheit aus mehreren Häuserblocks. Motorisierter Durchzugsverkehr wird aus dieser Einheit ausgesperrt. Mit Sperren in Form von Pollern an den Kreuzungen, Einbahnen und Schleifen wird es Autolenkern de facto verunmöglicht, das Grätzel zu durchfahren.
Grün-roter Wechsel
Das ändert das Mobilitätsverhalten der Bewohner. Weil sie im Auto nur auf Umwegen aus dem Block herauskommen, radeln oder gehen sie lieber – zum Beispiel zur nächsten Öffi-Station. Die höhere Radler- und Fußgängerfrequenz zieht Nahversorger an. Das ganze Grätzel verändert sich, wird belebt.
Das „Straßenlabor“ im Volkertviertel hatte genau das im Sinn: mehr Platz für Anrainer, weniger Parkplätze, mehr Begrünung, Kühlungsmaßnahmen für den Asphalt. Auch die Bewohner konnten und sollten sich an diesem Prozess beteiligen. Aber: die Pilot-Studie, die die Organisation Laut-Studio erstellte, sollte bald darauf in der Schublade verschwinden.
Wenig später sickerte durch, dass aus dem Supergrätzl – so die Wiener Form des Superblocks – hier nichts wird. Grund dürfte der politischer Farbwechsel nach der Wien-Wahl 2020 sein, sagen Kritiker: Das Stadtplanungsressort wanderte von den Grünen zur SPÖ, auch der Bezirk ist wieder in roter Hand.
Busstation 5B
Im Plan der Studie müsste die 5-B-Busstation am Markt für die Fußgängerzone verschoben werden.
Weniger Besucher
Wen man auch am Markt fragt, die Antworten sind immer gleich: Hier fehlen die Besucher.
Studie wird hier vorgestellt
Der stellvertretende Bezirksvorsteher möchte nach der mehrjährigen Geheimhaltung die Studie im Lokal am Bild vorstellen.
Hitze-Zonen
Im Sommer werden die Freiflächen am Markt zu Hitze-Spots der Stadt.
Nordbahnviertel nebenan
Das entstehende Nordbahnviertel nebenan, könnte den Volkertmarkt in den nächsten Jahren neu beleben.
Journalist bohrte nach
Ein Journalist einer kleinen Grätzelzeitung wollte dennoch über das Projekt berichten. Und siehe da: Weder die zuständige Abteilung MA 18 noch der Bezirk wollten etwas von der Studie wissen. Obwohl sich der Journalist auf das Wiener Auskunftspflichtgesetz berief, blieb ihm eine Einsicht verwehrt. Grünen-Politiker Seitz kritisiert das: „Immerhin wurde die Studie mit Steuergeld gezahlt und mithilfe der Bürger erstellt.“
Der Journalist gab nicht auf, im Oktober 2022 kam die Causa vor das Wiener Verwaltungsgericht, vor dem auch der neue Bezirksvorsteher Alexander Nikolai (SPÖ) Rede und Antwort stehen musste. Mittlerweile gibt es einen Entscheid, der auf 38 Seiten aufschlüsselt, wie sich die Stadt nach Kräften wehrte, die Grätzelstudie zu veröffentlichen. Und noch wichtiger: Das Gericht befand, dass die Studie publik gemacht werden muss.
Nach einiger Verzögerung ist das passiert: Wie das Supergrätzl aussehen könnte, ist dort auch in Form einer Grafik (siehe oben) detailreich skizziert. Die Kosten belaufen sich laut Studie auf 3,4 bis 4,5 Millionen Euro (berechnet vor der Teuerung). Zur Einordnung: Das ist rund ein Drittel der Kosten, die beim Umbau der Praterstraße anfallen.
Die Buslinie 5B müsste geringfügig umgeleitet werden, vor allem die Parkplatzsituation würde sich ändern: Rund 200 Plätze würden wegfallen. „Ein Problem für viele“, sagt Seitz – der zugleich eine Lösung sähe: In der Nähe gibt es zwei Garagen mit insgesamt 800 Stellplätzen. „Laut einer Verordnung müssen Bewohner hier einen vergünstigten Platz erhalten“, sagt er.
Seitz will übrigens, dass alle Bewohner von den Details des Supergrätzls erfahren: Er lädt daher am 16. Mai um 19 Uhr in das Lokal Automat (2., Rueppgasse 19) und will „verblüffende“ Ergebnisse präsentieren.
KURIER-Anfrage zur Studie und zur Zukunft des Grätzels an den Bezirksvorsteher, die zuständige Stadträtin Ulli Sima und den Studienautor blieben unbeantwortet.
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