Ein Leben (fast) ohne Auto

Ein Leben (fast) ohne Auto
Wie es funktioniert, was die Bewohner sagen und was sie ärgert.

Manche bezeichnen uns als Sekte oder Kommune. Das ist natürlich ein Unsinn“, sagt Wolfgang Parnigoni. Der ehemalige grüne Bezirksrat ist Mieter-Beirat in Wiens erster autofreier Siedlung in der Floridsdorfer Nordmanngasse. Vor mittlerweile 13 Jahren eröffnet, leben hier heute mehr als 700 Menschen. Damit ist die Anlage ausgelastet. Die Bewohner haben sich in ihrem Mietvertrag verpflichtet, kein eigenes Auto zu besitzen bzw. dauerhaft zu benutzen.

Das Pilotprojekt, das unter kräftiger Mitwirkung des grünen Gemeinderats Christoph Chorherr entstanden ist, geht damit sogar einen Schritt weiter als die erst vor Kurzem präsentierten sieben neuen Stadtentwicklungsprojekte (siehe Grafik unten).

Ein Leben (fast) ohne Auto

Beim Bau wurde auf die ansonsten üblichen Garagenplätze weitgehend verzichtet. Das so gesparte Geld floss in Gemeinschaftsflächen. Etwa die großzügige Begrünung im Innenhof (samt Goldfischteich), Veranstaltungsräume, Hochbeete auf den Dachterrassen oder eine eigene Rad-Werkstatt im Keller. Betreut und organisiert werden diese Einrichtungen von hausinternen Arbeitsgruppen. Viele klassische Aufgaben der Hausverwaltungen werden in Eigenregie erledigt. „Dadurch sind bei uns die Betriebskosten um ein Drittel niedriger als anderswo“, erzählt Parnigoni.

Ein Leben (fast) ohne Auto

Das zieht vor allem jüngere Wohnungssuchende an. Viele Bewohner leben aber bereits seit der Eröffnung hier und haben mittlerweile eine Familie gegründet. „Das beweist nur einmal mehr, dass man auch mit Kindern kein großes Auto braucht“, sagt Elisabeth Mistelbauer, die gerade mit ihrem Rad von der Arbeit im 1. Bezirk nach Hause kommt. Unterwegs hat sie sich noch drei küchenfertige Enten gekauft, die locker samt den Akten auf dem Fahrrad Platz finden. Schon vor ihrem Einzug im Jahr 2000 war sie in Wien ohne Pkw unterwegs.

Schwarze Schafe

Mistelbauer möchte auf alle Fälle auch weiterhin hier bleiben. „Es gibt nur eine Sache, die mich ärgert: Mieter, die trotzdem ein Auto haben.“ Das trifft auf rund zehn Prozent der Bewohner zu. „Sie nutzen die Vorteile der Anlage, halten sich aber nicht an die Regeln und nehmen damit anderen Interessenten den Platz weg.“ Ein weiteres Problem: Mittlerweile können die Mieter ihre Eigentumsoption geltend machen, wovon viele auch schon Gebrauch gemacht haben. „Das könnte dazu führen, dass langfristig das Konzept der Autofreiheit noch weiter aufgeweicht wird“, sagt Mieterin Michelle Šajch.

Momentan ist davon noch wenig zu spüren: „Das hier ist die ideale Mischung zwischen Stadt- und Landleben“, schwärmt Gerda Daniel. Die NGO-Koordinatorin ist ebenfalls durchwegs mit dem Rad unterwegs. „Nur zwei Mal im Jahr gönnen wir uns ein Mietauto.“

„Mittlerweile ist auch die Öffi-Anbindung der Siedlung sehr gut“, sagt Bernhard Zak. Dass er hier eingezogen ist, liegt quasi auf der Hand: Schließlich hat der studierte Ökologe eine Diplomarbeit über den CO2-Ausstoß im Autoverkehr geschrieben.

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Grüne Hochburg

Mit seinem ausgeprägten Öko-Bewusstsein trifft der passionierte Radler unter den Nachbarn auf viele Gleichgesinnte. Das spiegelt sich auch im Ergebnis der Nationalratswahl wieder: „In unserem Sprengel kamen die Grünen auf 33 Prozent. Das ist österreichweit der höchste Anteil“, sagt Parnigoni. Geht es nach ihm, sollte in der Nachbarschaft gleich die nächste autofreie Siedlung entstehen. „Doch die SPÖ-geführte Bezirksvorstehung wollte das nicht. Sie hat wohl Angst davor, dass in Floridsdorf zu viele Grün-Wähler wohnen.“

Weitgehend autofrei sollen auch jene sieben neuen Stadtviertel werden, die in den nächsten 15 Jahren auf insgesamt 177 Hektar entwickelt werden. Dazu zählen etwa die Projekte „In der Wiesen Ost“ (Liesing), Franzosengraben (Landstraße) oder das Gaswerk Leopoldau (Floridsdorf). Insgesamt wird in den neuen Siedlungen Wohnraum für 33.000 Menschen geschaffen.

Sie sollen nicht auf ein eigenes Auto angewiesen sein. So sieht es zumindest das Leitbild vor, das die rot-grüne Stadtregierung vor Kurzem präsentierte (der KURIER berichtete): Statt Stellplätze für jedes Haus wird es vor allem Sammelgaragen am Rand der Areale geben. Die Erschließung mit Straßen wird auf das Nötigste reduziert – etwa um Einsatzfahrzeugen oder Lieferanten die Zufahrt zu ermöglichen. Querungen sollen vor allem den Fußgängern und Radfahrern zugute kommen, kündigt Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou (Grüne) an.

Viele der Entwicklungsgebiete liegen bereits jetzt direkt an hochrangigen Öffi-Linien. Wo das nicht der Fall ist, werden neue Anbindungen geschaffen.

Mobilitätskonzepte

Gemeinsam mit den Bauträgern der überwiegend geförderten Wohn-Anlagen werden eigene Mobilitätskonzepte entwickelt. Zum Beispiel Car Sharing zu günstigen Konditionen oder eine kostenlose Öffi-Jahreskarte für das erste Jahr nach der Wohnungsübernahme.

Weil die Autos an den Rand der Siedlungen verbannt werden, entstehen direkt vor den Häusern mehr Grünflächen. Sie können von den Bewohnern beispielsweise für städtisches Gärtnern genutzt werden.

Das gesamte Investitionsvolumen wird voraussichtlich 2,4 Milliarden Euro betragen.

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