Warum der Wiener Nordwestbahnhof mehr war als eine Zugstation

Warum der Wiener Nordwestbahnhof mehr war als eine Zugstation
Schneepalast, Umschlagplatz, Propaganda-Basis: Das Areal hat eine spannende Geschichte. Eine Ausstellung arbeitet sie nun auf.

„Norwegerhosen und offene Blusen sind im Interesse des zuschauenden Publikums den skilaufenden Damen besonders empfohlen. Hingegen ist Skilaufen in der Schwimmhose nicht empfehlenswert.“

Das rät das Illustrierte Sportblatt am 3. Dezember 1927 all jenen, die die damals meist beachtete Attraktion Wiens ausprobieren wollen: den Schneepalast am Nordwestbahnhof im 20. Bezirk.

Was sich hinter dem pompösen Namen verbirgt? Eine 20 Meter hohe Gerüst-Konstruktion, auf der die Wienerinnen und Wiener im Winter 1927/1928 um 1,50 Schilling Skifahren können.

Auf Kokosmatten, die mit Soda präpariert sind – und in einer Halle, in der drei Jahre zuvor noch Reisende auf ihre Züge gewartet haben.

Mit der Zwischennutzung ausgedienter Bahnhofsgebäude kannte man sich am Nordwestbahnhof also schon früh aus. Weitere Projekte sollten folgen.

Doch bald wird die Ära der Zwischennutzung auf dem Gelände zu Ende sein: Der Bahnhof wird (fast komplett) abgerissen.

Kaum im Bewusstsein

Bis zum Jahr 2033 entsteht auf dem 44 Hektar großen Areal ein neuer Stadtteil – mit Wohnungen für 16.000 Menschen, mit Büros, mit fünf Schulen und mit einem großen Park.

Damit Geschichten wie jene vom Schneepalast nicht mit dem Bahnhof verschwinden, widmet sich nun eine Ausstellung seiner Historie.

Vizebürgermeisterin Birgit Hebein (Grüne) und Bezirksvorsteher Hannes Derfler (SPÖ) haben die Schau am Dienstag eröffnet.

Und diese könnte dabei helfen, ein großes Manko des Nordwestbahnhofs zu beseitigen: Das aktuell größte innerstädtische Stadtentwicklungsgebiet ist im allgemeinen Bewusstsein kaum verankert.

Warum der Wiener Nordwestbahnhof mehr war als eine Zugstation

Der Schneepalast war im Jahr 1927 die Attraktion.

Das hat vor allem mit dem nahe gelegenen Nordbahnhof im 2. Bezirk zu tun: Dieser ist damals für den Personenverkehr viel wichtiger als sein Pedant im 20. Bezirk.

Am Nordwestbahnhof geht es – bis heute – um etwas anderes: um Güter, Fracht, Logistik. Also um etwas, mit dem nur ein eingeschränkter Personenkreis zu tun hat.

Tor zur Weltausstellung

Ab 1870 erbaut, kommen in den ersten Jahrzehnten Zuckerrüben, Keramikprodukte und Kohle aus Böhmen am Nordwestbahnhof an.

Bereits in seinem Eröffnungsjahr, 1873, kann er sich beweisen: Gottfried Schenker, Gründer der gleichnamigen Spedition, transportiert die Exponate für die damalige Weltausstellung in Wien über den Nordwestbahnhof.

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Das Bahnhofs-Areal im 20. Bezirk ist 44 Hektar groß.

Ein paar Jahrzehnte später errichtet der Unternehmer dort das Hauptquartier seiner Firma – ein wichtiger Baustein in der Entwicklung zu einem modernen Güter- und Containerterminal.

Fisch und Früchte

Ab 1923 gab es am Nordwestbahnhof in der Fischhalle Fisch aus der Nordsee zu kaufen, gegenüber in der Bananenhalle lagern exotische Früchte.

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Die Fischhalle.

Heute sind es allen voran Fernseher, Kaffeemaschinen und andere Elektrogeräte, die von Waggons auf Lastwagen gehievt werden – wenn auch nur in geringen Mengen.

Der Großteil des Gütergeschäfts ist bereits in das neue Logistikzentrum nach Inzersdorf abgewandert. Bis Ende 2021 wird der Nordwestbahnhof stillgelegt.

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Am Nordwestbahnhof wird es immer ruhiger.

Der Personenverkehr ist de facto bereits nach dem Ende der Monarchie Geschichte: Mit dem Verlust der Kronländer im Norden brechen die Fahrgastzahlen ein.

Hitler und Alu-Fische

Das Angebot wird sukzessive eingestellt, die Bahnhofshalle wird in ein Veranstaltungszentrum umgewidmet – 1927 zieht der Schneepalast ein.

Während des Austrofaschismus treten politische Redner in der Halle auf, später dann führende Nationalsozialisten: Am Tag vor der „Volksabstimmung“ über den Anschluss etwa Adolf Hitler und Joseph Goebbels.

Nach dem 2. Weltkrieg wird die beschädigte Bahnhofshalle schließlich abgerissen.

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Der Nordwestbahnhof um 1912.

In der jüngeren Vergangenheit haben sich Zwischennutzungsprojekte-Projekte (etwa ein Theater, eine Filmrequisiten-Firma oder eine Kunstinstallation aus Alu-Fischen) daher in anderen Ecken einquartiert.

Zukunftspläne

Eine der alten Logistik-Hallen am Areal bleibt übrigens erhalten: die sogenannte Kosmos-Halle.

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Die Kosmos-Halle bleibt bestehen.

Wie sie künftig genutzt wird, ist noch offen. Dass sich spannende Projekte finden lassen, das hat der Nordwestbahnhof in der Vergangenheit jedenfalls gezeigt.

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