Er wirkt wie ein Relikt aus fernen Zeiten ohne Krieg, Seuchen und Hassorgien im Netz: Der gute alte TV-Skandal. Brachten einst Mundl und die Piefke Saga die Volksseele und die Politik zum Kochen, vermag das heutige TV-Programm kaum noch jemanden zu erregen.
Beim Versuch, das Sommerloch zu stopfen, ist nun aber dem ORF völlig unvermittelt ein waschechter Aufreger gelungen, der wohlige Nostalgie hervorruft: Für seine Doku „Simmeringer Hauptstraße“ besuchte Reporter Ed Moschitz heruntergekommene Gastwirtschaften und Gemeindebauten, um schrullige (und oft auch nicht ganz nüchterne) Bezirksbewohner vor der Kamera über die Politiker und die Ausländer schimpfen zu lassen. Ganz in der Tradition von Elizabeth T. Spiras „Alltagsgeschichten“.
„Nur das Schlechteste“
Nicht alltäglich ist der Sturm der Entrüstung, der nun zwischen Gasometer und Zentralfriedhof tobt: Ex-Bezirksvorsteher Paul Stadler (FPÖ), der seinen Posten gern wieder von der SPÖ zurückerobern will, hat via Facebook einen offenen Brief an den ORF geschrieben, in dem er sich bitter über die Doku beschwert. „Es ist eine Frechheit, dass man einen Bezirk nur mit negativen Bildern und Interviews in einer Art und Weise ins Rampenlicht stellt, wie er gar nicht ist“, empört sich der Blaue darin.
Und weiter: „Hier hat der Filmemacher nur das Schlechteste vom Schlechten herausgesucht, aber komplett vergessen, auch die Schönheiten des Bezirks, die Gärten, die Spitzen-Gastronomie oder international tätige Betriebe ins Bild zu rücken.“
Im Protest vereint
Was wirkt wie eine späte blaue Retourkutsche nach den jahrelangen, für die FPÖ schlecht ausgegangenen Rechtsstreitigkeiten mit Moschitz rund um dessen Skinhead-Doku, zieht tatsächlich weite politische Kreise. Denn auch Bezirksvorsteher Thomas Steinhart (SPÖ) ist alles andere als glücklich mit der Simmering-Doku. Zahlreiche Beschwerden hätten ihn in den vergangenen Tagen telefonisch und per Mail erreicht, sagt er. „Die Doku hat nicht das wahre Simmering gezeigt, das auch viele schöne Seiten hat: Die Lobau, die landwirtschaftlichen Betriebe oder Schloss Neugebäude.“
Bei aller Übereinstimmung geht er aber doch auf Distanz zu Stadler. „Mich wundert, dass er sich über die Doku aufregt. Er hat doch selbst schon die Simmeringer Hauptstraße als ,Little Istanbul‘ bezeichnet.“ Ob auch er sich beim ORF beschweren wird, sei noch offen, sagt Steinhart.
Im ORF will man die Polit-Kritik auf KURIER-Anfrage nicht näher kommentieren.
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