Von Pogo zu Wlazny, vom Satireprojekt zu 8,4 Prozent der Wählerstimmen
So ganz hatte Marco Pogo wohl nicht erwartet, dass durch seine politische Tätigkeit der Mensch hinter der sorgsam erdachten Kunstfigur so stark in den Vordergrund treten würde. Doch seit der Wien-Wahl 2020 wurde Marco Pogo zunehmend zu Dominik Wlazny - ob er es wollte oder nicht.
Dass Wlazny bei der Bundespräsidentenwahl bundesweit beachtliche 8,4 Prozent der Stimmen erhielt - und in Wien sogar FPÖ-Kandidat Walter Rosenkranz hinter sich ließ -, ist also nur der (vorläufige) Endpunkt einer Entwicklung.
„Die Bierpartei hat sich vom reinen Satireprojekt hin zu doch auch 50 Prozent ernsthafter Inhalte entwickelt“, sagte Wlazny - damals in seiner Funktion als Bezirksrat von Simmering, der er seit der Wien-Wahl ist - vor etwas mehr als einem Jahr in einem KURIER-Interview. Und es war zu spüren, dass seine eigene Verwunderung nicht nur gespielt war.
Man könnte auch sagen: Pogo wurde durch die Verantwortung, die 13.095 Stimmen bei der Wien-Wahl mit sich brachten, in den Hintergrund gedrängt. Wlazny betrat das Rampenlicht.
„Sie haben die Bierpartei gewählt, weil sie von mir unterhaltsame Inhalte sehen wollen, und die bekommen sie auch“, sagte er damals im September 2021. „Aber es haben auch genügend Menschen die Bierpartei gewählt, weil sie sich gedacht haben, der macht’s vielleicht wirklich g’scheiter.“
Erstmals wählbar im Jahr 2019
Die Bierpartei. Ursprünglich der Name eines Songs von Wlaznys, pardon: Pogos Punkrockband Turbobier, wurde sie am 27. Juli 2015 offiziell ins Parteienregister eingetragen. Erstmals wählbar war die Liste bei der Nationalratswahl 2019, damals reichte es bundesweit für gerade einmal 0,1 Prozent der Stimmen, in Wien waren es 0,6 Prozent.
Bei der Wiener Gemeinderatswahl 2020 brachten es Pogo, Wlazny und deren Mitstreiter dann bereits auf 1,8 Prozent der Stimmen. Zu wenig für den Einzug in den Gemeinderat. Die Bierpartei zog aber immerhin in elf Bezirksparlamente ein, der Gründer ist seitdem Bezirksrat in Simmering.
Die politischen Mitbewerber streuen den Bezirksräten durchaus Rosen: Diese würden, so heißt es, ambitioniert und ernsthaft arbeiten. Dass die Bierpartei vor allem mit Forderungen wie jener nach einem "Bierbrunnen" in die Schlagzeilen kommen, ist auch der medialen Logik geschuldet.
Gezündeter Turbo
Bei der Bundespräsidentschaftswahl am Sonntag zündete Wlazny dann auch ohne Bier den Turbo: 278.553 Stimmen sammelte er – Stand Montag, 13.36 Uhr – ein, lag damit gleichauf mit dem Kandidaten der Kronen Zeitung, Tassilo Wallentin, bei 8,3 Prozent der Stimmen. 54.769 Stimmen oder 10,8 Prozent waren es in Wien, 3.474 Stimmen oder 14,2 Prozent in Simmering.
Ka Lercherl, würde Pogo wohl dazu sagen.
Die liebe Not mit der Kunstfigur
Mit der Kunstfigur, die ihm in Wien den Weg auf die politische Bühne geebnet hat, hatte Wlazny im Rennen um die Bundespräsidentschaft dann aber immer wieder selbst seine liebe Not.
Es begann bei seiner Kandidatur, die nicht unter seinem Künstlernamen Marco Pogo erfolgen konnte. Die erste Hürde: Er musste potenziellen Wählern, denen er bisher nur unter diesem Namen ein Begriff war, nun Dominik Wlazny schmackhaft machen. Bis ein Name im Gedächtnis bleibt, dauert es.
Auch für ihn selbst nicht ganz leicht: Erstmals stand er als Person Dominik Wlazny vor einer breiten Öffentlichkeit. Hinter Kunstfiguren kann man sich gemeinhin gut verstecken.
Kommunikativ schwierig wurde es vor allem in den TV-Auftritten, in denen sich rasch herausstellen sollte: Die Satirefigur Marco Pogo ist so gar nicht präsidiabel. Sie ist gerne betrunken, postet Reime wie "Gras zum Bier - gönn es dir" oder wirbt mit dem Slogan "Make Wien dicht again". Vieles davon ist ironische Überhöhung. Aber Polit-Profis wissen: Nichts ist so schwer zu kommunizieren wie Ironie.
Wirrwarr der multiplen Persönlichkeiten
Auf sein Alter Ego angesprochen war Wlazny in seinen Interviews allzu oft in der Defensive: Nein, der echte Dominik Wlazny würde all das, was Marco Pogo tut, nicht machen, presste er dann - meist eher ungelenk - hervor. Wie er - also Wlazny - zum Thema Alkoholsucht stehe? Auch da blieb er unklar.
Seiner rhetorischen Schwäche war es auch geschuldet, dass er die Expertise beim Thema Corona - die ihm als Mediziner zugesprochen wurde - nicht vollends ausspielen konnte. Da hatten sich viele mehr erwartet. (Immerhin impfte Marco Pogo während der Pandemie am Rande eines Konzerts seine Gäste selbst - und kam damit in die Schlagzeilen.)
So manche Zuhörer (und auch Wlazny selbst) verloren im Wirrwarr der multiplen Persönlichkeiten jedenfalls mitunter den roten Faden.
Kein Wunder: Der 35-Jährige stand vor der schwierigen Herausforderung, sich von jener Person distanzieren zu müssen, die ihn erst dahin gebracht hatte, wo er nun ist. Und das tunlichst, ohne seine (jungen) Wähler zu verschrecken, die den "fetten" Marco Pogo eigentlich ganz gerne haben.
Dass hinter ihm keine Spin Doktoren standen, die ihn auf derart (erwartbare) kommunikative Stolperfallen vorbereiteten, merkte man im Wahlkampf deutlich.
Die Authentizität, die das Stolpern mit sich brachte, dürfte ihm aber auch einige Wählerstimmen eingebracht haben - besonders in Wien konnte Wlazny glänzen, wo er den 2. Platz erobert haben dürfte.
Was die Zustimmung in Simmering zeigt
Den höchsten Wert in Wien hat Wlazny in Simmering eingefahren – nämlich mehr als 14 Prozent. Das nur damit zu erklären, dass Simmering sein Heimatbezirk ist, greift aber zu kurz.
Der 11. Bezirk ist einer jener der Bezirke, der von der Wiener Stadtpolitik gerne vernachlässigt wird. Für viele ist er ein weißer Fleck auf der Landkarte, er ist zudem weniger schillernd als die klassischen Bobo-Bezirke in der Innenstadt.
Diese Ignoranz strafte die Wahlbevölkerung bereits 2015 ab. Simmering war der einzige Bezirk, der nach der Wahl mit Paul Stadler einen FPÖ-Bezirksvorsteher stellte. Der erste Blaue in der Zweiten Republik.
Protestwählen ist dort also an der Tagesordnung. Das Beispiel FPÖ und Wlazny zeigt dabei, dass dabei nicht unbedingt die Werte zählen - diese sind bei den Blauen und der Bierpartei schließlich in vielen Dingen konträr.
Wichtig dürfte für viele Simmeringer vielmehr gewesen sein, dass sie wahrgenommen werden. Das hat Wlazny mehrmals bewiesen: Immerhin hat er im Wahlkampf öfter von seiner Heimat „Wien-Simmering“ gesprochen. Und das positiv.
Ärger über eine ORF-Doku
Besonders wichtig: Das tat er auch im ORF. Dieser war vor wenigen Wochen mit einer abfälligen Doku über die Bewohner aufgefallen, die im Bezirk die Wogen hochgehen ließ.
Eines zeigt sein Erfolg in Simmering noch: Wlazny ist kein linkes Bobo-Phänomen. Mit seiner ungecoachten Art konnte er sowohl bei der vergangenen Gemeinderatswahl als auch bei der Präsidentschaftswahl punkten.
Das lässt auch einen Erfolg bei einem möglichen Antritt bei einer Nationalratswahl vermuten.
„Ich glaube schon, dass Wlazny Potenzial hat, sollte er bei der nächsten Wien- oder Nationalratswahl antreten“, sagt auch Politik-Berater Thomas Hofer zum KURIER. Voraussetzung sei aber, dass er seine inhaltlichen und rhetorischen Schwächen ablegt, die in den TV-Konfrontationen sehr offenkundig zu Tage getreten seien.
Dann könnte er, so Hofer, für Grüne und SPÖ durchaus ein gewisses Problem werden – als linke Alternative und Identifikationsfigur, die vor allem junge Menschen anspricht. Allzu tiefschürfende programmatische Konzepte würde es gar nicht brauchen, um als linke Protestgruppierung reüssieren zu können.
„Es gibt hier zig Spielflächen: Wlazny könnte etwa die ungleiche Entlohnung von Männern und Frauen zum Thema machen, die es immer noch gibt, obwohl SPÖ und Grüne in Bund und Ländern Regierungsverantwortung haben“, sagt der Experte. Oder eben, dass beide Parteien nicht auf die jungen Menschen eingehen.
Lederjacke wich Sakko
Erste Schritte in diese Richtung ortet der Experte bereits. Der Chef der einstigen Spaßpartei würde zunehmend auch ernstere Themen ansprechen. Auch optisch sei diese Repositionierung wahrnehmbar: Mehr und mehr sei zuletzt die Lederjacke dem Sakko gewichen.
Denkbar sei laut Hofer aber auch eine Kooperation mit anderen linken Gruppierungen, die bisher ihr Potenzial noch nicht ausschöpfen konnten, weil ihnen eine starke Identifikationsfigur an der Spitze fehlt.
Um sich dauerhaft etablieren zu können und nicht das Schicksal von „Pop-up-Parteien“ wie die Piraten, aber auch MFG zu teilen, brauche es laut Hofer aber auch die nötigen Parteistrukturen und finanziellen Mittel.
Wlazny dürfte in der Selbstwahrnehmung jedenfalls gekommen sein, um zu bleiben. Die PR durch die Präsidentschaftskampagne war unbezahlbar, der Name ist in der Öffentlichkeit etabliert und nicht nur die SPÖ sollte sich darauf einstellen. Mit 1,8 Prozent wird sich Wlazny bei der nächsten Landtagswahl nicht mehr abspeisen lassen, davor wird noch ein neuer Nationalrat gewählt.
Ab jetzt wird sich Pogo das Rampenlicht dauerhaft teilen müssen.
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