Weihnachtsunfriede am pittoresken Spittelberg
Handgemachte Kugeln für den Christbaum, hausgemachter Punsch, dazwischen ein Streifzug durch die kleinen Gässchen. Der Weihnachtsmarkt auf dem Spittelberg im 7. Bezirk galt lange als der schönste in Wien. Aber von dem, was ihn ausmachte, ist nicht mehr allzu viel übrig. Öko, grün und nachhaltig nennt er sich – dabei gibt es dort jetzt Langos, Turbo-Punsch und Jahrmarktware. Das Kunsthandwerk ist wenig geworden. Die Problemzone Christkindlmarkt hat sich also verlagert – vom Rathausplatz ausgerechnet auf den Spittelberg.
Größter Christkindlmarkt
125 Stände hat der Christkindlmarkt auf dem Spittelberg heuer. Damit ist er erstmals der größte in der Stadt. Der bisher größte, jener auf dem Rathausplatz, hat sich nach anhaltender Kritik nicht nur eine Rundumerneuerung gegönnt, sondern auch die Anzahl der Stände reduziert. Doch der Weihnachtsmarkt auf dem Spittelberg ist nicht nur der größte, er ist jetzt auch der, gegen den es den größten Widerstand gibt.
Ausnahmezustand
Schon seit einigen Jahren begehren Anrainerinnen und Anrainer gegen den Markt auf. Er ist in Wien der einzige in einem Wohngebiet. Sechs Wochen Ausnahmezustand, das ist zu viel für die Bewohner hier. Wollen sie abends nach Hause, müssen sie sich den Weg durch Menschenmassen bahnen, werden angerempelt. Weil Post und Lieferdienste nicht mehr durchkämen, könnten sie keine Pakete bestellen. Sie berichten von Dreck, Urin, immer vollen Mistkübeln. Davon, dass die Öffnungszeiten nicht immer eingehalten werden und sie nicht zur Ruhe kämen. Dazu der Gestank von Alkohol und Frittierfett. Manche verreisen für die Zeit des Marktes. Anders würden sie es „nicht mehr aushalten“.
Abspaltung
Die Geschichte des Weihnachtsmarktes auf dem Spittelberg ist eine, die von Beginn an konfliktbehaftet ist. Es war im Jahr 1980, als eine Gruppe grün-affiner Kunsthandwerker dem ansässigen Kunsthandwerk eine Verkaufsplattform bieten wollte.
Man gründete den „Verein zur Förderung des Spittelbergs“ und veranstaltete den ersten Weihnachtsmarkt. Im Jahr 1993 kam es zum Bruch, die Stadt, – so erzählen es zumindest die Gründer – „riss“ den Gründern den Markt „aus den Händen“ und übergab ihn jenen, die ihn zum Teil auch heute noch ausrichten: Pius Strobl und Karl Lind.
Gemeinsam mit anderen gründeten sie den „Kulturverein Forum Spittelberg“. Damals betrieben Lind und Strobl das Lokal Lux am Spittelberg. Heute ist Strobl ORF-Manager und Licht-ins-Dunkel-Chef – und noch immer Obmann des Vereins. Lind ist Kassier. Als Schriftführerin fungiert ORF-Moderatorin Eva Pölzl. Die Kunsthandwerker wichen damals auf den Karlsplatz aus. Und blieben dort bis heute.
Intransparenz
Vor drei Jahren sorgte das intransparente Vergabesystem des Christkindlmarkts am Rathausplatz für Schlagzeilen – und dafür, dass Veranstalter Akan Keskin diesen mit seinem „Verein zur Förderung des Marktgewerbes“ heuer erstmals nicht mehr austragen darf. Es ging um dubiose Vergaben und Freunderlwirtschaft.
Aber auch abseits des Rathausplatzes geizt die Szene mit Information. Wie transparent die Veranstalter agieren – also ob sie offenlegen, wie man zu einem Stand kommt und wie viel dieser kostet –, das entscheiden sie ganz alleine. Die Stadt verlangt lediglich eine Marktgebühr (siehe Info-Box) für die Dauer der Veranstaltung.
Unternehmen als Veranstalter
Grundsätzlich werden die Christkindlmärkte zum Teil von Unternehmen, zum Teil von Vereinen veranstaltet. Die Event- und Promotion-Agentur Magmag etwa betreibt vier Weihnachtsmärkte, der Verein zur Förderung des Marktgewerbes veranstaltet drei, die Agentur MTS zwei; der Rest entfällt auf einzelne Unternehmen und Vereine (siehe Grafik)
Manche Veranstalter verlangen ausschließlich Hüttenmiete und Unkosten für die verbrauchte Energie. Andere, etwa jener vom Weihnachtsmarkt am Hof, einen „Veranstalterbeitrag“ von den Standmietern. 12.000 Euro blieben ihm pro Markt und Jahr, sagt der dortige Veranstalter Georg Lehner. Die verwende er dann etwa für die Lagerung der Hütten das restliche Jahr über. Geld verdienen würde er nur mit seinem Gastro-Stand, den er auch auf Markt betreibt. Wie viel Umsatz er macht, will er nicht sagen. Aber: „Natürlich ist das ein gutes Geschäft“, sagt Lehner. „Nur weil es nett, schön und freundlich ist, würde das ja niemand machen.“
Hohe Marktgebühr
Auch die Veranstalter des Weihnachtsmarktes am Spittelberg schwimmen nicht im Geld, sagt Veranstalter Pius Strobl. Heuer benötige man allein 50.000 Euro für die Marktgebühr an die Stadt. Wie viel der Verein einnimmt, will er nicht sagen. Multipliziert man die Anzahl der Stände mit der jeweils angegebenen Standgebühr (s. Grafik), ergibt sich ein Wert zwischen 293.129 und 474.456 Euro. Alles, was man einnehme und nicht für Gehälter benötigt werde (für die Ordner etwa), seien Rücklagen, sagt Strobl.
"Spittelberg-Mafia"
Das Problem mit dem Spittelberg ist aber ohnehin eines, bei dem es weniger um Intransparenz und mehr um die Geschäftspraktiken der Veranstalter selbst geht. Die meisten derer, die Kritik daran üben, wollen nicht mit vollem Namen in der Zeitung stehen. Sie sprechen von der „Spittelberg-Mafia“ und davon, Angst vor Repressalien zu haben – und vor Klagen. Schon jetzt läuft die Kommunikation zwischen dem Verein und einigen Anrainern ausschließlich über Rechtsanwaltsschreiben. „Wenn wir Rechtsanwaltsschreiben bekommen, dann müssen wir mit Rechtsanwaltsschreiben antworten“, sagt Strobl. Den Mafia-Vorwurf habe ihm noch keiner der Anrainer persönlich gemacht: „Ich würde sie klagen“, sagt Strobl.
Eine Unternehmerin – sie will nicht namentlich genannt werden – berichtet dem KURIER, dass der Verein sie 2020 aufforderte, offenzulegen, wie viel Coronahilfen ihr Betrieb in Anspruch nehme. Je nachdem würde der Verein die Ausfallszahlungen, die vertraglich eigentlich mit pro rata temporis (also auf den Ausfallszeitraum bezogen, Anm.) festgehalten waren, senken. Die Unternehmerin wollte das nicht, es kam zur Auflösung der Geschäftsbeziehung. „Im Jahr darauf hatte ich eine Hütte vor meinem Geschäft stehen“, sagt sie. Dass man ihr Unternehmen so in der Weihnachtszeit „unsichtbar“ gemacht hat, habe ihr Geschäft massiv beeinträchtigt. Ein Racheakt? Strobl verneint. „Das ist Marktgebiet. Punkt.“
17 Weihnachtsmärkte mit 905 Ständen finden heuer in Wien statt
Anlassmarkt
Weihnachtsmärkte in Wien sind Anlassmärkte, also Märkte mit mindestens zehn Ständen auf für die Öffentlichkeit erreichbarem Grund. Ein Drittel der Stände darf an Gastronomen vergeben werden
Marktähnliches Event
Außerdem gibt es marktähnliche Veranstaltungen (siehe Bericht links)
"Jahrmarktware schreckt ab"
Georg Leditzky und Patrick Bauer sind die einzigen, die sich offen sprechen trauen: Die Chefs des Concept Stores „Die Sellerie“ in der Burggasse 21 sind es Leid, „dass uns auf den Kopf geschissen wird“, wie sie sagen. Der Stand vor der Tür habe sie jahrelang ihr gutes Weihnachtsgeschäft gekostet, sagen sie. Die Jahrmarktware vor der Haustür schrecke Kunden ab.
Der einzige Weg, sich legal gegen einen solchen Stand vor der Tür zu wehren, sei jener, eine Parklet vor dem Geschäft anzumieten, quasi als Winterschanigarten. Das habe ihnen auch der Ombudsmann geraten, der wegen der Querelen am Spittelberg extra eingesetzt wurde. Bauer und Leditzky haben seinen Rat befolgt, der Stand mit der Jahrmarktware steht jetzt nebenan.
Anrainer und Geschäftstreibende fühlen sich von Behörden und Bezirk im Stich gelassen und fordern ein neues Konzept: weniger Stände, kürze Öffnungszeiten, kürzere Dauer, nachhaltige Produkte. Diesem Wunsch erteilt Strobl eine Abfuhr. Dann könnten die Standler ja kein Geschäft machen. Und: Im Gegensatz zu anderen Weihnachtsmärkten ende jener auf dem Spittelberg ohnehin am 23. Dezember. „Damit zu Weihnachten eine Ruhe ist“, sagt Strobl.
Kommentare