Warum Radfahrer den Winter nicht mögen

Warum Radfahrer den Winter nicht mögen
Kälte und Angst vor Unfällen hindern Wiens Biker am Radeln in der kalten Jahreszeit. Plus Umfrage!

In der kalten Jahreszeit bricht der Radverkehrsanteil in Wien laut der städtischen Mobilitätsagentur um ein Drittel ein. In anderen europäischen Metropolen wie Kopenhagen und Amsterdam ist dies aber nicht der Fall - hier nutzen sogar bis zu 90 Prozent ihr Gefährt weiter. In Wien halten vor allem die Angst vor Unfällen und Kälte die Biker im Winter vom Radeln ab, erklärte der Radverkehrsbeauftragte Martin Blum am Montag bei der Präsentation einer Umfrage zu diesem Thema. Doch es gibt es Potenzial: 270.000 Städter können sich vorstellen, im Winter weiter zu radeln.

Diese Meldung wurde korrigiert. Mehr unter Radbeauftrag­ter präsentierte falsche Zahlen

Bei einer von der Mobilitätsagentur beim Gallup Institut in Auftrag gegebenen Untersuchung wurden 645 Wiener und zusätzlich auch 936 Rad-Vielfahrer befragt. Ziel war es, herauszufinden, unter welchen Voraussetzungen im Winter länger geradelt wird.

255.000 steigen im Winter aufs Rad

Insgesamt 38 Prozent der Wiener nutzen den Drahtesel häufig oder manchmal als alltägliches Verkehrsmittel, immerhin 60 Prozent häufig oder manchmal in der Freizeit. Knapp ein Viertel gab an, auch im Winter das Rad als Verkehrsmittel zu nutzen. Hochgerechnet seien das rund 255.000 Menschen, hieß es. Dabei handelt es sich um ungefähr gleich viele Männer wie Frauen. Die meisten Befragten (39 Prozent) sind jedoch ab November nicht mehr unterwegs bzw. nutzen es das Gefährt erst ab April wieder (41 Prozent).

Blum will in der Umfrage aber Potenzial für mehr erkannt haben: Denn immerhin können sich 36 Prozent unter jenen, die eine Winterpause machen, grundsätzlich vorstellen, das Gefährt länger zu benutzen. Das seien hochgerechnet rund 270.000 Städter. Zu den größten Hürden zählen die Angst vor Unfällen (91 Prozent), Kälte (84 Prozent) und der Zustand der Straßen bzw. Radwege (83 Prozent).

Auf die Frage, was denn passieren müsste, damit auch in der kalten Jahreszeit das Fahrrad als Verkehrsmittel benutzt werde, antworteten aber immerhin 32 Prozent der Wiener mit: "Gar nichts, ich würde auf keinem Fall fahren." Ein Viertel forderte eine bessere (Schnee-)Räumung, 19 Prozent wünschen sich wärmere Temperaturen.

Hohe Unfallgefahr

Zum Vergleich auch die Angaben der Vielbiker: Diese sind zu 78 Prozent auch im Winter mit ihrem Gefährt unterwegs bzw. hören später im Jahr zu radeln auf und beginnen auch früher wieder damit. Zu den Gründen, die sie vom Radeln bei Schnee und Gatsch abhalten, zählen ebenfalls die hohe Unfallgefahr, die Kälte sowie der Zustand von Straßen und Radwegen. Damit sie auch biken, wenn es kalt ist, wünschen sich die meisten eine bessere Schneeräumung und wärmere Temperaturen.

"Die Antworten zeigen, dass die Maßnahmen der Stadt Wien für rasche Schneeräumung auf Radwegen und mehr Sicherheit die richtige Richtung weisen", so Blum. Den Befragten will er mit Argumenten die Befürchtungen nehmen: Seit 2011 werde das sogenannte Winterbasisradwegenetz, das 266 Kilometer umfasst, gleichzeitig mit den Auto-Hauptverbindungen geräumt. Die restlichen Strecken würden mit den weniger stark befahrenen Nebenfahrbahnen gereinigt. Für das heurige Jahr sei eine weitere Optimierung geplant.

Radfahren hält warm

Was die Angst vor Unfällen betrifft: Laut Statistik Austria sind im Vorjahr 965 Radler in Wien verletzt worden. In den stärksten Radfahr-Monaten zwischen Juni und August waren es 353 Menschen, zwischen Dezember und Februar 70. "Wien ist sehr sicher für Radfahrer", warb Blum. Eines kann aber auch der Radverkehrsbeauftragte nicht ändern - dass es im Winter kalt ist. Wobei er versicherte: "Beim Radfahren bewegt man sich, es wird schön warm." Ein weiterer Tipp: bei der Bekleidung auf das "Zwiebelsystem" achten. Viele dünne Schichten wärmen besser als eine dicke.

Heute, Montag, hat außerdem die Servicekampagne "Heuer fahr' ich durch" gestartet. Die Mobilitätsagentur positioniert sich dabei bis Samstag täglich an einem anderen Radverkehrsknotenpunkt mit einem Servicestand. Dort können Biker u.a. einen kostenlosen Wintercheck an ihren Gefährte durchführen lassen. Kleinere Reparaturen an Lichtanlage oder Schaltung bzw. das Schmieren der Ketten können dabei gleich an Ort und Stelle erledigt werden.

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Bei leichten Minusgraden fährt Georg Brockmeyer noch ohne. „Bei minus zehn Grad kommt dann die lange Unterhose zum Einsatz“, sagt der 37-Jährige. Der gebürtige Deutsche ist Ganzjahresradler. Ob die Sonne scheint, ob es regnet oder schneit – der Kommunikationsexperte ist immer auf seinem schwarzen Stadtrad unterwegs – meist im Anzug.

Das liegt wohl an seinem Geburtsort Freiburg. Die deutsche Stadt ist eine Stadt der Radfahrer. „30 Prozent der Wege in Freiburg werden mit dem Rad zurückgelegt. Zwei Drittel davon auch im Winter“, erklärt Bernhard Gutzmer, Radbeauftragter der deutschen Stadt.

„Als Kinder sind wir alle mit dem Rad in die Schule gefahren“, erzählt Brockmeyer. Als er 1998 zum Studium nach Wien kam, war er überrascht: „Vor der Hauptuni gab es drei, vier Radbügel, das war’s.“ Auch wenn sich mittlerweile einiges geändert hat: „Wien ist noch immer ein Schwellenland im Radverkehr“, sagt er (siehe Hintergrund). Damit sich das ändert, braucht es auch Vorbilder wie ihn. Jeden Tag fährt er neun Kilometer in seine Arbeit und auch wieder zurück. Auf mehr als 4000 Kilometer kommt er dabei pro Jahr. „Letztes Jahr gab es auch im Winter keinen Tag, an dem ich nicht gefahren bin, und ich war immer schneller unterwegs als mit dem Auto oder den Öffis.“

„Verhüterli“ für Sattel

Dafür braucht es jedoch einige Vorbereitungen. Licht, Reflektoren, ordentliche Bremsen sind Pflicht. Statt einer Felgen- hat Brockmeyer eine Trommelbremse. „Die ist vor Nässe geschützt.“ Auch die Kette sollte mit einem Blech verdeckt sein. „Schützt ebenfalls vor Nässe, aber auch den Anzug vor Verschmutzungen.“ Wichtig ist auch das „Verhüterli“ für den Sattel, so bleibt der Hintern immer trocken. Bei Minusgraden kommen bei Brockmeyer Spezialhandschuhe aus Wollwalk zum Einsatz. Für die Füße schwört er auf Socken aus feiner Wolle. Für den Kopf genügt eine Haube.

Aber warum tut er sich das alles an? „ Es ist einfach schön, wenn alles angezuckert ist, durch die Gassen zu radeln.“ Nur auf Straßenbahnschienen könnte er gerne verzichten: „Auf denen musst du höllisch aufpassen.“

(erschienen am 29.12.2012)

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